Kranzniederlegung am Landesdenkmal der Vertreibung der Ungarndeutschen im alten Friedhof von Wudersch
„ Nach meiner Heimat zieht ’ s mich wieder , es ist die alte Heimat noch , dieselbe Luft , dieselben frohen Lieder , und alles ist ein and - res doch ” – es war ein herzergreifender Moment , als diese alte ungarndeutsche Volkweise bei der Kranzniederlegung erklang . Hunderte versammelten sich im alten Friedhof von Wudersch , um der Opfer der 70 Jahre zurückliegenden Geschehnisse zu gedenken . Viktor Orbán , Ministerpräsident Ungarns , LdU-Vorsitzender Otto Heinek mit Parlamentssprecher der Ungarndeutschen , Em - merich Ritter , Hartmut Koschyk , Bundesbeauftragter für Aus - sied lerfragen und nationale Minderheiten , Dr . Manfred P . Em - mes , Gesandter der deutschen Botschaft Budapest , Barna bás Lenkovics , Präsident des Verfassungsgerichts und Verfassungs - richter István Stumpf , István Jakab , Vizepräsident des ungarischen Parlaments , Zoltán Balog , Minister für Humanressourcen , Mária Haszonics-Ádám , Direktorin des Amtes des Staatspräsi - denten , Oberstaatsanwalt Ferenc Szabó , Bürgermeister Tamás Wittinghoff , Parlamentsabgeordneter Zalán Zsolt Csenger und zahlreiche Ungarndeutsche legten Kränze der Erinnerung nieder .
Deutschsprachige heilige Messe mit anschließender Gedenk - veranstaltung in der Pfarrkirche St . Johannes Nepomuk
Nach der Kranzniederlegung versammelten sich viele Hunderte zu der deutschsprachigen heiligen Messe . Der Pfarrer der Bu - dapester deutschen katholischen Gemeinde , Gregor Stratmann hob in seiner Predigt die Wichtigkeit des Glaubens im Leben der Ungarndeutschen hervor : „ Dass die Kranzniederlegung in der Kirche fortgesetzt wird , erinnert uns daran , dass auch die Vertriebenen damals keine andere Adresse mehr für ihre Klagen über Unrecht an Leib und Seele gefunden haben , als sich an Gott zu wenden .” Wir müssten bereit sein , uns der Vergangenheit zu stellen , und wir müssten die Erinnerungen wach halten , um daraus zu lernen , so der Pfarrer .
Wudersch musste vor 70 Jahren den traurigsten Tag seiner Geschichte erleben . Denkmal , Friedenspark und Gräber bewahren die Namen der Opfer von vernunftlosem Gräuel ”, sagte in seiner Gedenkansprache Tamás Wittinghoff , der Bürgermeister der Stadt . „ Ich habe mir oftmals die Frage gestellt , was für Unge - heuer denn in der menschlichen Seele wohl leben ? Die Antwort weiß ich zwar immer noch nicht , allerdings muss unser Ziel sein , dass wir daraus lernen .” Wittinghoff bedankte sich bei Bretzfeld , der deutschen Partnergemeinde von Wudersch , dass diese die Ungarndeutschen vor sieben Jahrzehnten aufnahm , und bei ganz Deutschland , dass es damals den Vertriebenen – auch wenn es nach dem Zweiten Weltkrieg in Ruinen lag – beispielhafte Huma - nität entgegenbrachte .
Nach der Gedenkansprache Wittinghoffs trat ein junger Mann ans Mikrofon und las über das Leiden seines Urgroßvaters , Michael Frühwirt aus Wetschesch vor . Anschließend riefen kurze , inszenierte Situationen und Vorlesungen Momente aus dem Le - ben der Vertriebenen Wuderscher wach .
„ Mein Vater war der Meinung , dass wir keine Sünde begangen haben ”, zitierte LdU-Vorsitzender Otto Heinek das Lebenstrauma einer Tolnauer Frau , die erst 12 war , als sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester vertrieben wurde . Ihre einzige „ Sünde ” sei gewesen , so Heinek , dass sie Deutsche waren und ein Vermögen hatten , das man ihnen wegnehmen konnte . Es gebe kaum eine un - garn deutsche Familie , die vor den Gräueltaten vor 70 Jahren verschont geblieben wäre . Das Gemeinsame an ihnen sei , dass die es alle nicht verstünden , wie ihre geliebte Heimat mit ihnen so umgehen konnte . Diese Traumata müssten in einer neu definierten
Erin nerungskultur der Ungarndeutschen aufgearbeitet werden . Die wichtigste Aufgabe der deutschen Nationalität in Ungarn sei die Bewahrung von Muttersprache und kulturellem Erbe , sowie das Aufbauen eines modernen ungarndeutschen Selbstbildes . „ Keine leichte Aufgabe ”, meinte Otto Heinek , „ aber wenn wir zu - sammenhalten , schaffen wir das .”
Auch Bundesbeauftragter Hartmut Koschyk hielt in der Kir - che eine Gedenkansprache und überbrachte den Ungarndeut - schen die Grüße von Bundeskanzlerin Merkel , Außenminister Steinmeier und Innenminister de Maizière . „ Kein Unrecht rechtfertigt anderes Unrecht ”, zitierte Koschyk Altbundespräsidenten Roman Herzog . Er sprach sich dafür aus , dass ehrliche Erin - nerung von besonderer Bedeutung im gesamteuropäischen Verständnis sei . Die Bundesrepublik Deutschland sei Parlament , Regierung und Bevölkerung Ungarns für den vorbildlichen Um - gang mit Vertreibung und Deportation dankbar , und es freue Koschyk , dass Deutschlands und Ungarns Beziehungen ehrlich , freundschaftlich und vertraulich seien . Es sei auch erfreulich , dass sich die ungarndeutsche Gemeinschaft dank der Landesselbst - verwaltung der Ungarndeutschen permanent entwickele . Bundes - beauftragter Koschyk begrüße , dass die Mehrheitsbevölkerung Ungarns die Nationalitäten als Bereicherung ansähe , und dass sich die Mehrheitsbevölkerung auch bereichern lassen wolle . Dies verstünde er unter europäischem Minderheitenverständnis .
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán wies in seiner Rede unter anderem auch darauf hin , dass man vor siebzig Jahren offiziell von „ Aussiedlung ” gesprochen habe , es habe sich aber um Beraubung der Ungarndeutschen ihres Hauses und ihrer Heimat gehandelt . Niemand hätte Widerstand geleistet , ganze Völker seien in Viehwagons getrieben . Der Ministerpräsident betonte , die ungarndeutsche Gemeinschaft sei unantastbarer Teil der ungarischen Gesellschaft , die während der Jahrhunderte mit den Ungarn zusammen für die gemeinsame Heimat gekämpft , sowie auch das Land nach den Weltkriegen neu aufgebaut hätte . „ Die Ungarndeutschen können bis auf den heutigen Tag eine Kul - tur die ihrige nennen , deren Fäden tief in das Gewebe der ungarischen Kultur eingeflochten sind . Wenn wir diese Fäden herauszögen , so würde das gesamte Gewebe zerfallen . Die ungarische schwäbische Gemeinschaft stellt einen organischen und unveräußerlichen Bestandteil der ungarischen Kultur dar . Wenn vor siebzig Jahren die Vertriebenen all das mitgenommen hätten , was die Ungarndeutschen oder Menschen deutscher Abstammung seit ihrer Ansiedlung für die ungarische Wirtschaft und Kultur getan hatten , dann wäre Ungarn heute bedeutend ärmer . Sie hätten zum Beispiel unsere erste nationale Literaturgeschichte – von Ferenc Toldy – mitnehmen können , unter anderem auch das Par - lament – Imre Steindl – und das Gebäude des Kunsthistorischen Museums – Ödön Lechner – sowie einen bedeutenden Teil des ungarischen Druckwesens , Maschinenbaus und der Medizin . Ungarn war einst die Heimat von mehr als einer halben Million von Familien , die auf ihre deutschen Wurzeln stolz sowie fleißig waren und auf ihren eigenen Füßen standen . (…) Es hat Millio - nen von Menschenleben gekostet , bis wir erkannt haben : Wir , die Nationen Europas , sind gemeinsam stark . Der entscheidende Grund für die Vereinigung Europas war gerade , das derart entsetzliche Dinge nie wieder vorkommen dürfen . Die europäische Zusammenarbeit war gerade aus der Erkenntnis geboren worden , dass uns , europäische Nationen , viel mehr Dinge verbinden als trennen ”, so Orbán . Heutzutage zerfalle aber die Sicherheit des Kontinents von Tag zu Tag , die auf christlicher Kultur basierende Lebensweise sei gefährdet . Heutzutage sei die Frage , ob wir Euro - pa beschützen können , und ob es Europa bald überhaupt geben wird . In seinem Schlusswort betonte der Ministerpräsident , dass
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