+3 Magazin Mai 2023 | Page 18

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WIR FRAGEN :

WAS KANN DIE MEDIZIN

VON MORGEN ?

Die israelische Organisation Wheelchair of Hope hat einen Rollstuhl entworfen , der in 3D-Druck gefertigt wird und gerade mal 100 US-Dollar kostet .
Quelle : der-querschnitt . de © iStock / RapidEye
Claudia Crocini , DZHK-Nachwuchsgruppenleiterin an der Charité und Gastwissenschaftlerin am Max Delbrück Center
Das Geschlecht macht den Unterschied
Die meisten Menschen sterben an einer kardiovaskulären Erkrankung – Frauen und Männer . Je älter wir werden und je heißer die Sommer aufgrund des Klimawandels sind , desto mehr machen uns Herz und Kreislauf zu schaffen . Auch bei Frauen verursachen kardiovaskuläre Erkrankungen jedes Jahr ein Drittel der Todesfälle . Dennoch werden Frauen traditionell von klinischen Studien ausgeschlossen , häufig falsch diagnostiziert und im Vergleich zu männlichen Patienten unzureichend behandelt . Die
Grundlagenforschung vernachlässigt das biologische Geschlecht oft ebenfalls . Die Medizin der Zukunft schließt niemanden aus . In der Forschung werden wir das Herz von Frauen und Männern untersuchen und dabei auch andere Faktoren wie die Hormonersatztherapie in den Wechseljahren oder bei Personen in der Transition , also der körperlichen Geschlechtsangleichung , berücksichtigen . Computerbasierte Simulationen können dabei helfen , Forschungsergebnisse an männlichen Herzen auf weibliche Herzen zu übertragen . Wenn wir das biologische Geschlecht in allen Phasen der Forschung einbeziehen , können wir die systematische Bevorzugung von Männern in den Kliniken abbauen . Wir haben die große Chance , die Behandlung für die Hälfte der Menschheit zu verbessern und besser vorzuhersagen , wie sich eine Krankheit im weiblichen Herzen entwickeln oder wie es auf eine Therapie ansprechen wird .
Dietrich Grönemeyer , Arzt , Wissenschaftler und Medizinunternehmer
Webfehler im System
Die Medizin hat den Menschen aus den Augen verloren . Gesunden können wir nur , wenn auch dem Inneren , dem Individuellen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird . Offen sein , sich Zeit nehmen , nicht von oben herab agieren , neugierig sein , den Menschen in seiner Gesamtheit erfassen – das ist die Grundlage jeder Behandlung . In diesem Zusammenhang sollte die Rolle von Hausärztinnen und Hausärzten als Gesundheitsmanager wieder gestärkt werden , weil sie ihre Patienten und deren Umfeld am besten kennen . Sie sind die ersten Ansprechpartner für Erkrankte , fungieren als Wegweiser und
bieten Hilfe zur Selbsthilfe . Und – ganz wichtig – auch den Krankenschwestern und Krankenpflegern als Copiloten der Hausärztinnen und Hausärzte sollten weitreichendere Aufgaben übertragen werden . Geld ist in unserem Medizinsystem reichlich vorhanden , nur muss es sinnstiftend umgeleitet werden . Etwa dadurch , dass die Stärken von Schulmedizin , Naturheilkunde , Psychologie und Psychosomatik zusammengeführt werden . Unter dem Aspekt der Prävention wäre es gut , mehr in Gesundheitskunde als Schulfach zu investieren . Das würde nachhaltige Änderungen im Lebensstil bewirken und so der Gesunderhaltung mehr dienen als die bisher übliche Reparaturmedizin . Statt über Krankenhausschließungen zu debattieren , sollten wir lieber nachdenken , ob Gesundheitszentren im Hinblick auf Prävention nicht mehr Sinn machen würden und für rotstiftgefährdete Krankenhäuser neue Perspektiven bieten .