Sonntagsblatt 1/2015 | Page 13

sb15-1:sb14-2.qxd 2015.02.12. 8:44 Oldal 13 Komitaten Weißenburg, Wesprim, in der Schomodei und Tolnau, im Donau-Theiß-Zwischenstromland und in einigen weiteren Orten niedergelassen. Während der mehr als tausendjährigen gemeinsamen Geschichte kamen die Kriege meist von außen, während die in Ungarn heimisch gewordenen Deutschen im Wesentlichen konfliktfrei und friedlich mit den anderen Nationen zusammenlebten. Dann kamen die beiden Weltkriege und schließlich wurde ein Großteil der 300.000 – 400.000 Seelen zäh- lenden deutschen Minderheit aufgrund eines Beschlusses des ungarischen Ministerrates vom 17. Dezember 1945 nach Deutschland ausgesiedelt und deportiert. Die Wetschescher schwäbische Gemeinschaft wurde auch nicht verschont. Über die Eregnisse von vor 70 Jahren sowie über die Gegenwart und Zukunft der Ungarndeutschen hat Levente Sükösd mit Michael Frühwirth, einem der Gründer des Wetschescher Heimat - museums, das vor drei Jahren eingerichtet wurde, gesprochen. Levente Sükösd (LS): Ich rechne nach, wieviele Jahrzehnte von 1946 bis 2014 vergangen sind… Wenn man hier durch die Räume des so genannten Heimatmuseums, einer ehemaligen schwäbischen Wohnung, spaziert, dann meint man die Atmosphäre des Alltags von damals zu spüren. Michael Frühwirth (MF): Die Welt hat sich seitdem sehr verän- dert, damals war diese bäuerliche Lebensform mit viel mehr kör- perlicher Arbeit verbunden, und was das Haus nicht zeigen kann, das sind Hof und Wirtschaftsgebäude. Da sie von dem Besitzer nicht mehr gebraucht wurden, ließ er sie dann abreißen. Also, das ist nicht diese Welt. LS: Aber, so denke ich, wird die Mentalität tradiert, auch wenn es eine längere Zeit gab, Jahrzehnte, in denen es versucht wurde, diese in den Köpfen zu löschen. Was ist von der Mentalität übriggeblieben, die der Gemeinschaft Leben einhauchte? MF: Das Wichtigste ist, so denke ich, ihr Fleiß. Die Wetschescher Schwabenfamilien mussten nach dem Weltkrieg zweimal neu beginnen. Es wird mehr über die gesprochen, die vertrieben wur- den, und weniger über die, die hier geblieben sind. LS: Es gab ein großes Trauma, was die Ausgesiedelten überleben mussten, aber die Integration gelang doch nach einer gewissen Zeit, der Hoffnungsschimmer eines neuen Lebens fing an zu glänzen, die hier Gebliebenen sollten es hingegen viel schwerer gehabt haben. MF: Der Hansi Bayer, der als junger Bursche ausgesiedelt wurde und den wir gut kannten, sagte einmal, meine Frau stand dabei: „Weißt Du, wenn ich heimfahre, wie schwer es ist, an unserem Haus vorbeizugehen?!” Meine Frau entgegnete: „Weißt Du, wie schwer es einem fällt, fast jeden Tag an unserem Haus vorbeizuge- hen?!” Wenn Sie das auf der Zunge zergehen lassen, dann stellen Sie fest, dass eine ganze Menge Wahrheit drinsteckt, denn viele der Daheimgeblienen wurden enteignet, da an die Stelle der Vertriebenen noch nicht die aus dem ehemaligen Oberungarn kamen, sondern eher die von der Tiefebene, Agrarproletarier oder die Hewescher Landarbeiter, und bis die Madjaren aus dem ehemaligen Oberungarn verfolgt wurden, konnten nur noch die Reste verteilt werden. Und das war ein nächstes Trauma, als man im eigenen Haus den Schwaben ertragen musste, der sein Haus verloren hat. Das war schwieriger als die Vertreibung selbst, das war eine tragische Geschichte. Wir sprachen dann noch gar nicht von der Verschleppung: Bevor der Frieden einkehren konnte, wurden zweihundert Menschen im arbeitsfähigen Alter, nicht nur Männer, sondern auch Mädchen und Frauen verschleppt, also das war das Erste, im nächsten Jahr folgte die Aussiedlung, danach das Einquartieren, und sie sollen sich das so vorstellen, dass man sich binnen eines Jahrzehnts so auf die eigenen Füsse stellt, dass man nach 1956 begann, Häuser zurückzunehmen. Denn derjeni- ge, der vom Staat sozusagen als Geschenk ein Haus erhalten hat, der fühlte sich in gewissem Sinne unwohl, und er wünschte sich ein Schriftstück, worauf steht, dass er das Haus gegen Bargeld erwor- ben hat. Und dann begann man, alte Bauernhäuser zu verkaufen, das wurde entweder von dem Besitzer, der sich in Ungarn aufhielt, oder von der Verwandtschaft zurückgenommen, und so stellte man sich wieder auf eigene Füße. Fünf Jahre später folgte die Kollektivierung: Die neu hergerichteten Wagen und die Pferde wurden weggebracht. Die Geschichte, die mich bislang am meis- ten berührte, ist mit der Gasse, die zum Bahnhof führt, verbun- den: Dort gab es eine Näherei und die Böckl Lissi-Basl erzählte mir: „Weißt Du, Michi, ich habe noch nichts Grausameres erlebt, als die Bauern ihre Pferde zum Bahnhof brachten, sie weinten dabei, das war auch ein großes Trauma. Unter den LPGs gehörte Wetschesch nicht zu den schlechtesten, denn nach einer gewissen Zeit erkannte man, dass man schaffen muss, und möglicherweise war es von Vorteil, dass man in der Wetschescher LPG Teilbewirt - schaftungstechniken entwickelt hat, wo das Eigeninteresse doch eine Rolle spielte, und so konnte die traditionelle Bewirtschaftung auf diesen Hauswirtschaftsparzellen und den angemieten Flächen ein Stück weit fortbestehen. LS: So stellt sich oft die Frage nach dem Geheimnis der Wetschescher Kraut, und es gibt irgendwelche geheimnisvolle Verweise auf die Tech - nologie, die versteckten Geheimnisse, aber ich habe den Ver dacht, dass das Geheimnis ganz woanders zu suchen wäre, also viel eher bei der Mentalität. MF: Ganz sicher. Ich pflege zu sagen: Um ein Produkt verkaufen zu können, muss man auf dem Markt erscheinen. Dazu bedarf es einer Haltung. Es ist sehr wichtig, was derjenige für einen Cha - rakter ist, der hinter dem Pult steht, wie pedant er ist, sauber, wie gut die Ware für den Verkauf vorbereitet ist. So kann man den guten Ruf aufrechterhalten. Fleiß spielte eine große Rolle. Wenn man bedenkt, Wetschesch entstand 1786, besiedelt wurde es nicht durch Siedler aus Deutschland, sondern durch Siedler aus den bereits übervölkerten Anrainergemeinden wie Schorokschar, Taks, Harast, oder wenn man die Ofner Seite nimmt, aus Ko - watsch, Weindorf, von dort kamen Familien, so führte ihr Weg hierhin, weil sie Mut hatten. Als Grassalkovich verlauten ließ, dass hier 50 Grundstücke mit Boden und Feldern zur Verfügung ste- hen, dann brachten sie Mut auf. Der Großvater meines Urgroß - vaters ist in Taks geboren, wurde in der Innerstädtischen Pfarr - kirche getauft, heiratete auf Tschepele, ließ Kinder in Sári und Monor taufen und war bereits 1786 in Wetschesch. Wenn man bedenkt, diese Art von Mobilität ist heute eher untypisch. Der Beweggrund war sicherlich das, dass er etwas erreichen wollte, und diejenigen, die aus anderen Gemeinden hierher kamen, ha - ben es statistisch belegt weiter gebracht als die in den umliegenden Dörfern. Aus den Statistiken geht eindeutig hevor, dass während in den Nachbardörfern traditionelle Bodenwirtschaft betrieben wurde, übergingen die Wetschescher ganz schnell zur Gemüsepro - duktion, sie wurden marktorientiert, unter anderem wegen der Nähe zur Hauptstadt, und nach der Vereinigung von Ofen, Alt - ofen wurde es ein Abnahmemarkt, oft brachen an die 100 Pferde - wagen gen eines einzigen Marktes auf, die suchten dabei auch die Ofner Seite auf. Die Position der Frauen in der Familie war sehr stark, sie wurden aktive Bestandteile der landwirtschaftlichen Produktion. Die Ereignisse, die für die Gemeinschaft Gelegenheit für Zusammenkommen boten, die verlieren an Bedeutung. Ich sage oft, dass ich die Generation meiner Kinder noch aus der Kirche kannte, jetzt lerne ich sie dort nicht mehr kennen. Die Eregnisse, die die Gemeinschaft zusammenschweißten, die waren die Hochzeiten, wo man auch den einladen musste, den man nicht so recht leiden konnte, und wo man doch die Gelegenheit hatte, sich zu versöhnen. Sehr viele Motive sind bis heute fade gewor- den. Das größte Problem ist der Sprachverlust, wenn sie beden- (Fortsetzung auf Seite 14) 13