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AKTUELL

INDIVIDUELL STATT AUTOMATISIERT

Stefan Nehls ist seit Anfang des Jahres beim Kreditversicherer Coface als Information Services Director für Nordeuropa tätig . Im Gespräch mit dem Magazin Der CreditManager erläutert er , warum das Unternehmen in seinem Geschäftsmodell verstärkt auf Bonitäts- und Wirtschaftsauskünfte setzt – und warum Kunden immer häufiger über Einzelrisiken sprechen wollen .
Stefan Nehls Information Services Director Nordeuropa Coface
info-germany @ coface . com
DCM : Sie sind seit Januar neu im Management von Coface und verantworten den Bereich „ Information Services “. Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe ? SN : Mit einem Wachstum im zweistelligen Prozentbereich sind wir einer der am schnellsten wachsenden Anbieter für Bonitäts- und Wirtschaftsauskünfte . Und das , obwohl viele Unternehmen unsere Produkte fernab der Kreditversicherung noch gar nicht kennen oder noch keine Erfahrungen mit uns gesammelt haben . Dies zu ändern , ist mit Sicherheit eine meiner Hauptaufgaben .
DCM : Credit Manager sehen sich seit Beginn der Coronakrise mit komplexen Risikoszenarien konfrontiert . Wo sehen Sie im aktuellen Umfeld die größten Herausforderungen ? SN : Dass wir in volatilen Zeiten leben , muss ich ja niemandem erklären . Es ist komplexer und somit schwieriger geworden , die Risikosituation eines Unternehmens einzuschätzen . Vor der Pandemie reichte häufig eine Art Standard-Risikomanagement aus . Aber heute muss man tiefer einsteigen , um Risiken für das eigene Unternehmen abzuwägen . Rohstoffmangel , fehlende Chips , unterbrochene Lieferketten – die Liste der Risikofaktoren ist lang . Dazu kommt jetzt noch die hohe Inflation .
DCM : Was sind die Folgen für das Risiko- und Credit Management ? SN : Alle genannten Umstände haben dazu geführt , dass Unternehmen wieder mehr Zeit in die Risikoprüfung investieren . Vor der Pandemie war es so etwas wie ein Sport , den Anteil der automatischen Kreditentscheidungen möglichst auf 100 % zu steigern . Jetzt sehen wir , dass Unternehmen teilweise ganz bewusst von der Maximalautomatisierung abrücken . Ein Indiz dafür ist , dass vor allem die Individual-Gespräche mit unseren Underwritern aktuell sehr gefragt sind . Dabei können sich Kunden direkt mit einem Branchenspezialisten auch über Einzelrisiken austauschen .
DCM : Unter dem Titel „ Verstaubte Wirtschaftsauskünfte – eine Gefahr für Unternehmen ?“ haben Sie kürzlich in einem Webinar über die Situation in der Informationsbranche gesprochen . Wie kamen Sie in diesem Zusammenhang auf diesen Titel ? SN : Wir haben bewusst einen kontroversen Titel gewählt , der aber im Kern ein wichtiges Thema adressiert . Letztendlich haben wir zwei verschiedene Prognosemodelle verglichen und gegenübergestellt . Klassische Auskunfteien betreiben ein Scoringmodell , das sich grob so zusammenfassen lässt : In den Daten der Vergangenheit liegt der Schlüssel bzw . die Insolvenzwahrscheinlichkeit der Zukunft . Dieses Modell funktioniert in wirtschaftlich stabilen Zeiten relativ gut , ist jedoch rein technisch zu behäbig für Krisenphasen , in denen sich die Situation ständig verändert .
Bei Coface betreiben wir mit iCON ein Expertensystem , das diese Basisdaten mit tagesaktuellen Daten und Informationen aus unserem Kern-
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