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Melanie Wendling , Geschäftsführerin Bundesverband Gesundheits-IT ( bvitg )
Daten öffnen Türen
Die IT spielt bereits heute eine wichtige Rolle in der Medizin und wird dies auch in Zukunft bei der Unterstützung der medizinischen Forschung , Diagnose und Behandlung tun . Natürlich wird es weiterhin möglich sein , Daten in Aktenordner zu sammeln und zu sichten . Den medizinischen Fortschritt wird eine solche Datensammlung aber nicht weiterbringen . Um das heutige immense medizinische Wissen – das sich laut wissenschaftlichen Untersuchungen bereits vor fünf Jahren alle 73 Tage verdoppelt hat – nutzen zu können , müssen in der Versorgung Tätige darauf zugreifen können , also digitale Informationen verfügbar sein . Wenn dann Algorithmen die Daten analysieren und in der Diagnose unterstützen , spart der Behandelnde zudem Zeit , um die richtigen Fragen zu stellen . Denn in unserer komplexen Welt wird es für die Versorgung der Bevölkerung immer wichtiger , nicht nur einzelne Krankheiten oder Verletzungen zu sehen , sondern den Menschen ganzheitlich zu betrachten – und in den Kontext der Region oder des Landes zu setzen . Weiter kann die Analyse großer Datenmengen dazu beitragen , Muster in der Gesundheit und Krankheit von Patienten zu identifizieren . Durch die Analyse dieser Daten können Ärzte präventive Maßnahmen ergreifen und die Behandlung von Patienten verbessern . Nicht zuletzt kann die 3D-Druck-Technologie in der Medizin eingesetzt werden , um individuelle medizinische Geräte und Implantate herzustellen , die genau auf den Patienten zugeschnitten sind .
Fabian Theis , Leiter Computational Health Center , Helmholtz München und Professor für Mathematische Modellierung biologischer Systeme , TU München
Aus Utopien werden Visionen
Wenn jeder Mensch auf der Welt die Aufgabe bekommen würde , ein Einhorn vor einem Regenbogen zu malen , kämen genauso viele verschiedene Bilder heraus , wie es Menschen gibt . Denn jeder Mensch und damit jedes Bild ist einzigartig . In etwa so können Sie sich auch die menschlichen Zellen vorstellen . Unser Körper besteht aus bis zu 100 Billionen Zellen , die nicht nur vom Typus variieren , sondern auch von Mensch zu Mensch . Und so ist auch der Raum der möglichen Phenotypen riesig . Mich interessiert , wie man diesen Raum mit Computermodellen beschreiben kann , um zum Beispiel zu verstehen , wie Zellen
Jochen A . Werner , Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsmedizin Essen
Keine Angst vor Dr . Algorithmus
Ich bin davon überzeugt : Das Gesundheitswesen zählt zu den großen Profiteuren KI-basierender Technologien . Zum einen organisatorisch , was etwa die Arzt-Patienten-Kommunikation anbelangt . Arztbriefe werden automatisch aus Elektroni-
NEUE MEDIKAMENTE Zwischen November 2019 und Ende 2023 sind 434 Zulassungen möglich
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Projekte gegen Krebserkrankungen , davon
35 gegen Lungenkrebs , Typ NSCLC 22 gegen Brustkrebs 2 gegen Glioblastom
Projekte gegen neurologische Erkrankungen , davon
8 gegen Alzheimer-Demenz 4 gegen Parkinson 2 gegen Spinale Muskelatrophie
Projekte gegen Stoffwechselkrankheiten , davon
14 gegen Diabetes Typ 2
1 gegen die Niemann- Pick-Krankheit
Projekte gegen Infektionskrankheiten , davon
10 gegen HIV-Infektionen 3 zur Grippe-Behandlung 10 für Impfstoffe
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Janne-Finn Klöppen , Leser
Faktor Mensch
Die Medizin von morgen bietet Chancen und Risiken . Technologische Fortschritte und personalisierte Medizin können Leben retten und die Lebensqualität verbessern . Doch besteht die Gefahr , dass der Mensch als Patient zunehmend Objekt von Technologie wird und Gesundheitsdaten missbraucht werden . Es ist wichtig , den menschlichen Faktor zu berücksichtigen und Patienten als Individuen zu behandeln . Nur so können wir sicherstellen , dass der Mensch im Mittelpunkt der medizinischen Behandlung steht .
miteinander kommunizieren und wie sie Gewebe bauen . Das ist wichtig für Fragen aus der Entwicklung aber auch bei Krankheiten wie Diabetes oder Krebs . Wie verändern sich die betroffenen Zellen ? Und was genau läuft bei ihnen schief ? Diese Kenntnisse sind wichtig , um Zellen wieder auf einen gesunden Weg zu führen . Um all diese Daten erfassen zu können , braucht es Künstliche Intelligenz . Mit KI können wir Methoden entwickeln , die grund- schen Patientenakten und aktuellen Befunden generiert und in laienverständlicher Sprache für Patienten abgefasst . Gleiches gilt für Fachinformationen an weiterbehandelnde Mediziner . Zum anderen werden Prävention , Diagnostik und Therapie revolutioniert . KI wird große Datenvolumina und aktuelle Forschungsergebnisse auswerten , nach Mustern suchen und Zusammenhänge herstellen , die sich dem Menschen in Breite und Tiefe nicht mehr erschließen können . Gerade weil Prävention immer wichtiger wird , ergeben sich völlig neue Horizonte . Die Aufgabe der Mediziner von morgen wird es sein , die Datenfülle mithilfe der KI
Quelle : vfa
Personalisiert behandeln
Projekte gegen Herz-Kreislauf- Erkrankungen , davon
6 gegen Thrombosen bei Kindern
5 zu chronischer Herzinsuffizienz
Klaus Cichutek , Präsident Paul-Ehrlich-Institut ( PEI )
Die Medizin von morgen birgt ein großes Potenzial und schon heute liefert die Biotechnologie hierfür wichtige Werkzeuge – auch für neuartige Impfstoffe . Das jüngste Beispiel ist die Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel bei der Europäischen
legende Fragen beantworten , aber sich auch für den klinischen Einsatz eignen . Beim weltweiten Netzwerk „ Human Cell Atlas “ haben wir es uns zum Ziel gemacht , alle menschlichen Zellen unseres Körpers zu kartieren . Damit soll unter anderem gelingen , was lange Zeit Utopie war : die gezielte Diagnose und Behandlung von Krankheiten . Das wird die Medizin der Zukunft „ molekularer “ und durch KI datengestützter und individueller machen . zu interpretieren , daraus korrekte Maßnahmen abzuleiten und ihre Patienten mit der notwendigen Nähe zu begleiten . KI ermöglicht zudem eine relevante Steigerung bei der Patientensicherheit , weil zum Beispiel Wechselwirkungen von Medikamenten untereinander und Wirksamkeiten in Abhängigkeit von der individuellen Stoffwechsellage schneller und präziser erkannt werden . Wir sollten alles daransetzen , die Perspektiven von KI für die Gesundheit der Menschen besonnen , aber zielorientiert zu nutzen , statt neue digitale Technologien wieder kleinmütig mit dem bewährten Innovationshemmer „ Datenschutz “ auszubremsen .
Projekte gegen Entzündungskrankheiten , davon
9 gegen atopische Dermatitis 8 gegen Asthma 8 gegen Lupus
Projekte gegen andere Erkrankungen , davon
5 gegen COPD 4 gegen Augenkrankheiten 2 gegen Arthrose
Arzneimittelagentur EMA für einen Impfstoff gegen das Respiratorische Synzytial-Virus ( RSV ) für Menschen ab 60 Jahre . In der Pandemie haben der Einsatz der mRNA- und Vektor- Technologien für die Impfstoffentwicklung ihre zentrale Bedeutung für die schnelle Entwicklung und massenhafte Herstellung von COVID- 19-Impfstoffen unter Beweis gestellt . Insbesondere die mRNA-Technologie , die als Baukastensystem genutzt werden kann , erlaubt die kostengünstige und schnelle Anpassung an veränderte Zielstrukturen . Die Hoffnung ist , damit auch eine zusätzliche Option bei der Behandlung von Krebserkrankungen zu haben . Als Teil der personalisierten Medizin soll ein aktiv auf die individuellen Eigenheiten der Krebszellen einer Patientin oder eines Patienten zusammengestelltes Immuntherapeutikum zur Behandlung eingesetzt werden . Ein Beispiel für Arzneimittel für neuartige Therapien ( Advanced Therapy Medicinal Products , ATMP ) sind Gentherapeutika , wie die CAR- T-Zellen , die sich bereits in der Leukämiebehandlung bewährt haben . Für die Bewertung dieser komplexen Arzneimittel hält das Paul-Ehrlich- Institut spezielle Expertise vor , die unter anderem auf seiner eigenen experimentellen Forschung beruht .