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WIE ZEIGT MAN
VERANTWORTUNG?
WIR FRAGEN:
... und was ist
Ihre Meinung?
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[email protected]
In unseren Meeren schwimmen rund 150 Millionen
Tonnen Plastikmüll. Das entspricht etwa 7,5 Billionen
herkömmlichen Plastiktüten.
Quelle: Greenpeace
Gregor Hackmack,
Leiter Change.org
Deutschland
Eine neue Generation
von Mitmachern
Ein grauer Wintertag im Februar
2019 wird für Gustav (16) und Lilli
(17) zum aufregendsten Moment ih-
res bisherigen Lebens. Seit Wochen
gehen die beiden freitags nicht zur
Schule, sondern auf die Straße – für
mehr Klimaschutz. Die 16-jährige
Schwedin Greta Thunberg machte
vor, was bis heute europaweit zehn-
tausende Schülerinnen und Schüler
nachmachen. Für Gustav und Lilli
ist Greta ein Vorbild. Immer mehr
Menschen hören ihr zu. Andere Men-
schen verstehen das nicht und grei-
fen sie an. Der Ton ist hasserfüllt.
Gustav und Lilli nehmen das nicht
hin. Auf Change.org starten sie ihre
#WeloveGreta-Petition. Sie schreiben
Greta den größten Liebesbrief aller
Zeiten. Als Greta Hamburg besucht,
dürfen Gustav und Lilli mit auf die
Bühne. Ihr schönster Moment: Sie
übergeben ihrem großen Vorbild den
Brief mit 80.730 Unterschriften. Die
Aktion macht bundesweit Schlagzei-
len. Solche Momente zeigen, dass di-
gitaler Protest wirkt. Gustav und Lilli
gehören zu einer neuen Generation,
die wieder Verantwortung übernimmt.
Die Plattform Change.org hilft Men-
schen wie ihnen, sich per Mausklick zu
vernetzen und innerhalb kürzester Zeit
viele Gleichgesinnte für ihr Anliegen
zu mobilisieren. Gustav und Lilli ma-
chen weiter. Sie haben eine neue Kam-
pagne gestartet. Zusammen mit der
Deutschen Umwelthilfe wollen sie nun
den Bau neuer Fracking-Terminals
stoppen. Auch hierfür mobilisieren sie
Tausende. Die Zeiten von „Allein kann
ich sowieso nichts ändern“ sind vorbei.
© iStock./Nastco
André Leipold,
Mitglied des Aktions-
künstler-Kollektivs
Zentrum für Politische
Schönheit (ZPS)
Aufklärung ist der Weg
So allgemein die Frage auch klingt,
sie drückt bei mir sofort bestimm-
te Knöpfe: Holocaust/Aufklärung,
Schuld/Verantwortung.
Es
sind
Begriffspaare, die sich durch mei-
ne Arbeit und die gewonnenen Er-
kenntnisse während vergangener
Aktionen des ZPS gebildet haben –
Grundmotive also, die uns zur Suche
nach kollektiven Antworten auf eine
Frage drängen: Welche Rolle spielt
der überwundene Zivilisationsbruch
im Hier und Jetzt? Es ist eine alle
Kategorien sprengende Frage, die
viele moralische, politische, wissen-
schaftliche oder künstlerische Im-
plikationen bereithält. Wir wollen
jedoch eine immer und überall gülti-
ge Antwort kreieren. So ein überge-
ordneter Ansatz führt unweigerlich
zu kühnen Sprüngen in einer Er-
zählung, die man sich leider nur im
konstruierten Rahmen der Kunst er-
lauben kann. Die Kurzversion lautet
so: Wir übernehmen Verantwortung
für die Zukunft, indem wir die Auf-
klärung verteidigen und das Wissen
um ihre Zerbrechlichkeit bewahren.
Erst wenn wir aus freien Stücken die
Schuld für den Abgrund, den unsere
Ahnen aufgerissen haben, annehmen
und tragen, können wir über uns hi-
nauswachsen. Sie zu tragen, macht
unsere Schultern stärker. Erst dann
haben wir die volle Verantwortung
übernommen und unsere Mündig-
keit für moralischen Fortschritt und
utopische Traumverwirklichung ge-
wonnen. Und erst dann haben wir
Immanuel Kant wirklich verstanden,
denn: „Aufklärung ist der Ausgang
des Menschen aus seiner selbst ver-
schuldeten Unmündigkeit.“