VIRGILIO MARTÍNEZ.
Virgilio Martinez uber den momentanen Sudamerika-Hype.
800 Reservierungsanfragen pro Tag und
einem umgerechneten Preis von etwa 110
Euro für das „Mater-Elevations“-Menü, bei
dem jeder Gang nur aus Produkten besteht,
die sich in derselben Höhenlage befinden.
Aber 65 Mitarbeiter auf 65 Plätze gerechnet
zollen eben ihren finanziellen Tribut – und
dass Martínez einige Gäste kostenlos in den
Genuss seines Menüs kommen lässt, trägt
den Rest dazu bei: „Wenn ein Peruaner in
mein Restaurant kommt, dann weiß ich,
dass er gespart hat. Denn das Menü kostet
etwa ein Viertel seines Monatsgehalts. Und
sitzt er dann andächtig vor seinen Gerichten und ich sehe, wie sehr er sich darüber
freut, dann streiche ich seine Rechnung.“
Sich selbst in den Ruin treiben will
Martínez mit dieser Art, Business zu machen, freilich nicht. Das Geld für die Pflege
der kulinarischen Kulturgüter seines Landes lukriert er aus den beiden Restaurants,
die er in London gemeinsam mit zwei venezolanischen Geldgebern und Partnern
betreibt. Das Lima Fitzrovia und das Lima
Floral. Zwei einträgliche Cash-Cows, die
präzise auf den Südamerika-Hype Europas
abgestimmt sind. Gemeinsamkeiten mit
dem Central Restaurant in Lima gibt es
so gut wie keine. In London werden traditionelle peruanische Gerichte, die neu aufgemotzt wurden, wie „Root Pachamanca“
und „Sea Bream Ceviche“ serviert. Auf
hohem Niveau, aber lässig heruntergebrochen und für die breite Masse zugänglich.
Etwa alle drei Monate ist er vor Ort, kommt
er zurück, ist sein erster Weg in die Küche des Central. Meist gleich mit Gepäck.
Dass er überhaupt eines Tages in einer
024
Küche stehen würde, war so allerdings
auch nicht absehbar. Als angehender Jurist
überlegte er sich während des Wartens auf
die Einschreibung für das neue Semester,
dass er dann doch lieber Koch als Anwalt
werden möchte. Das Studiengeld bekam
der Vater zurück und Martínez machte sich
auf, um nach einer Ausbildung an der renommierten Cordon-Bleu-Akademie mehr
als ein Jahrzehnt durch die Küchen der
Welt zu reisen. Von London über Singapur,
wo er eine Stage im Four Seasons machte, bis hin zum Can Fabes in Sant Celoni.
Irgendwann hatte Martínez allerdings genug davon, sich perfektionieren zu lassen.
Er wollte spielen, wollte wieder Chili mit
Fisch. Und zwar daheim.
Und jetzt eben: Isco-Kartoffel, Cushuro
und Mullaca-Wurzel. „Extreme Altitude“.
Das Herzstück dieses Gerichtes mit der
Höhenangabe 4200 ist die Isco-Kartoffel,
die als eine Variante der Chuño, als Tunta,
verarbeitet wird. Zwar hat Peru mehr als
3000 Kartoffelsorten, aber deswegen sind
diese nicht länger haltbar als die hierzulande. So wird die frostresistente Sorte Isco
nach der Ernte auf natürlichem Weg gefriergetrocknet – nämlich nachts im Frost
auf über 4000 Meter Seehöhe. Dadurch
wird ihr das Wasser entzogen und die Sonne am nächsten Tag trocknet die Kartoffel
aus. Mehrfach wiederholt und zwischen
den Trocknungsetappen unter fließendem
Wasser gewaschen, entstehen die Tunta.
Martínez kombiniert dieses traditionsreiche Basisprodukt mit Cushuro, den wiederentdeckten „Tränen der Bitterkeit“. Erst
im letzten Jahr wurden sie von Mater
Fotos: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7
ICH MOCHTE KEIN
TREND SEIN. SONDERN
VERANDERUNG.