Sonntagsblatt 1/2015 | Page 20

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suchten und ihr Studium dort auch abschlossen. Die Meisten waren Offiziere mit hohen Tapferkeitsauszeichnungen, Kompa- nie kommandeure, deutsch-nationalbewusst und alle Gegner des minderheitenpolitischen Miniprogramms Bleyers. Als ich Rothen, den ich im Ärztlichen Hilfsverein an der Universität zufällig durch Haßlinger kennenlernte, 1921 bat mir eine deutsche Studentenve- rei nigung zu nennen, da ich keine kannte, empfahl er mir die letztere und nicht seine Gothia. Ich hatte es sehr eilig, denn ich wollte nach meiner Vorprüfung nach Berlin, um mein Studium dort fortzusetzen. Ich brauchte eine Bescheinigung, dass ich deutscher Volkszugehörigkeit bin, mit der ich beim Immatrikulieren in Berlin einige Vergünstigungen haben konnte. Die bekam ich von dieser Vereinigung auch, der meines Wissens deutsche Hoch- schüler aus Trianon-Ungarn nicht angehörten. Sie missbilligte besonders Bleyers Haltung in der Burgenland- und Ödenburgfrage. Die dritte deutsche Hochschülervereinigung war die Bur- schenschaft „ Longobardia”, etwa fünf Mann stark, ein schlagender Verband. Zurück zur Rivalität zwischen Haßlinger und Rothen! Haß- linger war eine außerordentlich flexible Persönlichkeit und verstand durch seinen Charme Menschen zu gewinnen. Er hatte weder magyarische Gentry-Allüren noch bloß ein Schwob aus dem Banat. Er war karrieresüchtig, der geborene Wortführer und strebte immer die Primgeige an. Rothen war ein Schönling, außerordentlich elegant, puderte sein Gesicht und war an der Börse interessiert; auch er ehrgeizig, ein Streber, auch er strebte überall die führende Position an. Beide bemühten sich um eine bevorzug- te Stellung bei Bleyer. Haßlinger gelang es auch, in den Fami- lienkreis Eingang zu gewinnen. Das hat Rothen nicht vermocht. Dieses ganz persönliche Hick-Hack füllte die Zusammenkünfte aus, wie mir Stumpf berichtet hat. Das war das Befremdende. Haßlinger hatte aber den Vorsprung bei Bleyer. Er übersiedelte später wieder nach Jugoslawien und von da nach Deutschland, wo er in der Nähe von Friedrichshafen als praktischer Arzt tätig war und nach einigen Jahren starb. Und Rothen verließ resigniert die Vereinigung bei den Drei Spatzen, weil er in dem Streit nur zweiter Sieger wurde. Der Verein verlor aufgrund dieser Rivalitäts-, ja Verleumdungskämpfe an Interesse und löste sich nach einigem Dahinsiechen auf. Mein Informator Stumpf, Student der Philo- logie, war der Einzige, der noch der Gothia nachtrauerte. Bleyer wollte von Rothen und Haßlinger nichts mehr hören. Vieles trug zum Ende der Gothia bei: die geringe Mitgliederzahl, Mangel an Nachwuchs, die Inhaltslosigkeit ihrer Arbeit, aber auch, dass dem, der es wagte, sich für minderheitenpolitische Belange einzusetzen und sich zu Bleyer zu bekennen, existenzielle Vernichtung im Berufsleben drohte.
Eine abschreckende Wirkung auf Bleyer und alle, die sich ihm angeschlossen haben, hatte der Prozess gegen den Gemeindearzt Dr. Martin Steer. Die Wirkung war: Niemand durfte mehr den Namen Steer nennen oder sich auf ihn beziehen. Das wünschte Bleyer ausdrücklich, um ihn nicht noch einmal zu gefährden. So bewirkte der Prozess, dass noch mehr Leute ängstlich, vorsichtiger wurden.
Wie mir berichtet wurde, demonstrierten in dieser entmutigenden Situation madjarische Studenten an der Universität gegen Bleyer. Da war es Dr. Schön aus Mariafeld im Banat, der sich an der Universität zu Bleyer bekannte und sich für ihn einsetzte.
Bleyers Tochter Cilli schilderte mir die verzweifelte, ausweglos erscheinende Situation so: Die Familie war tief besorgt ob des Gesundheitszustands des Vaters, der Nächte in seinem Arbeits- zimmer mit Arbeit verbrachte. Die Rivalitätskämpfe zwischen Haßlinger und Rothen, die Angst vor der existentiellen Vernich- tung derer, die sich zu ihm bekennen, im Berufsleben, die Reaktion der madjarischen Rasseschützer auf sein Mini-Natio- nalitätenprogramm führten zu einer völligen Isolierung nach außen und innen. Dass Bleyer es wagte, sich nach Trianon noch für nationale Minderheiten einzusetzen, trug ihm den Hass der politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Repräsen- tanten Ungarn ein – schließlich der Regierung und des ganzen behördlich – administrativen Apparats, ja sogar der Kirche ein. Das hat Bleyer nicht erwartet, im Gegenteil mit moralischem Verständnis der Kirche gerechnet. Über die Gesinnung des katholischen Fürstprimas in Gran unterrichtete Bleyer sein Landsmann und Schulkamerad Prälat Lepold, der dem Domkapitel angehörte, vertraulich – geheim, niemand durfte etwas davon erfahren.
Wieder in Budapest
Zum Ende des Wintersemesters im Februar 1923 verließ ich Ber- lin und übersiedelte nach Budapest, wo ich mich zum Som- mersemester immatrikulierte. In Budapest mich einzuleben und Wurzel zu schlagen war umständlich und forderte viel Kleinarbeit. Im April war ich so weit, dass ich an einem sonnigen warmen Mittwochnachmittag die Drei Spatzen ausfindig machte und mich dort vorstellte. Es war ein Gasthaus ländlicher Struktur, wo man noch etwas deutsches, heimatliches verspürte, was einen vertraut ansprach. Mehrere weiß gedeckte lange Tische aus Holz. An einem solchen saß eine Gruppe älterer Herren von über 50 Jah- ren, denen man vorwiegend den k. u. k. Offizier i. R. ansah. In der Mitte saß Bleyer, der mit seinen etwas Hindenburg-ähnlichen Gesichtszügen auffiel. Er sprach ernst und lebhaft darüber, was ihn bewegte. Es war eine deutsche Stammtischgesellschaft älterer Herren um Bleyer. Ich stellte mich vor und sagte: Ich suche die Vereinigung deutscher Studenten in Budapest. Bleyers Gesichts- züge wurden ernst und in der allgemeinen Stille fragte er mich, von wo ich komme, woher ich bin, und noch einmal nach meinem Namen( Steyer klingt ähnlich wie Steuer). Ich erwiderte, ich sei Banater Schwabe aus Großbetschkerek, Medizinstudent und will in Budapest mein Studium abschließen. Bleyer kam mit der nächsten Frage: Was haben Sie sonst noch in Berlin gemacht, gehörten Sie einer Studentenverbindung an? und ob ich Haßlinger und Rothen kenne? Meine Antwort: In Berlin trat ich keiner Hochschülerorganisation bei, weil deren etatistische Denkweise mich und viele andere Studenten aus Jugoslawien, Rumänien und der Slowakei befremdet hat. Die deutschen Hochschüler aus den Nachfolgestaaten Ungarns irrten wie verlassene Jungen in Berlin herum, sie traten keinem reichsdeutschen studentischen Verband bei, weil man sie dort als Jugoslawen, Ru- mänen, Tschechoslowaken angesehen und behandelt hat. Ich traf den einen und andern zufällig im Kolleg und in der Aula und wir besprachen die Situation. Ich ergriff die Initiative und gründete die Südostschwäbische Landsmannschaft Berlin, um durch den Namen uns lokalisieren zu können und unser Dasein am Schwarzen Brett bekanntzugeben. Wir wurden zahlenmäßig stark und über die Landesgrenzen hinaus entwickelte sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter uns. In diesem Verein waren auch deutsche Studenten aus der Sathmarer Gegend Mitglieder. Bald fand er Nachahmung an andern Universitäten wie Leipzig, München, Heidelberg und wurde später an allen Universitäten eingeführt. Ich besuchte allerdings als Gast einige Hochschüler- vereine, wo ich informative Vorträge über die deutsche Volksgruppe in Vor-Trianon-Ungarn hielt. Diese Mitteilung machte auf Bleyer Eindruck, sein skeptisches Gesicht verwandelte sich und nahm freundlichere Züge an. Er bestellte mich für den nächsten Tag zur weiteren Aussprache zu sich in seine Wohnung. Bei dieser Gelegenheit wurde ich auch Major Teutsch, dem Siebenbürger, Oberst Werth, dem späteren Generalstabschef der Honved, Ministerialrat Anton Potz, Major Peter Loch, dem früheren Staatssekretär Dr. Jekel aus Siebenbürgen, Hauptmann i. R.
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