In Gosbert Gottmanns neuem Buch „ étoile“ entfaltet sich das Spiel von Schatten und Licht. Dabei finden die Bilder eine faszinierende Balance zwischen Abwesenheit und Präsenz.
Text: Marc Peschke, Fotos: Gosbert Gottmann
D as Leiden an der Wirklichkeit und die Wirklichkeit des Leidens standen am Anfang von Gosbert Gottmanns Kunst. Die Angst und Erschöpfung in der modernen Welt, die sogenannten „ modern
sufferings“, sind bis heute zentrale Themen des Künstlers. Die Bilder, die er seit den frühen neunziger Jahren als Gleichnis zu diesen Zuständen schafft, sind noch immer erschreckend aktuell.
Nun ist ein neues Fotobuch Gottmanns erschienen, das den
BILDBAND
Gosbert Gottmann: étoile
Hardcover 112 Seiten 22,5 x 30 cm 42 Euro
Verlag Kettler schlichten Titel „ étoile“ trägt. Es ist eine Zusammenführung älterer und neuerer Bilder. Celina Lunsford, Künstlerische Leiterin des Fotografie Forum Frankfurt, schreibt in ihrem Buchbeitrag, es ginge hier um Abwesenheit, um das Dunkle, um verborgene Gesichter, um Nähe und Distanz, um Schatten und Licht: „ Ein magischer Realismus, geboren aus Einsamkeit und Träumen.“
„ Ein magischer Realismus, geboren aus Einsamkeit und Träumen.“
Und so ist es auch: Diese auf rauem Papier gedruckten Schwarzweißbilder, die mit glänzenden, abstrakten Farbfotografien kombiniert werden, diese Bilder, die oft auf der Straße, im Alltag, in urbanen Räumen entstanden sind, die Menschen zeigen, doch zumeist nur Schatten und Umrisse von ihnen, die mit Unschärfen arbeiten, mit sattem Schwarz und hellstem Weiß, diese Bilder sind wie Sterne am Himmel. Ihre Fremdheit, die Fremdheit im Vertrauten, macht sie so anziehend.
„ étoile“ ist ein wunderbar assoziatives, subjektives und fein gestaltetes Fotobuch, das sich einreiht in die verschiedenen Werkgruppen des Frankfurter Fotokünstlers und diese fortschreibt. Die Aufmerksamkeit Gottmanns galt und gilt immer den Menschen – in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung. Wir konnten dem Künstler einige Fragen stellen:
Herr Gottmann, Sie arbeiten stets in Serien. Wann wissen Sie eigentlich, dass eine Serie nun vollendet ist?
Die Serien sind ineinander verwoben. Da ist kein endgültiges Ende, nur oberflächlich ist ein scheinbares Ende. Die Basisthemen sind im Grunde unverändert. Sie variieren über die Zeit mit der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung.
Ihre erste große Serie hieß „ down-town“. Wir finden einige Bilder dieser Serie auch in Ihrem neuen Buch wieder. Hier zeigten Sie – noch in klassischem Schwarzweiß – Großstadtarchitektur. Metallischharte Hochhausfassaden, schwarze Unterführungen, Parkhäuser wie Hochsicherheitstrakte, Gepäckaufbewahrungsfächer. Unorte dieser Zeit. Ein Alptraum, der Realität geworden ist?
Kein Alptraum, aber Realität. Die Serie „ down-town“ ist aber keine Architekturserie – die Architektur und die Unorte bilden vielmehr eine Kulisse, wie auch später in „ modern sufferings“. Kulisse, für ein Theaterstück, in dessen Inszenierung die Menschen als Hauptdarsteller zum Einsatz kommen. Meine Aufmerksamkeit gilt den Menschen in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung. Was mich aber in diesem Zusammenhang nicht überrascht ist, dass sich die Großstadtarchitektur heute rasant der Medienarchitektur unserer Zerstreuungs-Gesellschaft anpasst.
„ Meine Aufmerksamkeit gilt den Menschen in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung.“
Oft arbeiten Sie mit Filmstills. Kann man sagen, dass Ihre Bilder im Grenzbereich von Fotografie und Film liegen?
Das kann ich bejahen. Ich mache Bilder, so wie ich sie sehe. Nicht so, wie sie sind. In diesem Sinne benutze ich reichlich „ pieces“, analoge oder digitale Bilder, selbst gedrehte Videostreifen, TV- Stills, Zeitschriften, Zeitungen, die im weiteren Bearbeitungsprozess den von mir intendierten Bedeutungen zugeführt werden. Um den Gesamtausdruck zu verstärken, verwende ich dabei gerne Serien, die den Charakter von Storyboards haben.
Kommen wir auf Ihr neues Buch „ étoile“ zu sprechen, eine Zusammenführung früherer und aktueller Bilder, die in einen Dialog treten. In ihrem Buchbeitrag schreibt Celina Lunsford, es käme ihr vor, als ob „ der Künstler das Vertraute mit fremden Augen abtastet“. Ein sehr schönes Bild. Können Sie dieses für uns noch kommentieren?
Mir geht es darum, einen Blick durch die Oberfläche zu finden, einen Blick in eine tiefere Schicht, jenseits der bekannten Bilder. Solche Blicke legen Emotionen offen. So finde ich meine ganz persönliche Bilderwelt.