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Batisweiler und noch sechs oder sieben andern k.u.k. Offizieren
in Pension vorgestellt. Weitab am anderen Ende des langen
Tisches saß Franz Ruck, Student aus Elek, und verzehrte sein
Abendbrot.
Als der Stammtisch aufbrach, ging ich zu ihm und stellte mich
ihm vor. Bald darauf erschien Georg Stumpf, ein außerordentlich
kritisch-analytischer Geist, der mich bald in die Problematik ein-
weihte und weit über Mitternacht festhielt. Gleich bei der ersten
Begegnung konnte ich feststellen, dass er die Gothia sehr vermiss-
te. Er betrachtete – wie übrigens auch Bleyer – die Erfassung der
deutschen Hochschüler aus Ungarn und die Organisation dersel-
ben als eine der wichtigsten Voraussetzungen, wenn eine Volks -
tums arbeit in Ungarn eine Zukunft haben sollte. Die Haßlinger-
Rothen-Zeit kritisierte er vernichtend. Wegen ihres Rivalität -
streits ist die Gothia untergegangen. Stumpf war aber auch sehr
konstruktiv.
Er gab mir einige Hinweise, wo die deutschen Hochschüler zu
finden sind, und deutete zugleich die hohe politische Sensibil ität
dieser Frage an. Der Abend mit Stumpf, die stundenlange Aus -
sprache über bestehende Probleme war für mich außerordentlich
instruktiv und führte mich in die besonders heikle, mit viel
Sprengstoff beladene und belastete Volkstumstätigkeit ein.
Stumpf war der Einzige, der immer wieder betonte, wie notwen-
dig eine Hochschülervereinigung sei. Mit Stumpf und Ruck ka -
men wir wöchentlich zusammen wie bei einem Stammtisch, stets
nach der älteren Generation mit Bleyer. Gelegentlich kamen dazu
Dr. Batisweiler, Hochschulassistent in Budapest, Dr. Einwachter
aus Vértesacsa, Assistent an der Technischen Hochschule, Ludwig
Leber, Dr. Treier aus der Budapester Umgebung, Dr. Hans Teng -
ler aus Villany, gelegentlich auch Ägidius Faulstich. Stumpf hatte
einen guten Freund, Paul Tschida aus Güns, der eine begnadete
dichterische Fähigkeit hatte, aber lungenkrank war. Stumpf klär-
te mich auch über die Haltung der ungarischen Regierung und der
Provinzbehörden auf. Er hat auf mich einen tiefen Eindruck hin-
terlassen.
Bei der Aussprache in Bleyers Wohnung wurde mir alles noch
komplizierter, zumal ich in Rumpfungarn nicht zuhause war. Wie
ein Beichtvater interessierte sich Bleyer nach meiner Vergangen -
heit, Gegenwart und meinen Zukunftsplänen.
Mein Weg zur Suevia
In den Vorlesungspausen hielt ich mich im Hilfsverein der Medi -
zinstudenten auf und las eifrig die dort aufgelegte deutsche „Me -
dizinische Zeitschrift”. Hier traf ich Rothen, der neugierig wissen
wollte, mit welchen Erlebnissen ich von Berlin zurückgekommen
bin. Im Unterhaltungszimmer sprachen wir als Banater selbstver-
ständlich laut und vernehmlich stundenlang deutsch. Das fiel auf.
Eines Tages sprach ich die Betreuerin dieser Einrichtung an, da
ich aus ihrer ungarischen Aussprache entnahm, dass sie sicher
schwäbischer Abstammung ist. Ich frage sie auf ungarisch, wer die
Bauern sind, die mit sandbeladenen Bauernwagen durch die
Straßen von Budapest fahren und vor dem Eingang der Häuser
mit lauten zweisprachigen Rufen „Sandstein–kôpor!” anbieten.
Sie antwortete: „Das sind Schwaben aus der Umgebung, aus
Budakeszi, meine Landsleute; ich komme auch aus Budakeszi”.
„So, na sehen Sie”, antwortete ich, jetzt deutsch, „ich bin Banater
Schwabe”. Darauf antwortete auch sie deutsch: „Ich dachte, Sie
sind Deutschländer.” Nun hatten wir uns allerhand zu erzählen
und das taten wir sehr diskret in deutscher Sprache.
Eines Tages überraschte mich beim Erzählen ein Kollege in
meinem Alter und stellte sich in deutscher Sprache vor. Er wollte
wissen, woher ich bin, und als er hörte, dass ich in Berlin studiert
habe, wie ich zufrieden war, wie ich nach Berlin kam und was ich
dort erlebt habe. Am Ende unseres Gesprächs sagte er: „Ich bin
Reitinger Heinrich aus Gyönk (Tolnau), bin Deutscher, war
Kriegs teilnehmer und hatte viel Berührung mit deutschen Solda -
ten.” Das war für mich eine angenehme große Überraschung.
Reitinger ergänzte sofort: „Ich habe noch einige Kollegen und
Landsleute, die so denken wie ich.” Wenn ich es ermögliche, woll-
te er mir diese vorstellen. Ich war glücklich, das zu hören, und wir
verabredeten einen Platz, wo er auch hinkam mit Neun, Heiß,
Friedrich, Küster und Krebs. Meine Sternstunde hat geschlagen.
Diskret zogen wir uns in eine Ecke des Unterhaltungssaales des
Ärztlichen Hilfsvereins zurück und ich war erstaunt, wie aufge-
schlossen diese jungen Männer waren. Über zwei Stunden spra-
chen wir pausenlos miteinander. Alle waren aus der Schwäbischen
Türkei. Ich erzählte ihnen von den Drei Spatzen, von Bleyer und
über meine Absicht, im nächsten Semester einen deutschen Hoch -
schülerverein SUEVIA zu gründen. Bald wurde ich eine interes-
sante Figur im Hilfsverein, denn einige Tage später kam wieder
ein Medizinstudent aus Deutschkreutz, Westungarn, Raimund
Kranz und führte Gespräche mit mir, mit einer diskreten, aber
ehrlichen deutschen Gesinnung.
Über diese Begegnungen sprach ich einige Tage später nüch-
tern, kritisch analysierend mit Stumpf, der der Dynamische unter
den Hochschülern unseres Kreises war. Er war beeindruckt und
bemerkte: „Steffi, du schaffst es, geh zu Bleyer, teile ihm das mit!
Ich bringe mehr meiner Landsleute mit das nächstemal. Jetzt
musst Du, Steffi, noch ins Eötvös Kollegium gehen, dort ist Franz
Basch aus Hatzfeld und Josef Wölfel aus Güns. Bei Basch wirst du
kein Glück haben aber versuche es einmal als sein Landsmann, als
Banater!”
Nach einigen Tagen meldete ich mich an einem Stammtisch-
Nachmittag bei Bleyer und bat um einen Termin, um ihm einen
Bericht abzugeben. Als Bleyer, ohne mich zu unterbrechen, mei-
nen Bericht zu Ende angehört hatte, blieb er zunächst wortlos
zurückhaltend, dann sagte er: „Wie haben Sie das geschafft?” Ich
teilte ihm zugleich meine Absicht mit, Ende September oder
Anfang Oktober des Wintersemesters 1923 einen neuen „Verein
deutscher Hochschüler in Budapest SUEVIA” formal zu gründen.
Ich möchte keine Gothia, denn wir sind Schwabensöhne und
keine Goten und die Magyaren mögen das zur Kenntnis nehmen.
Der sonst stets verkrampfte Bleyer lockerte sich in seinem seeli-
schen Habitus und bemerkte: „Wenn das alles realistisch und nicht
irreführend ist, dann ist das eine historische Tat. Ich möchte diese
Studenten alle kennenlernen hier in meinem Arbeitszimmer.” Ich
bemerkte: „Erst im September des nächsten Semesters. denn sie
fahren jetzt nach Hause, aber ich deutete ihnen an, dass wir einen
deutschen Hochschülerverein gründen.” Kritisch haben wir die
Ereignisse besprochen, ob diese Studenten auch bei der Stange
bleiben werden, wenn es hart auf hart kommen sollte. Bleyer hatte
Befürchtungen aufgrund seiner Erfahrungen mit Gustmann; er
mahnte mich zur Vorsicht, nicht zu weit vorzupreschen. „Ich habe
Hoffnung”, sagte ich. „ich werde Erfolg haben. Ich war Kriegs -
teilnehmer und habe gelernt, Vorsicht mit Mut und Wagnis zu
koor dinieren, ich werde weiterarbeiten, ohne Sie einer Belas -
tungsgefahr auszusetzen.”
Mit der Gründung der SUEVIA BUDAPESTINA erfüllte sich
für Bleyer eine neue Perspek tive der Volkstumsarbeit, denn aus
ihr gingen seine künftigen Mitkämpfer hervor. In seiner Einstel -
lung vollzog sich ein Wandel, er fühlte sich nicht mehr vereinsamt.
Das war die geschichtliche Bedeutung der Gründung. Die Er -
fassung der deutschen Hochschüler aus der Schwäbischen Türkei
war der sehnlichste Wunsch und das oft mit großen Enttäu -
schungen verbundene Bemühen Bleyers. Seine größte Enttäu -
schung war Gustmann, der schon als Student in der in deutscher
Sprache erschienen „Landpost” in Fünfkirchen ihn immer wieder
(Fortsetzung auf Seite 22)
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