+3 Magazin März 2020 | Page 14
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Pia A. Döll,
Präsidentin
Bund deutscher
Innenarchitekten (bdia)
Urbane Spielwiese
Unser Leben ist individualisierter und
mobiler als je zuvor. Doch auch digita-
le Nomaden haben den Wunsch nach
Jeannine Fiedler,
Kunsthistorikerin
und Kuratorin
Alles geht
Lange bevor Immersion und Kon-
tingenz die virtuelle Realität als Me-
dien-Hypes ablösten, hatten Moden
und Interior Designs ihre Gesetzmä-
ßigkeit verloren. Design-Epochen
auszurufen, haben die in Auflösung
begriffenen individualisierten Ge-
sellschaften abgeschafft. Alles geht.
Nichts anderes bedeuten die oben
erwähnten Labels. Im Turbo-Kapita-
lismus dürfen Möblierungen ohnehin
nicht von Dauer sein – wie man es
einst von den kompletten Ensembles
in den Wohnungen unserer Großel-
tern erwartete. Angesichts der Unge-
wissheiten unseres Daseins verheißen
Möbel, Stoffe oder Teppiche ande-
rerseits die Illusion einer körperhaft
überschaubaren Welt. Auf diese hei-
meligen Objekte werden wir so lange
nicht verzichten wollen, wie die Vision
des Bauhaus-Designers Marcel Breu-
er vom Sitzen auf einer elastischen
Luftsäule virtuelle Realität geworden
ist. Bevor nicht auch die Möbel- und
Lifestyle-Industrien den Schwenk
auf nachhaltige Materialien, also ein
Umdenken fort von Masse und Kon-
sumzyklen vollzogen haben, wird das
Wohnen in biografischen Versatzstü-
einem Zuhause oder einem Rückzugs-
ort. Das kann ein Hotel oder ein Ser-
viced Apartment sein – je nachdem,
in welchem Lebensabschnitt sie sich
befinden. Einrichtungstrends sind
Geschmackssache, die richtige Auftei-
lung und Nutzung des Raums im Zu-
sammenspiel mit Licht, Stoffen, dem
Boden und den Wänden ist das eigent-
liche Kunststück bei der Frage nach
der Zukunft des Wohnens. Über 80
Prozent unserer Lebenszeit verbrin-
gen wir in Innenräumen. In Zukunft
werden die Menschen noch stärker auf
nachhaltige Materialien achten und
regionale Produkte nachfragen, wäh-
rend Individualität weiter eine große
Rolle spielt. Häuser sind immobil, In-
nenräume dagegen flexibel gestaltbar.
Alte Möbel lassen sich recyclen, Wän-
de einziehen oder einreißen, Räume
umbauen. In den nächsten Jahren
werden die Städte voller. Somit kommt
dem Bauen im Bestand eine steigende
Bedeutung zu. Er kann Teil des Klima-
schutzes sein, da er weniger Flächen-
verbrauch, Energie und Stoffmengen
bedeutet und damit weniger CO 2 -
Emissionen verursacht als ein Neubau.
Innenarchitektinnen und -architekten
sind hier spezialisierte Gestalter und
Planer – ob bei der Nachverdichtung,
bei Trends wie Micro Living oder der
energetischen Sanierung. Die Zukunft
entscheidet sich also nicht nur am
Neubau und an der Flächenerschlie-
ßung, sondern an der intelligenten
Nutzung unseres Bestands.
SO LEBEN WIR HEUTE Single-Haushalte, weiße Wände und Smart Homes
cken mit Ikea-Lieblingssessel, Selbst-
getischlertem, wenigen Erbstücken
und den obligatorischen Antiquitäten
des 20. Jahrhunderts von Bauhaus
über Skandinavien bis Eames und
Bertoia vermutlich die Norm bleiben.
Aber lassen sich an diesen Objekten
nicht auch wunderbar Lebensleistun-
gen und Karrieresprünge ablesen?
Zudem können sie von uns Nomaden
der Gegenwart flexibel in jede neue
Wohnsituation eingepasst werden.
Julianne Becker,
Mitgründerin eines
Coworking-Projekts
auf dem Land
Raus aufs Land
Ländliche Gemeinschaften erleben
gerade eine Art Renaissance, die nach
neuen Typen von Innovatoren ruft
und zugleich auf die dort bereits ak-
tiven Kreativen belebend wirkt. Dank
neuer Technologien sind Barrieren ge-
fallen, die einst den Fortschritt auf die
Städte beschränkten. Die neuen Mög-
lichkeiten haben eine starke Wirkung
auf die Entwicklung von Projekten
und Geschäftsmodellen. Dadurch ist
das Potenzial entstanden, die Lücken
zu füllen, die durch die massive Ab-
Farbe hin oder her –
bei uns Deutschen
sind weiße Wände
hoch im Kurs.
48%
der Bevölkerung
halten ihre Wände
schlicht in weiß.
29%
50% der Deutschen
wohnen in Großstädten in Ein-Personen-Haushalten.
Flächendeckend leben 40% der Deutschen
zu zweit, 26% alleine und 32% mit mehreren
Personen in einem Haushalt.
wanderung in die Städte entstanden
sind. Auf lange Sicht könnte so Raum
für eine zunehmend offene, sichere
und inklusive Gesellschaft geschaf-
fen werden. Wir haben eine großar-
tige Chance, den Austausch und den
Transfer von Werten, Lebenstilen und
Wissen voranzutreiben. Davon kön-
nen Landmensch und Stadtmensch
gleichermaßen profitieren. Es existiert
bereits eine wachsende Gemeinde aus
Machern, Aktivisten und Visionären,
die ländliche Gebiete zu ihrem Zuhau-
se gemacht und Raum für eine inklu-
setzen mit
einer farbigen
Wand Akzente.
13%
setzen auf
mehrfarbige/
bunte Wände.
sive Entwicklung bereitet haben. Für
Städter eröffnet sich hier die Chance,
ihre eigenen Lebenskreise zu erwei-
tern und zugleich ihren ländlichen Ge-
genübern die Hand zu reichen – denn
Inklusion funktioniert nur in beide
Richtungen. Die momentane Ent-
wicklung hält permanente wie tempo-
räre Lebenslösungen bereit, die oft im
Geiste der Sharing Economy gestaltet
sind. Sie bietet die großartige Chance,
uns die Naturlandschaft wieder für
eine längere Zeit als Lebensmittel-
punkt zu erschließen.
DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT, ALSO EINE ANZEIGE
DIE
VISION
WIRD
REALITÄT
Das weltweit erste Gebäude aus Carbonbeton entsteht in Dresden
Weltweite Umweltkatastrophen, Ressourcenausbeu-
tung und stark steigende CO 2 -Emissionen sind nur eini-
ge der klimabeeinflussenden Faktoren, die uns an allen
Fronten zum Handeln zwingen. Vor allem das Bauwe-
sen ist mit 70 Prozent der Flächenveränderung und 50
Prozent des Energieverbrauchs weltweit im großen
Ausmaß für die Umweltbelastung verantwortlich.
Das muss sich ändern. Mit Carbonbeton sparen wir bis
zu 80 Prozent Material ein und erzielen eine Lebens-
dauer von weit über 200 Jahren. Durch die beträcht-
lich dünneren Baukonstruktionen werden der Beton-
und Sandverbrauch sowie die CO 2 -Emission reduziert.
Auch die Sanierung bestehender Stahlbetonbauwerke
führt, mithilfe von Carbonbeton, zur Verlängerung der
Nutzungsdauer und damit zu einer klimabewussteren
Verwendung unserer gesamten Infrastruktur. Bis Ende
2020 wird in der Einsteinstraße 12 in Dresden ein in
seiner Bauweise außergewöhnliches und in der Optik
futuristisch anmutendes Gebäude entstehen: ein 220
Quadratmeter großes Carbonbetonhaus. Zwei symme-
trisch gegenüber angeordnete Twist-Elemente bilden
gleichzeitig den seitlichen sowie oberen Raumabschluss
und veranschaulichen das außerordentliche Anwen-
dungsspektrum der Carbonbetonbauweise. Das Box-
Element aus Fertig- und Halbfertigteilen verdeutlicht
wiederum, dass herkömmliche Baukörper des Hoch-
baues nach dem Stand der Technik bereits mit
Carbonbeton errichtet werden können. Nun kön-
nen Fertigteile aus Carbonbeton effizienter und bei
gleichbleibend hoher Qualität hergestellt werden.
Dieser Durchbruch ist der Schlüssel in den Massen-
markt. Mit dem Baubeginn des hochmodernen Ge-
bäudes ist Deutschland der Vorreiter im weltweiten
Markt für eine klimafreundliche, innovative und
nachhaltige Bauweise mit Beton. Der sogenannte
CUBE ist das Leuchtturmprojekt des vom Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung finanzierten
Projektes C 3 – Carbon Concrete Composite.
Das weltweit erste Haus, das vollständig aus nichtmetallischer Bewehrung
gebaut wird, entsteht in Dresden © Visualisierung: HENN | Konzept- und Designarchitekt