BIG PICTURE digital 11/2015 | Page 7

Mass“ und Pablo Traperos „Der Clan“ zu sehen. Und dann durfte sich Eddie Redmayne freuen, dass ihm die Auguren für „The Danish Girl“ schon wieder eine Oscarnominierung prognostizierten. Und das mit Recht. Spektakulär ist sein Porträt des Malers Einar Wegener, der seine weibliche Seite entdeckte und Anfang der Dreißiger als einer der ersten Transsexuellen eine Geschlechtsumwandlung wagte. Und weil er mit Alicia Vikander in der Rolle von Wegeners Frau eine ebenbürtige Partnerin findet, ist das ein Stück exquisites Schauspielerkino – selbst wenn man Tom Hoopers Regie als zu konventionell empfinden mag. Wer originellere Visionen suchte, war besser aufgehoben bei Charlie Kaufmans „Anomalisa“, mit dem sich der einstige Kultautor („Being John Malkovich“) gleich in mehrfacher Hinsicht als Schöpfer hoch eigenwilliger, postmoderner Erzählkunst in Erinnerung brachte: Der Film setzt sein gleichnamiges Bühnenstück über einen Motivationsredner, der keine gefühlsmäßige Beziehung zu anderen Menschen mehr aufbauen kann, in ungeheuer pointierten StopMotion-Animationen um – auch dank KoRegisseur Duke Johnson. Damit gelingt den Filmemachern ein Stück hochintelligentes Kopfkino, das zugleich eine emotionale Tour de Force bietet. In Venedig gab es dafür verdientermaßen den Großen Preis der Jury – während der Goldene Löwe an das venezoelanische Drama „Desde Allá“ ging. Aber Moment. War nicht gerade von Toronto die Rede? In der Tat waren dort alle der genannten Filme zu sehen. Indes: Die meisten davon liefen bereits zuvor am Lido. „Room“ wieder­ um hatte seine Premiere in Telluride gefeiert, ebenso wie Danny Boyles viel bejubelter „Steve Jobs“. Die meisten Glanzstücke der großen kanadischen Filmschau waren allesamt SecondHand-Ware. Auf diese Weise konnte sich Venedig darüber hinwegtrösten, dass der diesjährige Eröffnungsfilm „Everest“ nicht die gleichen Elogen erntete wie in den Jahren zuvor „Gravity“ und „Birdman“. Doch das war harmlos im Vergleich zu den Problemen, die Toronto in diesem Jahr plagten. Auseinandersetzungen um Martin Amis’ Verfilmung „London Fields“ mündeten in der Absetzung der Premiere. Die ArethaFranklin-Doku „Amazing Grace“ wurde aus juristischen Gründen zurückgezogen. Zumindest gab es noch ein paar Trostpflaster – etwa die schon zitierte Rückkehr von Michael Moore oder James Vanderbilts brillantes Journalistendrama „Truth“ über den Skandal, der zum Rücktritt des legen­dären Moderators Dan Rather führte. Venedig indes konnte noch mit weiteren Highlights aufwarten, etwa Luca Guadagninos herrlich exzentrischem Thriller „A Bigger Splash“. So gesehen war die Frage vom Anfang im Nachhinein einfach zu beantworten. Aber lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Reiseplanung 2016 ziehen? Das wohl kaum. [Rüdiger Sturm & Julia Zimanofsky] Desde Allá A Bigger Splash Raum big-picture-magazin.de 7