Neue Debatte - Beiheft #006 - 04/2017 Über die Korruption in Frankreich | Page 3
die Zuständigkeit abstreitet von ihr Re-
chenschaft zu ver-
langen und sich da-
mit der Polizei und
der Justiz entzieht.
Nein, es ist die Ge-
samtheit aller Abge-
ordneten, unabhän-
gig davon, ob sie mit
Ja gestimmt oder
Marine Le Pen
sich enthalten haben,
die sich da kollektiv eine Amnestie be-
schafft haben.
In einer Vollversammlung von vergange-
ner Woche (von Nuit Debout) auf der
Place de la République in Paris sagte je-
mand zurecht, dass man sich neuerdings
aus der Kasse bedienen kann, und wenn
man nur geschickt genug ist, um das über
zwölf Jahre lang zu vertuschen, dann darf
man das Geld behalten. Das ist eine Vertu-
schungsprämie, eine Belohnung für die
Lüge. Also gilt natürlich: Empört Euch!
Empört euch ohne Unterlass.
Geißelt die korrupten Abgeordneten,
wenn sie wie die Ratten rennen, um die
Namen ihrer parlamentarischen Mitarbei-
ter auszutauschen, bevor das Schiff sinkt.
20-25% von ihnen beschäftigen einen
Ehepartner oder ein Familienmitglied.
Selbst wenn es keine Scheinbeschäftigung
ist, nennt man das Nepotismus [4] . Und das
ist so alt wie die römische Republik.
Die parlamentarische Demokra-
tie als Klassenregime
Auf eine bestimmte Art liegen wir jedoch
falsch, wenn wir uns empören. Wir liegen
falsch, wenn wir hier auf der Place de la
République über das Verhalten unserer
Volksvertreter klagen. Wir haben keinen
Grund zur Klage, wenn wir nur das Verhal-
ten von Frau Le Pen und ihrer Parteisolda-
ten anklagen, der korruptesten und am
häufigsten verurteilten Partei Frankreichs.
Wir brauchen uns hier nicht zu versam-
meln, wenn wir nur hier sind, um uns er-
staunt darüber zu zeigen, dass Herr Fillon
nicht der gute Familienvater und fromme
Christ ist, als den er sich ausgibt.
Wir haben unrecht so naiv zu sein. Denn
diese Korruption hängt nicht von diesen
Einzelpersonen ab. Diese Korruption ist in
Wahrheit die Regel einer Klasse. Seien wir
also nicht überrascht. Denn die Überra-
schung und die Entrüstung lähmen die
Handlung. Das Wunder steckt anderswo:
Es liegt in der Natur eines Abgeordneten
der parlamentarischen Republik korrum-
pierbar zu sein oder sich in der Lage dafür
zu befinden, der Versuchung ausgesetzt zu
sein. Warum? Vielleicht weil er der Mei-
nung ist, so hört man, dass er nicht ange-
messen entlohnt wird und auf eine gewis-
se Weise hat er sicherlich recht.
Zu gering entlohnt für eine Scheinbeschäf-
tigung, denn er kommt zur Abstimmung
nicht ins Parlament, weil er Besseres zu
tun hat – wir bemerken die Ironie, wenn
er behauptet, dass seine Frau keinen Par-
lamentsausweis hat, dann deswegen, weil
sie sich um lokale Angelegenheiten küm-
mert, während er sich mit nationalen An-
gelegenheiten befasst; zu gering entlohnt,
dies gilt vor allem im Vergleich zu der Klas-
se, zu der er gehört, der Großbourgeoi-
sie [5] .
Jetzt bin ich eine Erklärung schuldig: Vor
einigen Tagen hat Alain Minc, der große
„Verwerter“ von fremden Früchten, der
für gewöhnlich seine Kollegen plagiert,
erklärt, dass – Sie haben es vielleicht gele-
sen – der Grund für diese Korruption und
die Unterschlagung von Geldern darin liegt,
dass die Abgeordneten unterbezahlt sind.
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