voller Tatendrang.
Coping heißt: bewältigen.
Neurobiologisch wird dabei das Angst-
Adrenalin durch Dopamin ersetzt, eine
Art körpereigener Zukunfts-Droge.
Während uns Adrenalin zu Flucht oder
Kampf anleitet (was auf dem
Zahnarztstuhl nicht so richtig produktiv
ist, ebenso wenig wie beim Kampf
gegen Corona), öffnet Dopamin unsere
Hirnsynapsen: Wir sind gespannt auf
das Kommende, neugierig,
vorausschauend. Wenn wir einen
gesunden Dopamin-Spiegel haben,
schmieden wir Pläne, haben Visionen,
die uns in die vorausschauende
Handlung bringen.
Erstaunlicherweise machen viele in der
Corona-Krise genau diese Erfahrung.
Aus einem massiven Kontrollverlust
wird plötzlich ein regelrechter Rausch
des Positiven. Nach einer Zeit der
Fassungslosigkeit und Angst entsteht
eine innere Kraft. Die Welt »endet«,
aber in der Erfahrung, dass wir immer
noch da sind, entsteht eine Art Neu-
Sein im Inneren.
Mitten im Shut-Down der Zivilisation
laufen wir durch Wälder oder Parks,
oder über fast leere Plätze. Aber das ist
keine Apokalypse, sondern ein
Neuanfang.
So erweist sich: Wandel beginnt als
verändertes Muster von Erwartungen,
von Wahr-Nehmungen und Welt-
Verbindungen. Dabei ist es manchmal
gerade der Bruch mit den Routinen,
dem Gewohnten, der unseren
Zukunfts-Sinn wieder freisetzt. Die
Vorstellung und Gewissheit, dass alles
ganz anders sein könnte – auch im
Besseren.
Glaubwürdigkeit, eine neue Legitimität.
Gerade weil sie »autoritär« handeln
musste, schuf Politik Vertrauen ins
Gesellschaftliche. Auch die
Wissenschaft hat in der
Bewährungskrise eine erstaunliche
Renaissance erlebt. Virologen und
Epidemiologen wurden zu Medienstars,
aber auch »futuristische« Philosophen,
Soziologen, Psychologen,
Anthropologen, die vorher eher am
Rande der polarisierten Debatten
standen, bekamen wieder Stimme und
Gewicht.
Fake News hingegen verloren rapide an
Marktwert. Auch
Verschwörungstheorien wirkten
plötzlich wie Ladenhüter, obwohl sie
wie saures Bier angeboten wurden.
Ein Virus als Evolutionsbeschleuniger
Tiefe Krisen weisen obendrein auf ein
weiteres Grundprinzip des Wandels
hin: Die Trend-Gegentrend-Synthese.
Die neue Welt nach Corona – oder
besser mit Corona – entsteht aus der
Disruption des Megatrends
Konnektivität. Politisch-ökonomisch
wird dieses Phänomen auch
»Globalisierung« genannt. Die
Unterbrechung der Konnektivität –
durch Grenzschließungen,
Separationen, Abschottungen,
Quarantänen – führt aber nicht zu
einem Abschaffen der Verbindungen.
Sondern zu einer Neuorganisation der
Konnektome, die unsere Welt
zusammenhalten und in die Zukunft
tragen. Es kommt zu einem
Phasensprung der sozio-
ökonomischen Systeme.
Vielleicht werden wir uns sogar
wundern, dass Trump im November
abgewählt wird. Die AFD zeigt
ernsthafte Zerfransens-Erscheinungen,
weil eine bösartige, spaltende Politik
nicht zu einer Corona-Welt passt. In
der Corona-Krise wurde deutlich, dass
diejenigen, die Menschen
gegeneinander aufhetzen wollen, zu
echten Zukunftsfragen nichts
beizutragen haben. Wenn es ernst
wird, wird das Destruktive deutlich, das
im Populismus wohnt. Die kommende Welt wird Distanz
wieder schätzen – und gerade dadurch
Verbundenheit qualitativer gestalten.
Autonomie und Abhängigkeit, Öffnung
und Schließung, werden neu
ausbalanciert. Dadurch kann die Welt
komplexer, zugleich aber auch stabiler
werden. Diese Umformung ist
weitgehend ein blinder evolutionärer
Prozess – weil das eine scheitert, setzt
sich das Neue, überlebensfähig, durch.
Das macht einen zunächst schwindelig,
aber dann erweist es seinen inneren
Sinn: Zukunftsfähig ist das, was die
Paradoxien auf einer neuen Ebene
verbindet.
Politik in ihrem Ur-Sinne als Formung
gesellschaftlicher Verantwortlichkeiten
bekam in dieser Krise eine neue Dieser Prozess der Komplexierung –
nicht zu verwechseln mit Komplizierung
– kann aber auch von Menschen
bewusst gestaltet werden. Diejenigen,
die das können, die die Sprache der
kommenden Komplexität sprechen,
werden die Führer von Morgen sein.
Die werdenden Hoffnungsträger. Die
kommenden Gretas.
„Wir werden durch Corona unsere
gesamte Einstellung gegenüber dem
Leben anpassen – im Sinne unserer
Existenz als Lebewesen inmitten
anderer Lebensformen.”
Slavo Zizek im Höhepunkt der
Coronakrise Mitte März
Jede Tiefenkrise hinterlässt eine Story,
ein Narrativ, das weit in die Zukunft
weist. Eine der stärksten Visionen, die
das Coronavirus hinterlässt, sind die
musizierenden Italiener auf den
Balkonen. Die zweite Vision senden
uns die Satellitenbilder, die plötzlich die
Industriegebiete Chinas und Italiens frei
von Smog zeigen. 2020 wird der
CO&sub2;-Ausstoss der Menschheit
zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache
wird etwas mit uns machen.
Wenn das Virus so etwas kann –
können wir das womöglich auch?
Vielleicht war der Virus nur ein
Sendbote aus der Zukunft. Seine
drastische Botschaft lautet: Die
menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu
schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast
zu sehr in eine bestimmte Richtung, in
der es keine Zukunft gibt.
Aber sie kann sich neu erfinden.
System reset.
Cool down!
Musik auf den Balkonen!
So geht Zukunft.
Corona: Wenn ein Virus unser Leben beherrscht
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