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Gisbert L. Brunner,
Uhrenjournalist und
Buchautor
Konstant in Mode
Alle Welt redet von Ökologie und Nach-
haltigkeit. Und das völlig zu Recht.
Mechanische Armbanduhren leisten
zweifellos einen zwar kleinen, aber
keineswegs zu unterschätzenden Bei-
trag zum Schutz unserer Umwelt. Ihr
Ausstoß an schädlichem CO 2 ist näm-
lich gleich null. Um eine der traditi-
onsreichsten Maschinen am Laufen zu
halten, genügt – man mag es fast nicht
glauben – eine Milliardstel Pferdestärke.
Natürlich geht es auch hier nicht ohne
Energie. Aber die kommt allein durch
körperliche Bewegung zustande. Auch
in anderer Hinsicht besitzt diese zeit-
bewahrende Tradition beachtliches Zu-
kunftspotenzial. Bei regelmäßiger Pflege
lassen sich die stoisch tickenden Objek-
te nämlich über Generationen hinweg
vererben. Mit etwas Glück und Geduld
wächst dabei auch noch der Wert. Mehr
kann man eigentlich nicht erwarten. Die
moderne Seite der Tradition zeigt sich
schließlich auch bei der Herstellung.
Umweltfreundliche Handarbeit besitzt
auch im 21. Jahrhundert einen hohen
Stellenwert. Viele Uhrenfabrikanten
nutzen mittlerweile erneuerbare Ener-
gien, gewinnen die von Produktions-
maschinen erzeugte Wärme zurück und
bereiten Flüssigkeiten sorgfältig auf. Bei
Gebäuden in der Uhr-Schweiz heißt das
Zauberwort „Minergie“. Folglich passt
die konsequente Bewahrung des Über-
lieferten perfekt in unsere schnelllebige
Zeit. Das Ticken der mechanischen Uhr
ist und bleibt der Herzschlag menschli-
cher Kultur, auch wenn Smartwatches
etwas anderes glauben machen.
TRADITION TRIFFT MODERNE So viele Handwerksbetriebe hat 2017 die Digitalisierung erreicht
Anteil nach Gewerbegruppen
54%
20%
36%
38%
26%
26%
24%
Gesundheit
Kfz
Lebensmiel
Gewerblicher
Bedarf
Ausbaugewerbe
Umfrage unter 8.912 Handwerksbetrieben, 1. Quartal 2018
Rainer Rother,
Künstlerischer Direktor
Deutsche Kinemathek
Im Gedächtnis bleiben
Ob Tradition modern sein kann, ent-
scheidet sich bei Filmen heute zu-
nächst nicht nach Bedeutung, Aktu-
alität oder ästhetischer Innovation
eines sogenannten alten Werks. An-
dere Künste bleiben mit ihrer Tra-
dition präsent – in Ausstellungen, in
Bibliotheken, im Repertoire. Die Öf-
fentlichkeit entscheidet, was bleibt.
Die Tradition des Films dagegen ver-
schwindet durch einen technischen
Umbruch. Die Präsentation, die Ver-
triebswege funktionieren nicht mehr,
sie sind bis auf wenige noch auf ana-
loges Filmmaterial eingerichtete Kinos
und Filmmuseen vollständig digital
geworden. Kino, TV, DVD und Blu-
Ray oder Video on Demand schließen
„nur“ analog verfügbare Titel und da-
mit das, was Tradition heißen könn-
te, aus. Grob gesprochen sind alle bis
etwa 2010 entstandenen Filme un-
sichtbar geworden. Wieder sichtbar
werden sie nur, wenn sie digitalisiert
und damit in den neuen Vertriebswe-
gen auch zeigbar werden. Was modern
sein kann an der Tradition – bei über
100.000 abendfüllenden Titeln al-
lein in der deutschen Filmgeschichte
– wird zur Frage der Auswahl, der
Bauhauptgewerbe Personenbezogene
Dienstleistungen
Quellen: ZDH, Statista
Sigrid Förster, Leserin
Ursprüngliche Kraft
Für mich ist die schönste und auch die
modernste Tradition das Segeln auf
alten Windjammern – nachhaltig aus
Holz gebaut, nicht aus profanem Plas-
tik. Diese Schiffe verkörpern Tradition,
Eleganz und nutzen auf ganz moder-
ne Weise die Naturgewalt des Windes
zur Fortbewegung. Mein Lieblings-
schiff wurde vor über 130 Jahren als
viktorianischer Rennkutter für einen
Lord in Southampton auf Kiel gelegt.
Nach ihrer Zeit als Rennyacht diente
sie der Schmuggelbekämpfung in den
englischen Küstengewässern und als
Hausboot. Seit einigen Jahren hat man
die Gelegenheit, auf diesem Stück Ge-
schichte zu segeln und die See zu erle-
ben. Schon das Schwanken des Schiffs
und die Gerüche unter Deck versetzen
Priorisierung für die Digitalisierung.
Ist Gerhard Lamprechts Film „Kat-
zensteg“ tatsächlich der immens mo-
derne Film, als den ihn der mit dem
Deutschen Filmpreis ausgezeichnete
Regisseur Andres Veiel – zu Recht –
beschrieben hat? Die Deutsche Kine-
mathek restauriert und digitalisiert
ihn nun. Dann wird er als bislang
unbeachtetes Meisterwerk erkennbar
werden, das zur Tradition wie zu Mo-
derne gehört.
einen in eine andere Zeit. Der schönste
Augenblick ist, wenn nach dem Aus-
laufen die Segel gesetzt werden und
dann die Maschine gestoppt wird. Die
einsetzende Stille, verbunden mit den
Geräuschen von Wind und Wasser,
macht einem bewusst, dass man nah
an der Natur ist und sich vom Alltag
immer weiter weg entfernt.
Rainer Fein,
Vizepräsident
Zentralverband der
Deutschen Goldschmiede,
Silberschmiede
und Juweliere
Sag es in Gold
Schon in vorchristlicher Zeit ha-
ben Goldschmiede in ihrem Beruf
auf Tradition besonderen Wert ge-
legt. Dies haben wir uns bis heute
bewahrt. Deshalb ist heute wie in
der nahen Zukunft gerade in die-
sem Handwerk Tradition so mo-
dern wie noch nie. Wir setzen uns
durch immer wieder neue Ideen in
der Gestaltung von Schmuck mit
dem Neuen, aber auch mit der Be-
wahrung von Altem auseinander.
Gerade bei hochwertigem Schmuck
legen immer mehr Kunden Wert auf
Individualität. Die Gesellschaft hat
heute viel mehr Möglichkeiten des
Vergleichens. Genau darin liegt die
Nicolas Flessa,
Chefredakteur Zeitschrift
„bauhaus now“
Untrennbar verbunden
Ich kenne mich. Nachdem ich diesen
Beitrag fertiggestellt habe, werde ich
ihn auf meinem virtuellen „Schreib-
tisch“ speichern. Auf einem Schreib-
tisch, der keine Füße mehr hat. Und
doch ist er, wie jeder echte Schreib-
tisch, ein Spiegelbild der Seele sei-
nes Benutzers. Auf meinem Schreib-
tisch tummeln sich Dutzende von
Dateien und natürlich ein PDF zum
Bauhaus und der Moderne. Die Mo-
derne hat sich immer auch als Zei-
tenbruch verstanden. Diese Lesart
haben wir bis heute beibehalten,
wenn wir anlässlich des Bauhaus-
Jubiläums auch den Anbruch der
Moderne feiern. Doch wie modern
ist eine Moderne, die man feiert wie
eine gute alte Tradition? Wer heute
von Wurzeln, Heimat und Identi-
tät spricht, befindet sich leicht auf
einer politisch abschüssigen Seite.
Zu tiefgreifend war der Missbrauch,
den diese Begriffe erfahren haben.
Ist Tradition daher zwangsläufig
antimodern? Ich glaube nicht. Als
Walter Gropius seine Schule, die er
allein der Gegenwart verpflichtet se-
hen wollte, benannte, orientierte er
sich dafür an einer Institution des
Mittelalters: der Bauhütte. Schöner
kann man die gegenseitige Abhän-
gigkeit von Tradition und Moderne
kaum auf den Punkt bringen. Der
Computer, auf dem ich diese Zeilen
schreibe, steht übrigens auf einem
realen Schreibtisch, den ich vor dem
Sperrmüll bewahrte. Letztes Jahr
fand ich heraus: Er stammt aus der
Feder eines Bauhäuslers. Ein sol-
cher Klassiker wird mein virtueller
Schreibtisch wohl kaum werden –
oder etwa doch?
Chance, sich von den Massenherstel-
lern zu unterscheiden, indem man
durch hohe Handwerkskunst wieder
auf alte Traditionen Wert legt und
sie zu neuem Leben erweckt. In der
Branche zeigt sich, dass gerade Ma-
nufakturen, die sich mit alten Tradi-
tionen beschäftigen, großen Erfolg
am Markt haben. Schmuck war und
ist in der Zukunft eine Möglichkeit,
sich zu individualisieren. Mit edlem
Schmuck haben sich Menschen in al-
ten Kulturen wie in der heutigen Zeit
von der Masse abgesetzt. Um diese
Handwerkskunst zu erhalten, bedarf
es einer qualifizierten Ausbildung,
die mit dem Abschluss der Meis-
terprüfung enden sollte. Dadurch
wären die Perspektiven für junge,
gut ausgebildete Goldschmiede und
Goldschmiedinnen so gut wie noch
nie. Einen Leitspruch halte ich gera-
de in der heutigen Zeit für unabding-
lich, der da heißt: Das Alte bewahren
und dem Neuen aufgeschlossen ge-
genüberstehen.