HARVARD BUSINESS MANAGER MAGAZINE Harvard_Business_Manager__Juli_2017 | Page 17

TRENDS erst. Die Erkenntnisse sind uneinheitlich. Die meisten Studien zeigen, dass ein späterer Rentenbeginn dazu beiträgt, das Sterbealter zu erhöhen. Einige Studien zeigen keinen Zusam menhang; wieder andere haben erge ben, dass ein späteres Renteneintrittsalter negative Folgen hat beziehungsweise ein früherer Rentenbeginn positiv wirkt. Wir haben die bisherige Studienlage dahingehend erweitert, dass wir den sogenannten Healthy-Worker-Effekt berücksichtigen( diese statistische Verzerrung beruht auf der Tatsache, dass Berufs- tätige im Schnitt einen besseren Gesundheitsstatus haben als die Gesamtbevölkerung, da Kranke oft schon aus dem Berufsleben ausgeschieden sind – Anm. d. Red.) und eine repräsentativere Stichprobe gewählt haben. Andere Studien zu diesem Thema hatten weniger Teilnehmer, etwa bei Feuerwehrleuten in Deutschland oder bei Arbeitern in der US-Erdölindustrie.
Gibt es einen Trend zu einem späteren Rentenbeginn? WU Erst seit sehr kurzer Zeit. Bis vor wenigen Jahren gingen US-Bürger sogar immer früher in Rente. Die Vereinigten Staaten sind für Studien dieser Art perfekt geeignet, da Amerikaner in Rente gehen dürfen, wann immer sie wollen – vorausgesetzt, sie haben genug Geld angespart. In vielen europäischen Ländern dagegen gibt es ein festes Renteneintrittsalter. Mein Interesse für dieses Forschungsfeld wurde durch die Debatte über Chinas gesetzliches Rentenalter geweckt. Die chinesische Regierung versucht derzeit, den Rentenbeginn nach hinten zu verschieben. Ich suchte da- raufhin nach Daten zum Zusammenhang zwischen Renteneintrittsalter und Gesundheit, konnte aber keine finden.
Warum sollte ein späterer Renten- beginn die Lebensdauer erhöhen? WU Unsere Theorie ist, dass ein späterer Abschied vom Berufsleben den Zeitpunkt hinausschiebt, an dem unsere körperlichen und kognitiven Funktionen nachzulassen beginnen. Arbeit hält
CHENKAI WU Jeden Monat überprüfen wir die Thesen eines Wissenschaftlers. Diesmal sprach Nicole Torres, Redakteurin der Harvard Business Review, mit Chenkai Wu. Der Gesundheits wissenschaftler und Psychologe ist derzeit Doktorand und Dozent an der Oregon State University( OSU). Bei der Studie, um die es in diesem Interview geht, hat er mit den OSU-Professoren Robert Stawski und Michelle Odden sowie mit Gwenith Fisher von der Colorado State University zusammengearbeitet.
unseren Kopf und Körper aktiv. Das ist sicherlich die Richtung, in die dieser Forschungszweig künftig gehen wird. Ich interessiere mich dafür, wie sich die physischen und kognitiven Funktionen der Menschen im Laufe der Zeit verändern. Ältere Erwachsene sind eine sehr heterogene Gruppe, daher wäre es inte- ressant herauszufinden, ob bestimmte Lebenswege eher vorteilhaft oder abträglich sind. Eine andere Theorie ist, dass die Entscheidung eines Menschen, wann er in Rente geht, von vielen Faktoren beeinflusst wird, beispielsweise von kulturellen und institutionellen Normen. Wir fühlen uns glücklicher und haben das Gefühl, mehr Kontrolle über unser Leben zu besitzen, wenn wir in einem Alter in Rente gehen, das die Kultur unseres Landes für sinnvoll hält. In Ländern wie den USA, wo Arbeit einen hohen Wert besitzt und als notwendiger Teil des Lebens gilt, ist ein späterer Renteneintritt, glaube ich, kulturell erwünscht. „ Zur richtigen Zeit in Rente zu gehen“ bedeutet hier womöglich nicht mit 65, sondern vermutlich ein wenig später.
Arbeit ist aber auch ein Stressfaktor. Manche Menschen können es gar nicht erwarten, endlich in Rente zu gehen. WU Na ja, die 11 Prozent niedrigere Mortalitätsrate ist der Bevölkerungsdurchschnitt. Sie trifft sicher nicht auf jeden einzelnen Menschen zu. Manche Leute haben die Arbeit einfach satt und wollen so schnell wie möglich aufhören. Wenn sie das können, ist es für sie sicher vorteilhaft. Aber ich glaube, wir müssen noch mehr dazu forschen, wie wir diese Gruppen identifizieren können. Es heißt oft, angehende Rentner feierten ihren Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn er ist eine Mischung aus positiven und negativen Dingen. Unserer Meinung nach verursacht der Rentenbeginn zwar Stress – aber das muss nicht zwangsläufig heißen, dass er etwas Schlechtes ist. Es ist wie mit dem Heiraten: ein freudiges Ereignis, aber verbunden mit großer Anspannung.
Könnte dieser positive Effekt eines späteren Renteneintritts helfen, das Problem der alternden Bevölkerung zu lösen? WU Offenbar beschäftigen sich alle nur mit der Frage, ob es gut für die Wirtschaft ist, wenn wir später in Rente gehen. Uns ist es dagegen wichtig, dass wir auch die Auswirkungen auf die Gesundheit berücksichtigen. Vollzeit- arbeit – also 40 Stunden oder mehr pro Woche – kann sehr stressig sein. Aber wenn die Menschen einen langsameren Übergang ins Rentnerdasein hinbekämen, etwa durch Teilzeit oder andere Aktivitäten, könnten sie aktiv und sozial engagiert bleiben, und das wirkt sich positiv auf ihre Gesundheit aus.
Das sind gute Nachrichten für uns Millennials, die wir oft zu hören bekommen, dass wir wohl nie in Rente gehen können. WU Unterschiedliche Kohorten bringen unterschiedliche Ergebnisse. Die Menschen in unserer Studie sind zwischen 1931 und 1941 geboren, daher sind sie sicherlich ganz andere Typen als die Millennials. Was wir aus der Studie mitnehmen, hat wenig mit dem Thema Arbeit oder Rentenalter an sich zu tun, sondern damit, was diese Dinge bedeuten. Wenn Sie etwas finden können, das Ihnen dieselben Vorteile bringt wie Arbeit, dann ist dies das Wichtigste.
© HBP 2017 siehe Seite 110
JULI 2017 HARVARD BUSINESS MANAGER 17