Sonntagsblatt 1/2015 | Page 29

sb15-1:sb14-2.qxd 2015.02.12. 8:44 Oldal 29 Schachern und Schuften, darum sein ganzes Leben voller Plagen, Mühen, ohne Rast und allzu oft auch ohne viel Glück und Fröh - lichkeit. Dieser Ernst kennzeichnet vor allem seine Arbeit; kennzeichnet sein Heim und auch sein Dorf, in dem er daheim ist. Auf sein Haus ist er gerade so stolz wie auf seine Gemeinde. Und mit vol- lem Recht. Die kleinsten Dörfer sind Träger seines Fleißes, seiner Tüchtigkeit und seiner Reinlichkeit. Drei Eigenschaften, die den Schwaben in der Schwäbischen Türkei überall kennzeichnen. Auch der Bildungseifer verleiht diesem Menschen einen schönen Charakterzug. Er schickt seine Kinder mit großer Freude zur Schule. Auch als gereifter Mann strebt er noch nach Erweiterung der Fachkenntnisse, Gerne liest er auch Bücher, die ihm über Geschehnisse in der weiten Welt, über große Kriege und von ge - mütlichen Geschichten erzählen. Nichts gilt als schändlicher wie Rückständigkeit und Unkenntnis. Menschen, die er als dumm erkannt hat, verlieren in seinen Augen allen Wert. Nach seinem Ermessen ist Bildung und Wissen das höchste Gut des Menschen. Auf seine studierten Söhne ist darum ein jeder Schwabe besonders stolz. Biederer Stolz und wohlberechtigtes Selbstbewusstsein gehören überhaupt zum Volkscharakter des ungarländischen Schwa ben. Ob Bauer oder Handwerker, unser Schwabe ist sich seines Wertes, seiner Arbeitsleistung stets bewusst. Dieses gesun- de Selbstbewusstsein zeigt sich auch in seinem Gehaben. Da er aber von Hause aus ein friedliches Herz und eine gutmütige Seele hat, ist es sehr leicht, mit ihm gut auszukommen. Es gehört zu sei- nen schönsten Eigenschaften, dass er allen seinen Vorgesetzten gegenüber aufrichtigen Respekt bewahrt. Der Pfarrer ist in seinen Augen ein begnadeter Mann, dessen Wort ihm immer viel galt. Auch die weltlichen Behörden kommen leicht mit ihm aus, weil er ihre Überlegenheit und Macht natürlicherweise anerkennt. Man hätte vom deutschen Bauer der Schwäbischen Türkei aber einen falschen Begriff, dächte man, er kenne nur Arbeit, Vor - wärtsstreben, Sparsamkeit, Ernst und sei sonst ein hölzerner, lang- weiliger Mensch. Im Sommer, wo er ganz und gar in seiner Arbeit aufgeht, ist freilich schwer an ihn heranzukommen. Umso mehr Zeit und Lust findet er aber im Winter für die gemütlicheren Zeiten des Lebens. Wen die ersten Anzeichen des nahenden Winters sich melden und die bis spät in den Herbst hinein betriebene Arbeit draußen zu ruhen beginnt, da vollzieht sich ein eigentümlicher Wandel in den Häusern und Herzen unserer Schwaben. Schon im Spätherbst beleben sich die „Spinnstuben”, wohin sich allabends die Dorf - jugend zu Spinn- und Strickarbeit, zu Spiel und Singsang versam- melt und wo – wie ein altes Mütterlein es einmal sagte – auch die ersten schüchternen Schritte zu vielen Ehebünden getan werden. Kommt dann später der erste Frost, so beginnt das von allen mit großer Freude erwartete Schweineschlachten, das dann am Abend bei geselligem Beisammensein der „Freundschaft” als Sautanz, Wurstsuppe oder Stichbraten großartig, ja festlich gefeiert wird. Auch an gutem Wein – den sie ohnedies nicht verkaufen können – fehlt es natürlich nicht. Manchmal bedient man sich sogar der beliebten Blechmusikkapelle, damit auch an fröhlichem Tanz kein Mangel sei. Beim Schmaus im Freundeskreis zeigt sich unser Bauer von ganz anderer Seite. Ist der schwäbische Bauer sonst zumeist wortkarg, sorgenbeladen und auch etwas schwerfällig, so kommt hier gerade seine wahre Freude am Leben ungeschminkt, oft wirklich rührend in seiner Schlichtheit und Natürlichkeit, zum Vorschein. Da werden alte, gemütstiefe, echte Weisen gesungen über Liebe, Treue und Kriegskameradschaft, da werden auch recht kräftige Scherze auf verschmitzte Art erzählt und der impro- visierte Tanz bei einfacher Gelegenheitsmusik, dem beliebten Harmonikaspiel, wird auch nicht verschmäht. Wirkliche Feste, voll kräftiger Freude und erquickender Lebenslust, sind aber die zumeist im Winter veranstalteten Hoch - zeiten, die oft zwei–drei Tage hindurch dauern. Auch die Ärmsten bleiben bei solchen Anlässen hinter den Wohlhabenderen nicht zurück. Zu solchen hochfeierlichen Festen werden oft über hun- dert Gäste geladen. Die Hochzeit wird in der Schwäbischen Türkei mit getreuer Bewahrung ältester Sitten gefeiert. Beson - dere Bräuche dienen zum Abholen der Braut aus dem Elternhaus, wie zum Einlass des jungen, sich anvertrauten Ehepaares. Überall werden hierbei althergebrachte Sprüche mit besonderer Zere - monie verwendet. Ganz urhafte Bräuche kommen beim Braut - kranzabholen, bei der Bescherung der Braut und der Beglück - wünschung des jungen Ehepaares zum Vorschein. Die am Abend des Hochzeitstages bis spät in die Nacht hinein aufgeführten Gesellschaftstänze, wie der Teufelstanz, Scheitertanz, Nonnentanz usw. sind alle ältestes Brauchtum, die zum größten Teil noch aus der Urheimat herstammen. Auch sonst ist das deutsche Bauerntum der Schwäbischen Türkei noch heute sehr reich an alten Sitten, Spielen, Sprüchen, Zauberformeln, Tänzen, Märchen, an verheimlichtem und ängst- lich behütetem Volksglauben. Unwillkürlich wirft sich die Frage auf: Wieso kommt es, dass dieses deutschungarische Bauerntum, sich in so unverfälschter Artung bis auf den heutigen Tag erhalten hat? Man kann ruhig behaupten, dass dies vor Allem einer bald bewussten, bald unbewussten Zähigkeit und einem blutbedingten Festhalten an seiner Volklichkeit, als dessen stolzer, ja glücklicher Träger sich der Bauer fühlt, zuzuschreiben ist. Dass die letzten zwei Jahrhunderte aber sein Wesen und seine Art fast um nichts in der neuen Heimat schmälerten, dass der deutsche Volkcha - rakter sich in seiner Urkräftigkeit erhalten hatte, ist auch dem Umstande zu danken, dass die Dörfer dieser ihrer Herkunft nach zumeist fränkischen Siedler zum größten Teil abseits vom großen Verkehr – also von Bahnen und größeren Städten – liegen. Man muss auch heute noch oft 3–4 Stunden im hügeligen Gelände wan- dern oder mit Wagen fahren, bis man eine Eisenbahnlinie erreicht. Wenn dann im Herbst die regnerische Zeit anhebt, sind auf den unwegsamen Landstraßen viele der Gemeinden fast nicht zu erreichen. In letzter Zeit wurde auch in der schwäbischen Türkei ein großzügiger Landstraßenbau unternommen. Bis vor kurzem aber waren im Winter die Dörfer vollständig eingeregnet und eingeschneit, und die Bauern verließen nur in äußerst wichti- gen Angelegenheiten ihre Gemarkung, um in eine der nächsten kleinen Städte zu fahren. Für die restlose Erhaltung ihres Volkstums war auch der Umstand äußerst förderlich, dass sich der überwiegende Teil der deutschen Gemeinden der Schwäbischen Türkei in einem nahezu geschlossenen Siedlungsraum befindet. Die an der Grenze dieser deutschen Siedlungsfläche liegenden, also an den großen ungarischen Volkboden angrenzenden deut- schen Gemeinden zeigen diesen unverkümmerten Ahnencha - rakter in ihrer Mundart sowohl, wie in ihren Sitten an einzelnen Stellen schon nicht mehr auf. Diese Fälle sind aber von ganz geringem Ausmaß. Wenn man von einem Rückgang spricht, so erstreckt sich die Abschwächung des ursprünglichen Volkscharakters, besonders aber die Verkümmerung bäuerlicher Mundart und deutscher Sprach kenntnis, sowie die Auflockerung althergebrachter deut- scher Volksbräuche nur auf einzelne Gemeinden des Bakonyer Waldes und des Somogyer Komitates. Fortsetzung folgt Das LESEN des Sonntagsblattes weckt das NACHDENKEN 29