Rolling Pin Jan. 2015 | Page 26

VIRGILIO MARTÍNEZ. Virgilio Martinez uber den momentanen Sudamerika-Hype. 800 Reservierungsanfragen pro Tag und einem umgerechneten Preis von etwa 110 Euro für das „Mater-Elevations“-Menü, bei dem jeder Gang nur aus Produkten besteht, die sich in derselben Höhenlage befinden. Aber 65 Mitarbeiter auf 65 Plätze gerechnet zollen eben ihren finanziellen Tribut – und dass Martínez einige Gäste kostenlos in den Genuss seines Menüs kommen lässt, trägt den Rest dazu bei: „Wenn ein Peruaner in mein Restaurant kommt, dann weiß ich, dass er gespart hat. Denn das Menü kostet etwa ein Viertel seines Monatsgehalts. Und sitzt er dann andächtig vor seinen Gerichten und ich sehe, wie sehr er sich darüber freut, dann streiche ich seine Rechnung.“ Sich selbst in den Ruin treiben will Martínez mit dieser Art, Business zu machen, freilich nicht. Das Geld für die Pflege der kulinarischen Kulturgüter seines Landes lukriert er aus den beiden Restaurants, die er in London gemeinsam mit zwei venezolanischen Geldgebern und Partnern betreibt. Das Lima Fitzrovia und das Lima Floral. Zwei einträgliche Cash-Cows, die präzise auf den Südamerika-Hype Europas abgestimmt sind. Gemeinsamkeiten mit dem Central Restaurant in Lima gibt es so gut wie keine. In London werden traditionelle peruanische Gerichte, die neu aufgemotzt wurden, wie „Root Pachamanca“ und „Sea Bream Ceviche“ serviert. Auf hohem Niveau, aber lässig heruntergebrochen und für die breite Masse zugänglich. Etwa alle drei Monate ist er vor Ort, kommt er zurück, ist sein erster Weg in die Küche des Central. Meist gleich mit Gepäck. Dass er überhaupt eines Tages in einer 024 Küche stehen würde, war so allerdings auch nicht absehbar. Als angehender Jurist überlegte er sich während des Wartens auf die Einschreibung für das neue Semester, dass er dann doch lieber Koch als Anwalt werden möchte. Das Studiengeld bekam der Vater zurück und Martínez machte sich auf, um nach einer Ausbildung an der renommierten Cordon-Bleu-Akademie mehr als ein Jahrzehnt durch die Küchen der Welt zu reisen. Von London über Singapur, wo er eine Stage im Four Seasons machte, bis hin zum Can Fabes in Sant Celoni. Irgendwann hatte Martínez allerdings genug davon, sich perfektionieren zu lassen. Er wollte spielen, wollte wieder Chili mit Fisch. Und zwar daheim. Und jetzt eben: Isco-Kartoffel, Cushuro und Mullaca-Wurzel. „Extreme Altitude“. Das Herzstück dieses Gerichtes mit der Höhenangabe 4200 ist die Isco-Kartoffel, die als eine Variante der Chuño, als Tunta, verarbeitet wird. Zwar hat Peru mehr als 3000 Kartoffelsorten, aber deswegen sind diese nicht länger haltbar als die hierzulande. So wird die frostresistente Sorte Isco nach der Ernte auf natürlichem Weg gefriergetrocknet – nämlich nachts im Frost auf über 4000 Meter Seehöhe. Dadurch wird ihr das Wasser entzogen und die Sonne am nächsten Tag trocknet die Kartoffel aus. Mehrfach wiederholt und zwischen den Trocknungsetappen unter fließendem Wasser gewaschen, entstehen die Tunta. Martínez kombiniert dieses traditionsreiche Basisprodukt mit Cushuro, den wiederentdeckten „Tränen der Bitterkeit“. Erst im letzten Jahr wurden sie von Mater Fotos: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7 ICH MOCHTE KEIN TREND SEIN. SONDERN VERANDERUNG.