Bücher über Interreligiöse Spiritualität, Meditation und Universaler Sufismus Die Gathas - Weisheit der Sufis von Hazrat Inayat | Page 23
mensch, solange er nur die Oberfläche sieht, annehmen, dass das
indische Volk voller Aberglauben sei. Die ganze Lebensführung
scheint darauf begründet, nicht nur in religiöser Hinsicht, sondern
auch in häuslichen Angelegenheiten. Im Alltagsleben der Inder
steht jede Bewegung, die sie machen, jedes Wort, das sie sprechen,
irgendwie in Beziehung zu einer alten Überlieferung.
Gewiss sollte man vermeiden, ein zu grosses Interesse am Aberglauben zu hegen, denn je mehr man sich damit beschäftigt, desto
mehr kann man darin versinken. Wohin auch ein abergläubischer
Mensch schaut, bekommt er Eindrücke von Furcht, Zweifel und
Argwohn, was leicht zu Verwirrung führt. Für den Weisen ist jedoch die Missachtung des Aberglaubens nicht befriedigend, denn
durch seine Weisheit vermag er ihn zu verstehen, - und verstehen
ist besser, als sich darüber lustig zu machen, und auch besser als ihn
zu glauben. Der Abergläubische befindet sich sozusagen im Wasser
und weiss, dass er im Wasser ist. Der Spötter dagegen befindet sich
im Wasser, ohne es zu ahnen. Durch das Verstehen der Überlieferungen wird der Mensch fähig, im Wasser zu schwimmen, und
durch das Darüberstehen wandelt er auf dem Wasser. Wer alles versteht und entsprechend handelt, meistert das Leben.
I. 2. Glaube
Den Ausdruck ‘Glaube’ (belief ) braucht man für eine Vorstellung, die man hat, ohne sie begründen zu können. Sind solche
Vorstellungen allgemeiner Art, nennt man sie Aberglaube, sind sie
dagegen sakraler Art, werden sie Glaube genannt.
Oftmals verwechselt der Mensch Glauben mit Wahrheit. Viele,
die ihren Glauben nicht richtig verstehen, betrachten ihn nicht als
e i n e Wahrheit, sondern als d i e Wahrheit, und verwerfen infolgedessen jeden anderen Glauben, der von ihrer eigenen Wahrheit abzuweichen scheint. In Wirklichkeit ist weder ein Glaube die Wahrheit, noch die Wahrheit ein Glaube. Wenn ein Mensch in seiner
Entwicklung zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt ist, dann ist sie
für ihn nicht mehr ein Glaube, sondern eine Gewissheit.
Vorstellungen sakraler Art sind im Bereich des Religiösen wie
die Stufen auf dem Weg zum Ziel, das man die Wahrheit nennt.
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