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+1 4 WIR FRAGEN: WEM GEHÖRT DIE STADT? ... und was ist Ihre Meinung? www.plus-drei.de [email protected] Der Berliner Alexanderplatz ist fest in der Hand von Investoren: Neun Hochhäuser von bis zu 130 Metern Höhe sollen dort in den kommenden Jahren entstehen. Quelle: Tagesspiegel Birgitte Svarre, Architektin und Stadtplanerin Städte neu denken Es ist leicht gesagt, dass eine Stadt für alle da ist. Aber sie so zu gestalten, dass sie für alle funktioniert, ist eine große Herausforderung. Das Kopenhagener Büro, für das ich arbeite, hat eine lange Tradition in der Erhebung relevanter Daten über das Leben in der Stadt. Die sind entscheidend, um zu verstehen, was funktioniert und was nicht, wer sich wie in der Stadt bewegt und was Menschen von städtischen Räumen ausschließt – etwa Kinder oder ältere Menschen. Das klingt simpel, ist aber nicht die Norm. Traditionell zählen Städte Autos und richten ihre urbanen Strategien primär am Autoverkehr aus. Zum Glück ändert sich das gera- de. Die Untersuchung des öffentlichen Lebens im Verhältnis zum vorhan- denen Raum gewinnt an Bedeutung. Dadurch erhalten wir aussagekräfti- ge Daten, die es uns erlauben, Städte für die Menschen zu designen. Das ist auch eine Antwort auf die Forderung unserer Kinder, uns endlich den Her- ausforderungen des Klimawandels zu stellen. Wir sollten ihnen zuhören und gewohnte Verhaltensmuster im Bezug auf Mobilität und Bauen – den größ- ten Emissionsquellen in unseren Städ- ten – überdenken. Lasst uns die „Das geht hier nicht“-Perspektive über Bord werfen und den Mut haben, die Vision einer fairen Stadt zu verfolgen, die den Menschen Raum, umweltfreundliche Transportsysteme und eine saubere Umgebung bietet. Dafür müssen wir kreativ denken, Experten aus verschie- denen Disziplinen zusammenbringen und auf neuen Wegen miteinander kollaborieren. © iStock./hanohiki Tim Renner, ehemaliger Staatssekretär für Kultur, Stadt Berlin Komplexe Aufgabe Wer stabile Verhältnisse mag, lebt in der falschen Zeit. Alles ist im Wan- del, egal ob Digitalisierung, Globali- sierung, Klimakatastrophen, Trump, umkippende Alterspyramide. Die Gesellschaft ist mit Phänomenen beschäftigt, die maximale Unsicher- heit schaffen. Weltweit gilt: Noch nie ging es uns so gut wie heute, aber parallel ist die Menschheit kollektiv in Angst wie vielleicht niemals zu- vor. Wer Angst hat, zieht sich zurück. Der Rückzug führt in die eigenen vier Wände. Die eigene Wohnung wird zum letzten Zufluchtsort. Dort zit- tert dann besonders, wer zur Miete wohnt. Wohnungsnot ist eine greifba- re Angst. Es verhält sich wie vor zwei Sommern mit dem Thema Migration: Populisten nutzen Ängste schamlos aus – egal ob sie von links oder rechts kommen. Sie bieten einfache, radika- le Lösungen. Egal ob „Grenzen dicht“ oder „Deutsche Wohnen und Co. ent- eignen“ – wir reden hier jeweils über Maßnahmen, die sich historisch be- reits als falsch erwiesen haben. Sie lösen das eigentliche Problem nicht. Wer der Sache auf den Grund gehen will, muss ein Grundrecht auf Woh- nen einführen, Wohnungen bauen, Mieten begrenzen, Mieterrechte aus- bauen, überlegen, wie Wohnen und Arbeiten in der digitalisierten Gesell- schaft funktioniert, sich um die Infra- struktur auf dem Land kümmern und vieles mehr. Ja, das ist mühsam und komplex, aber für die Betroffenen weit wirkungsvoller als über Enteig- nung zu debattieren, durch die kein neuer Wohnraum entsteht.