8 TITELSTORY
DIE EXPERTENMEINUNG
„ Internet und TV wachsen zusammen”
Welche Rolle das klassische Fernsehen in Zeiten eines umfassenden digitalen Wandels spielt, ist längst auch Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen geworden.
IM INTERVIEW
Spezialisten wie Dr. Teresa Naab, die am Institut für Medien der Universität Augsburg zum Thema Fernsehgewohnheiten forscht, sind dieser Frage schon seit Längerem auf der Spur.
„ Fernsehen ist bei den Deutschen immer noch das am meisten genutzte Medium. Bewegtbildangebote im Internet erfreuen sich zwar zunehmender Beliebtheit, liegen jedoch im Nutzungsumfang deutlich hinter dem klassischen Fernsehen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sind es sicherlich lieb gewonnene Gewohnheiten, die uns mit dem Fernsehen verbinden. Zum anderen bietet das zeitabhängige Angebot Vorteile, die wir im nichtlinearen Bewegtbildangebot weniger finden: Wir können einfach und effizient auswählen, uns darauf verlassen, dass zu bestimmten Uhrzeiten jeden Tag oder jede Woche auf einem Sender ein bestimmtes Programm läuft – das gibt Sicherheit“, so die Medienexpertin. Ein Gefühl, das viele Menschen in der heutigen, häufig als eher unsicher empfundenen Zeit als besonders erstrebenswert empfinden.
Fernsehen als verbindendes Ritual
„ Das klassische Fernsehen kann zusätzlich auch als sozialer Taktgeber dienen. Menschen sehen ganz bewusst regelmäßig mit der Familie oder Freunden bestimmte Inhalte. Weil das klassische Fernsehen zeitgebunden ausgestrahlt wird, sind Tag und Uhrzeit dieser gemeinsamen „ Fernsehunternehmung“ nicht verhandelbar. Sie tragen zur Entwicklung fester Fernsehrituale bei, die Familie oder Freundeskreis regelmäßig zusammenbringen. Aber auch wenn wir alleine fernsehen, können wir bei so manchem klassischen Fernsehangebot sicher sein, dass noch viele andere Menschen gerade in ihren Wohnzimmern das Gleiche tun. „ Die Zeit der großen Straßenfeger ist zwar vorbei, doch es gibt weiterhin Sendungen, die von sehr vielen Menschen gesehen werden“, weiß Dr. Naab. „ Beste Beispiele hierfür sind der Tatort oder die Tagesschau. Über sie kann man sich am nächsten Tag mit Freunden oder Kollegen oder schon während der Sendung über Twitter und im Netz mit Gleichgesinnten austauschen. Dies schafft ein ganz besonderes Zugehörigkeitsgefühl.“
Tradition und Moderne wachsen weiter zusammen
„ Auch bei den unter 30-Jährigen liegt das lineare Fernsehen noch immer vor anderen Bewegtbildangeboten, wobei innerhalb dieser Zielgruppe ein deutlicher Rückgang hinsichtlich der täglichen Sehdauer festzustellen ist. Das Publikum der Mediatheken, Streamingdienste und Videoportale ist erwartungsgemäß weit jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt. Die größere Bedeutung des Internetfernsehens bei jüngeren Menschen liegt unter anderem darin, dass die Onlinenutzung völlig selbstverständlich zu deren Alltag gehört. Sie haben keine Hemmungen vor der notwendigen Technik und noch keine so eingespielten Gewohnheiten. Weil die beruflichen und familiären Verpflichtungen in jüngeren Jahren noch geringer sind, passt die flexible zeitliche Nutzung folglich besser in das momentane Lebenskonzept. So nutzen vor allem jüngere Menschen Fernsehen und Internet häufig parallel, also einen Second, Third oder Multi-Screen. Sie recherchieren während des laufenden Programms im Internet nach Zusatzinformationen, teilen Meinungen und Inhalte via Twitter, Facebook oder in Online-Communitys oder diskutieren direkt mit Bekannten und Freunden per WhatsApp oder anderen Chat-Apps.“
Und in Zukunft?
Wie wird sich die Bedeutung des Fernsehens in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln? „ Wie wir in Zukunft Fernsehen nutzen werden, wird von technischen Entwicklungen, Programminhalten und allgemeinen Trends in unserer Gesellschaft gleichermaßen beeinflusst. Angesichts der Vorteile, die einerseits das lineare Fernsehen und andererseits das nichtlineare Fernsehen haben, sieht es im Augenblick so aus, als würden sich in den nächsten Jahren beide Zugangswege noch stärker ergänzen“, so der Ausblick der Expertin.
Dr. Teresa K. Naab ist akademische Rätin auf Zeit am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation an der Universität Augsburg. Sie hat am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover Medienmanagement studiert. Anschließend promovierte sie mit summa cum laude. Neben der Rezeption klassischer und neuer Medienangebote erforscht die Kommunikationswissenschaftlerin auch Nutzerkommentare in Onlinemedien.