BIG PICTURE digital 04/2015 | Page 32

Home cinema /Drama Eine Lawine sprengt die Familienidylle im Skiurlaub Höhere gewalt Der schwedische Regisseur Ruben Östlund lotet die Bedeutung von Männlichkeit und Rollenmodellen in der gut situierten Mittelschicht aus F OT: Turist, SWE/DK/FRA 2014 R: Ruben Östlund D: Johannes Kuhnke, Lisa Loven Kongsli, Clara Wettergren FSK: 12 Jahre L: 115 Minuten Anbieter: Alamode Ab 24. April 2015 auf DVD und Blu-ray 32 big-picture-magazin.de rauen und Kinder zuerst“ heißt es reflexar­ tig, wenn Filme Katastrophen nachbilden. Erst sollen die Schwachen und Schutzbe­ dürftigen in Rettungsboote oder Schutzkeller stei­ gen, bevor sich auch die Männer in Sicherheit bringen dürfen. Die Wahrheit sieht anders aus, wie Regisseur Östlund bei seinen Recherchen her­ ausfand: die meisten Überlebenden sind Herren im besten Alter, die mitnichten den Schwachen den Vortritt lassen. Doch was bewirkt es bei einem Mann und seinem Umfeld, wenn er sich über den moralischen Imperativ hinwegsetzt und nur ans eigene Überleben denkt? Dieser Frage muss sich Familienvater Tomas stellen, der gemeinsam mit seiner Frau Ebba und den beiden Kindern Vera und Harry Skiurlaub in den französischen Alpen macht. Die Familie ist offensichtlich finanziell gut ausgestattet, das Hotel ist teuer, die Sportausrüs­ tung ebenso. Tomas arbeitet viel und soll sich in den Ferien jetzt ganz der Familie widmen. Doch die heile Welt wird auf eine empfindliche Probe gestellt, als eine kontrollierte Lawinensprengung scheinbar außer Kontrolle gerät und die Schnee­ massen auf eine Dachterrasse zurasen. Während sich Ebba schützend vor die Kinder stellt, nimmt Tomas in Panik Reißaus. Die Lawine erreicht das Plateau nicht, doch Ebba hat das Vertrauen in ih­ ren Mann verloren, der seine Flucht schlicht leug­ net und behauptet, seine Frau würde sich falsch erinnern. Seine Weigerung, das Geschehene auf­ zuarbeiten, versorgt den schwelenden Konflikt mit immer neuer Nahrung. Das karg gefilmte Drama, das ständig leere Hotelflure und Pisten zeigt, ist teilweise schwer erträglich, erzeugt aber gerade durch seine Langatmigkeit eine interes­ sante Sogwirkung. Schwedens Vorschlag für den Auslands-Oscar konnte bei den Acadamy Awards zwar nicht punkten, bietet aber viel Gesprächs­ stoff für die sezierende Familientherapie. [sr] Fazit: Sprengstoff für den Pärchenabend, der durch bewusste Übertreibung Rollenklischees in Frage stellt und durchaus provokant ist Wertung ✪✪✪✪✪