+3 Magazin Februar 2022 | Page 22

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Doris Meier , Leserin
Nicht allein
Nicole Hegmann , Patientenvertreterin im Gemeinsamen Bundesausschuss
Die Situation , dass man jahrelang auf die richtige Diagnose wartet , kenne ich aus meiner eigenen Familie , und ich kann sagen : Neben der Krankheit sind Ungewissheit und Machtlosigkeit das schlimmste bei der Suche nach dem richtigen Arzt und der richtigen Diagnose . Besonders die Ungewissheit prägte bei uns das Familienleben , denn meine Schwester hatte immer wieder Schübe , die ihre Krankheit phasenweise verschlimmert haben . Die Sorge , dass es ihr bald wieder schlechter gehen könnte , war irgendwie immer da und hat unseren Familienalltag stark beeinträchtigt . Uns hat es sehr geholfen , dass es Initiativen gibt , die uns zur Seite standen und stehen und Erfahrungen teilen . Denn so haben wir als Familie mittlerweile nicht mehr das Gefühl , ganz allein gegen die Krankheit zu kämpfen . Ich glaube , dieses Engagement ist für Familien besonders wichtig .
Laura Inhestern , Leiterin Forschungsgruppe Versorgungsforschung für Seltene Erkrankungen im Kindesalter , Uniklinikum Hamburg-Eppendorf
Doppeltes Risiko
Die Corona-Pandemie stellt Menschen mit seltenen Erkrankungen sowie deren Angehörige vor besondere Herausforderungen : Zugänge zu medizinischer Versorgung oder zu therapeutischen Einrichtungen waren beziehungsweise sind eingeschränkt , Termine werden verschoben oder abgesagt und Informationen zu Impfungen oder Impfpriorisierung bei seltenen Erkrankungen fehlen . Neben medizinischen Aspekten beeinflusst das auch den Lebensalltag der Betroffenen und ihrer Familien . So können das Ausüben des Berufs sowie der Kindergarten- oder Schulbesuch gegebenenfalls nur eingeschränkt möglich sein . Zudem ziehen sich Betroffene unter Umständen vermehrt zurück , da das Risiko einer Infektion und damit möglicher gesundheitlicher Folgen hoch ist . Hierdurch können wiederum Ängste oder depressive Symptome entstehen . Da bisher für Deutschland systematische Studien fehlen , untersucht die Forschungsgruppe Versorgungsforschung bei Seltenen Erkrankungen im Kindesalter am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf , wie Menschen mit seltenen Erkrankungen die Pandemie erleben . In einem Forschungsprojekt , gemeinsam mit der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen ( ACHSE ) und gefördert von der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung , sollen Versorgungslücken aufgedeckt und Hinweise für eine Verbesserung der Versorgung und psychosozialen Situation der Betroffenen identifiziert werden .
Verena Schmeder , Gründerin und Vorsitzende SYNGAP-Elternhilfe
Leben steht Kopf
Ich habe die erythropoetische Protoporphyrie ( EPP ) und mein achtjähriger Sohn Jamie das SYNGAP1- Syndrom . Bei ihm führte das zu Entwicklungsstörungen , Epilepsie und Autismus . Er sitzt im Rollstuhl , hat eine geistige Behinderung , kann nicht sprechen und hat zum Teil ein herausforderndes Verhalten . Diese beiden seltenen Erkrankungen machen unser Leben anders . Jamie will immer unterwegs sein , Rolli- oder Autofahren . Doch durch die EPP bedeutet für mich Sonne gleich Schmerzen . Ich gebe nach , denn ich weiß , dass er dadurch weniger epileptische Anfälle hat . Wir fahren mit dem Auto , denn er will
zur Autobahn . Da ist er glücklich . Doch fast jeder Ausflug ist zu kurz . Wenn wir zwischendurch anhalten oder am Ende heimkommen , geht das Geschrei los . Er mag es nicht , wenn die Fahrt zu Ende ist . Dann gilt es , ihn irgendwie ins Haus zu bekommen . Unser Haus und unser Auto sind nicht behindertengerecht . Lange macht mein Rücken das nicht mehr mit . Während ich ihn ins Haus trage , versuche ich , mich davor zu schützen , dass ich gebissen und gekratzt werde und wieder ein Büschel Haare verliere . Denn durch EPP ist meine Haut bei Sonnenlicht besonders schmerzempfindlich . Sobald er im Haus ist , geht es wieder . Aber er muss jetzt unbedingt die Treppe hoch und Händewaschen . Das ist sein Ritual . Dieses anstrengende Leben hat Spuren hinterlassen . Doch bei all den Problemen lässt ein Lächeln meines Kindes alle Sorgen für einen Moment verschwinden .
syngap . de , epp-deutschland . de
Chancen ausloten
Menschen , die an einer seltenen Erkrankung leiden , sind froh , wenn sie endlich eine fundierte Diagnose erhalten . Jedoch bedeutet das oft , dass der Kampf mit Behörden und Krankenversicherungen erst richtig entfacht wird . Bei seltenen Erkrankungen gibt es oft keine adäquate Behandlung , es werden lediglich die Symptome und nicht die Ursache behandelt . Da eine Aussicht auf Heilung nicht vorhersehbar ist , sind diese Behandlungsmethoden für Betroffenen oft unzufriedenstellend . Daher wenden sich Patienten oft hilfesuchend an entsprechende Selbsthilfeorganisationen . Hier können sie sich informieren , mit anderen Betroffenen austauschen und Hilfestellung erhalten , um Wege zu finden , wie sie mit ihrer Erkrankung besser umgehen können . Zudem erfahren sie , ob zurzeit Studien durchgeführt werden , die für ihre Krankheit bestimmt sind . Die Teilnahme an einer Studie kann eine gute Alternative zur symptombedingten Behandlung sein und dabei helfen , einen besseren Umgang mit der Erkrankung zu erlangen . Selbsthilfeorganisationen können hier Unterstützung anbieten , Patienten sollten sich dennoch auch selbst über Teilnahmemöglichkeiten an Studien im Internet informieren . Jedoch , überall wo Licht ist , gibt es auch Schatten . Auch im Rahmen einer Studie kann es passieren , dass eine Behandlung nicht entsprechend anschlägt und unerwünschte Nebenwirkungen auftreten . Wer aber an einer Studie teilnimmt , dem ist es jederzeit freigestellt , sie vorzeitig zu beenden .
Dominik Bornemann , Leser
In den Fokus
Für eine bessere Diagnose und Behandlung müssen alle Teilnehmer des Gesundheitssystems zusammenrücken . Der Fokus darf nicht nur auf Krankheiten liegen , die besonders weit verbreitet sind . Ich finde , dass es eine Verpflichtung der Pharmaindustrie ist , auch für Menschen mit seltenen Erkrankungen Medikamente zur Verfügung zu stellen . Hier sollte die Politik unterstützen , damit die Gewinne , die mit anderen Medikamenten erzielt werden , auch in die Erforschung von seltenen Krankheiten investiert werden . Zugleich sollte den Ärzten grundsätzlich mehr Zeit für die Untersuchung und Behandlung zur Verfügung stehen . Eine weitere Möglichkeit sehe ich in die Digitalisierung des Gesundheitswesens . Hier ergeben sich Möglichkeiten zur Vernetzung mit Fachärzten und zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Diagnose . ›