HARVARD BUSINESS MANAGER MAGAZINE Harvard_Business_Manager__Juli_2017 | Page 22
SCHWERPUNKT KARRIERE
W
er an der Spitze eines Unternehmens
steht, hat keine leichte Aufgabe.
Jeder Vierte der CEOs, die zwischen
2000 und 2013 eines der großen
US-amerikanischen „Fortune“-500-
Unternehmen verließen, ging unfrei-
willig, ermittelte das Forschungsin-
stitut Conference Board. Solche erzwungenen
Wechsel können schwerwiegende Folgen haben:
Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft
Pricewater houseCoopers ließen erzwungene
Neubeset zungen den Marktwert der 2500 welt-
weit größten Unternehmen allein 2014 um ge-
schätzte 112 Milliarden US-Dollar schrumpfen.
Solche Zahlen werfen kein gutes Licht auf die Füh-
rungsmitglieder in den Boards, die sich mit der
schwierigen Aufgabe einer Neubesetzung befas-
sen müssen – und sie sind geradezu erschreckend
für jeden Manager, der in die höchste Führungs-
riege aufrücken will. Es sieht ganz so aus, als ob
die ansonsten fähigen Führungskräfte und Board-
mitglieder hier an irgendetwas scheitern. Die
Frage ist nur: Woran genau?
Seit mehr als zwei Jahrzehnten beraten wir
Boards, Investoren und die Topmanager selbst
zum Thema CEO-Wechsel. In dieser Zeit haben wir
festgestellt: Zwischen dem, was nach Ansicht des
Boards einen idealen CEO auszeichnet, und den
tatsächlichen Erfolgstreibern besteht eine tiefe
Kluft. Das beginnt schon bei einem unrealisti-
schen, doch allgegenwärtigen Stereotyp, das sich
zu großen Teilen aus den offiziellen Biografien der
Chefs der „Fortune“-500-Konzerne nährt: Der er-
folgreiche CEO ist demnach ein charismatischer,
1,90-Meter-Mann mit weißer Hautfarbe und Ab-
schluss von einer Eliteuniversität, der als strate -
gischer Visionär gilt, auf eine steile Karriere zu -
rückblickt und über die Fähigkeit verfügt, unter
hohem Druck perfekte Entscheidungen zu treffen.
Wir waren immer wieder überrascht, wie we-
nige der erfolgreichen Unternehmensführer dieser
Beschreibung entsprachen. Deshalb nahmen wir
uns vor, im Rahmen einer auf zehn Jahre angeleg-
ten Studie (dem sogenannten CEO Genome Pro-
ject) diejenigen Eigenschaften herauszuarbeiten,
die herausragende CEOs wirklich von anderen
unterscheiden. „Herausragende“ CEOs definieren
wir hierbei als Führungskräfte, die nach Ansicht
der mit ihrer Arbeit vertrauten Boardmitglieder
oder Mehrheitsinvestoren die Erwartungen er -
füllen oder übertreffen. In Zusammenarbeit mit
Ökonomen an der University of Chicago und der
Copenhagen Business School sowie mit Experten
des Analyseunternehmens SAS haben wir 17 000
Beurteilungen von Managern auf Vorstandsebene
untersucht (darunter 2000 CEOs), die unsere Be-
ratungsgesellschaft für Führungskräfte, ghSmart,
in einer Datenbank zusammengetragen hatte. Die
Datenbank enthält ausführliche Informationen
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HARVARD BUSINESS MANAGER JULI 2017
KOMPAKT
DAS PROBLEM
Jeder vierte CEO, der
zwischen 2000 und 2013
eines der „Fortune“-500-
Unternehmen verließ,
ging unfreiwillig. Warum
aber gibt es so viele
Fehlbesetzungen?
DIE URSACHE
Bei der Besetzung von
Chefposten setzen
Boards und Aufsichtsräte
oft auf Kriterien, die mit
dem anschließenden
Erfolg im Job nichts zu
tun haben.
DIE LÖSUNG
Die Analyse einer
Datenbank mit den
Beurteilungen von 17 000
Vorständen zeigt, was
erfolgreiche CEOs be -
sonders auszeichnet: Sie
entscheiden entschlos -
sen, schwören andere auf
gemeinsame Ziele ein,
passen sich voraus -
schauend an und
erbringen zuverlässig
ihre Leistung.
über den Werdegang jedes Managers, seine Ge-
schäftsergebnisse und seine Verhaltensweisen.
Wir haben diese Informationen nach Hinweisen
durchforstet, was Kandidaten auszeichnet, die
zum CEO berufen wurden, und was Manager, die
in dieser Rolle herausragende Leistungen erziel-
ten, von ihren schwächeren Kollegen unterschei-
det (zu weiteren Einzelheiten siehe Kasten „Über
die Studie“ auf Seite 24).
Unsere Ergebnisse stellten viele weithin akzep-
tierte Überzeugungen infrage. Die Analyse zeigte
zum Beispiel, dass die Boards bei der Besetzung
der CEO-Position zwar eher zu charismatischen,
extrovertierten Persönlichkeiten neigen, dass es
aber mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit die
introvertierten sind, die die Erwartungen ihrer
Boards und Investoren übertreffen. Ebenso waren
wir überrascht, dass buchstäblich alle CEO-Kandi-
daten in der Vergangenheit bereits weitreichende
Fehlentscheidungen getroffen hatten und dass
45 Prozent in ihrer Karriere schon mindestens ein-
mal einen erheblichen Rückschlag hatten hin -
nehmen müssen, bei dem sie entweder ihren Job
verloren oder dem Unternehmen einen großen
finanziellen Schaden zugefügt hatten. Dennoch
erhielten aus dieser Teilgruppe der Kandidaten
letztlich 78 Prozent den Zuschlag für den Chef -
posten. Darüber hinaus stellten wir fest, dass die
Qualität der Ausbildung (beziehungsweise deren
Fehlen) in keiner Weise mit der Leistung des Ma-
nagers korrelierte. Lediglich 7 Prozent der von uns
untersuchten herausragenden CEOs hatten einen
Bachelorabschluss an einer der angesehensten
US-Universitäten (der sogenannten „Ivy League“)
erworben, und knapp jeder Zwölfte verfügte über
gar keinen Collegeabschluss.
Und wenn wir die Eigenschaften, auf die Boards
im Vorstellungsgespräch allgemein positiv reagie-
ren, mit den Merkmalen verglichen, die leistungs-
starke Manager wirklich auszeichneten, waren die
Schnittmengen verschwindend gering. Ein hohes
Selbstvertrauen zum Beispiel verdoppelt die
Chancen eines Kan didaten, zum CEO ernannt zu
werden. Für die spätere Leistung brachte es aber
keine Vorteile. Anders formuliert: Was Kandidaten
bei Boards interessant erscheinen lässt, hat wenig
mit den Eigenschaften zu tun, die sie zu erfolg -
reichen CEOs machen.
Unsere wichtigste Entdeckung aber war, dass er-
folgreiche Spitzenkräfte zu vier bestimmten Ver-
haltensweisen neigen – und diese vier Merkmale
sind tatsächlich entscheidend für ihren Erfolg. Wir
haben zudem festgestellt, dass Boards, die diese
Verhaltensweisen in den Mittelpunkt ihres Aus-
wahl- und Entwicklungsprozesses stellen, die
Chancen, den richtigen CEO einzustellen, deutlich
verbessern. Und noch etwas haben wir aus unse-
rer Studie und unseren Erfahrungen gelernt:
Wenn Führungskräfte, die eine Position als CEO