Bücher über Interreligiöse Spiritualität, Meditation und Universaler Sufismus Das Heilige Buch der Natur (Leseprobe) | Page 9
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Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan
Mit 19 Jahren hatte ich auf dem Markt ein altes Heft gekauft wegen des Fotos des Autors, das mich
beeindruckte. Der Text allerdings war völlig unverständlich für mich und das Heftchen wanderte ins Regal.
1974, ich war 25 Jahre alt, begegnete ich dem Sufi-Lehrer Pir Vilayat Inayat Khan in seinem Meditationscamp mit Blick auf den Mont Blanc, hoch in den französischen Alpen. Die Begegnung hat mich zutiefst
berührt und mein Leben bis heute geprägt. Noch nie hatte ich einen Menschen so voller Licht gesehen. Pir
Vilayat (1918 -2004) bezog sich in allem auf seinen Vater Hazrat Inayat Khan, der von seinen Schülern
Murshid genannt wird. Es stellte sich heraus, dass das genannte Foto eine Ablichtung seines Vaters war.
Damals hatte ich keine Worte, Begriffe, Gedanken für diese Begegnung. Es war die erste Berührung mit
einer Ebene des Seins, die mir bis dahin völlig unbekannt war. Es folgten intensive Jahre der Schülerschaft.
Sufismus ist keine Lehre oder Doktrin. Es ist auch keine Religion oder Philosophie oder Therapieform. Es
ist im Grunde kein „-ismus“, sondern eher das Gegenteil. Vielleicht kann man sagen, dass es eine Schulung
zur Erweiterung des Erlebens ist. Oder man sagt: Gott in der Schöpfung erleben, innerlich und äußerlich.
Dies kann man aber nur sagen, wenn das Wort „Gott“ von seinem Ballast befreit ist.
Dreh- und Angelpunkt für die Sufis ist das Herz. Übungen und Meditationen beziehen sich oft auf die
Öffnung des Herzens als Zentrum aller Sinne. Meine schrittweise Annäherung an meinen Lehrer Pir Vilayat
hatte verschiedene Stufen. Wer mehr über die Stufen auf dem Sufi-Weg wissen will, kann z.B. das Buch
„Die Konferenz der Vögel“ von Farid-du-din Attar lesen. Die einzelnen Schritte sind allerdings sehr individuell und von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Typisch für den Sufismus ist die Betonung der geistigen Freiheit. Für mich war das sehr wichtig. Einerseits sehnte ich mich danach, mein geistiges Zuhause zu finden. Andererseits wäre es unerträglich, Zwängen
und Dogmen ausgesetzt zu werden. Bei mir führte das zu einem wiederholten Abschied von meinem Lehrer
und danach wieder zu einer Annäherung.
Wer war der Sufi Meister Hazrat Inayat Khan? Geboren 1882 in Baroda in eine Familie von berühmten
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