sb15-1: sb14-2. qxd 2015.02.12. 8:44 Oldal 15
die ganz naiven und „ sehr madjarischen” Seelen können daran glauben, dass wir davon einen Vorteil hatten.
Diese sieben Nationalitäten haben hinsichlich einer Frage einen gemeinsamen Nenner gefunden, was sie in einem Lager versammelte und gegen den ungarischen Staat wenden ließ, der sie in ihrem nationalen Dasein gleichermaßen einschränkte. Nicht nur Selbstverwaltungsrechte wurden ihnen verwehrt, sondern auch die Möglichkeit, auf dem Gebiet der Schulbildung, der Verwaltung und in der Rechtsprechung ihre Sprache zu benutzen. Das gilt für die Kroaten nicht ganz, aber dies hinderte sie nicht daran, gegenüber den Madjaren Gegenliebe zu verspüren. Sie konnten zu Recht das Gefühl haben, dass der ungarische Staat sie unterdrückt. Ein Beleg dafür ist die Kleine Entente, die die Tsche- choslowakei, Jugoslawien und Rumänien umfassten. Das wissen mit Sicherheit meine Diskussionspartner, aber halten es für besser, darüber zu schweigen. Worüber wir nicht sprechen, das existiert nicht – denken auch heute viele. Daraus ergeben sich mehrere Schlussfolgerungen. Es hat keinen Sinn, abgesehen von der Nostalgie und dem Quälen des madjarischen Herzens, die 71 resp. 63 Komitate in Erinnerung zu rufen.( Die 64 Komitate machen schon gar keinen Sinn. Die Stadt Rijeka war Teil des Komitats Modruš-Rijeka, war weder staatsrechtlich noch im geografischen Sinne eigenständig.) Wir haben gesehen, dass man lediglich im Falle von 16 Komitaten einen Grund hätte, diese in Erinnerung zu rufen, von den 71. Man könnte sich sogar beschweren, wenn es ein „ Internationales Beschwer- debüro” für weltweit begangene Ungerechtigkeiten gäbe. Es ist lächerlich und sinnlos, im 21. Jahrhundert die Karte vom ehemaligen Großungarn hochzuhalten. Es mag sein, dass das kein Gesetz verbietet, aber was für einen Sinn macht das? „ Das tausendjährige Ungarn der Heiligen Krone” ist auch eine gutgemeinte Verdrehung. Von den tausend Jahren fehlen dreihundert, in den „ Großungarn” nicht existierte. Zu dieser Karte haben wir seit beinahe hundert Jahren keinen Bezug mehr. Heutzutage dient sie lediglich dazu, den in den madjarischen Köpfen vorhandenen Irrglauben warmzuhalten und nebenbei unsere Nachbarn zu ärgern. Was die Heilige Krone anbelangt, diese kann für einen gläubigen Katholiken von großem Wert sein, aber sie ist nicht mehr als ein Symbol. Die protestantischen Kirchen kennen keine Heiligen. Ein gläubiger Protestant kann beim besten Willen nur das akzeptieren, dass wir(?) diese Krone als die des Staats grün- ders Stephan I. betrachten. Abgesehen von der religiösen Überzeugung ist diese Krone aus kunsthistorischer Sicht ein musealer Gegenstand unbekannter Herkunft. Es ist schon gar nicht akzeptabel, dass wir im 21. Jahrhundert als Mitglied der Europäischen Union mit 63 oder 64 Komitaten „ hausieren”. Welchen Vorteil haben wir davon? Bei unseren Nachbarn sorgt es für Missgunst, im Westen für ein Lächeln. Wir brauchen weder das eine noch das andere. Gut möglich, dass viele davon gut leben, aber auch dann sollte man unsere uninformierten Landsleute nicht damit hetzen. Mit so viel Kraft könnten wir dann auch Großungarn des Heiligen Ladislaus in Erinnerung rufen. Sie wissen, aus der Zeit, als Sándor Petôfi das Gedicht „ A hazáról” verfasste: Oh, groß war einst der Madjare / Ungar, Seine Macht, sein Besitz waren unendlich, Im Wasser des ungarischen Meeres versank Der sinkende Stern des Nordens, Ostens und Südens. Heutzutage wird eine Stimmungsmache rund um die 64 Komitate Groß-Ungarns betrieben, die mit Emotionen spielt, in die Irre führt und unüberlegt ist. Am Auto oder Geschäft jedes besseren Madjaren prangert die Karte Groß-Ungarns. Wenn mög lich mit den Arpadenstreifen, oder auch ohne sie. Anschei- nend sind sie sehr stolz darauf, obwohl diese Karte ein Zeugnis für ihre Uninformiertheit, ihr wirres Denken und ihre mangelhaften Kenntnisse ist. Es ist unverständlich, welchem Zweck diese Kar- ten dienen. Die madjarische Bevölkerungsmehrheit von 90 – 100 % von Borschod, Tschongrad, der Schomodei und von Saboltsch erklärt es nicht, warum man sich über die Abtretung der Komitate Arwa, Lipto, Neusohl, Trentschin oder Fogarasch, Eisenmarkt und Szolnok-Doboka beklagt.
Albert Apponyi und Pál Teleki haben es auch so oder ähnlich auf der Friedenskonferenz von 1920 versucht. Wir haben gesehen, mit welchem Ergebnis. Ihre Argumentation war gelinde gesagt unglücklich, ihr Auftritt glücklos. Die „ Pontonhíd” hat darüber ausführlich berichtet. Wir haben sehr schlecht argumentiert, aber es ist auch Fakt, dass sich in Versailles keiner um die Argumente der Besiegten kümmerte. Unzählige Städte und Gemeinden mit einer madjarischen Bevölkerungsmehrheit von 80 – 90 % blieben außerhalb unserer Landesgrenzen. Bereits 1920 sprach man nicht vom ethnischen Prinzip, sondern von der Befriedigung der territorialen Ansprüche des neu geschaffenen tschechoslowakischen und jugoslawischen Staates wie Rumäniens. Es ging um einen „ Cor- don sanitaire”, was gegen die Ansteckungsgefahr des „ bolschewistischen Russlands” eingerichtet wurde. Wegen unserer gewaltsamen Nationalitätenpolitik waren wir im Kreise der Entente diplo- maten so verrucht, dass wir auf der Friedenskonferenz so gut wie keine Chance hatten. Wir erinnern uns daran, dass ein britischer Diplomat von der notwendigen Bestrafung des „ turanischen Stammes” sprach.
Johann Wachtelschneider
Evakuierung Schorokschars 1944( I)
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Im November 1944 hatte sich die militärische Lage um die ungarische Hauptstadt Budapest dramatisch verändert. Die aus verschiedenen Richtungen vorrückende „ Rote Armee” stand kurz vor Budapest und war im Begriff, um die Hauptstadt einen Bela- gerungsring aufzubauen, der sich dann später zum Kessel verdichten sollte.
Unsere Großgemeinde Soroksár war das südliche Einfallstor in die Innenstadt von Budapest, denn hier trafen sich die beiden wichtigsten Straßen, die aus Südungarn in die Metropole führten.
Aus Szeged im Südosten und aus dem Süden, der Donau entlang aus Richtung Belgrad rückten verschiedene Armee-Ein hei- ten der Sowjets nach Budapest vor. In der Stadt und in den Außen bezirken hatten sich Einheiten der „ Deutschen Wehr- macht” und der ungarischen „ Honvéd” daran gemacht, einen Ver- tei digungsgürtel auf- und auszubauen.
Im Vorfeld der zu erwartenden Kämpfe musste unsere Ge- meinde ab November 1944 geräumt und evakuiert werden. Überwacht wurde die ganze Aktion von deutschen und ungarischen Militärs. Als dieser Räumungsbefehl gegeben wurde, herrschte in der Gemeinde große Aufregung. Allen Bewohnern wurde nun deutlich bewusst, dass der Krieg jetzt auch unseren Ort erreicht hatte und die Sache nun ernst werden würde.
Die Evakuierung erfolgte hauptsächlich nach Pesterzsébet und nach Budapest. Jede Familie musste sich nach einem „ Unter- schlupf” umsehen. Da unsere Familie ein Kühleisgeschäft von So- roksár aus in der Franzstadt( Ferencváros) betrieb, hatten wir viele Bekannte in diesem Stadtbezirk. Dadurch war die Suche nach einer Bleibe relativ kurz. Andere Haushalte hatten dabei enorme Probleme; waren doch in der Hauptstadt tausende von Menschen unterzubringen.
( Fortsetzung auf Seite 16)
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