+3 Magazin Dezember 2015 | Page 23

Anzeige Niko Paech, Autor des Buches „Befreiung vom Überfluss“ Die Kunst der Reduktion Unser Leben ist vollgestopft mit immer mehr Gütern, Ereignissen und bequemen Technologien. All dies soll unseren Genuss steigern. Mittlerweile fehlt die Zeit, dies alles so abzuarbeiten, dass ein spürbarer Nutzen entsteht. Denn jede Aktivität und jedes Ding verlangt nach einem Minimum an Aufmerksamkeit, um sinnlich wahrgenommen werden zu können. Genuss lässt sich nicht delegieren, sondern erfordert die eigene leibliche und sinnliche Präsenz, somit also Zeit. Neurologen konnten zudem beweisen, dass wir uns bestenfalls auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren können. Da die Anzahl Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Gehen, sehen, verstehen Der Weg ist das Ziel. Es war eine „Philosophie der Wegeführung“, der sich Gartenkünstler wie Friedrich Ludwig von Sckell in Bayern oder Peter Joseph Lenné und Hermann Fürst von Pückler-Muskau in Potsdam verpflichtet fühlten. Sind doch die von ihnen angelegten Landschaftsgärten nur durch Bewegung erlebbar: Die Pflanze steht an ihrem Ort und wir bewegen uns. Dadurch werden wir Teil dieser Erlebniswelt. Ja, wir schaffen sie eigentlich erst. Blumen, Baumgruppen, Blickbeziehungen sind quasi das Vokabular dieser Gärten – und mit der Anlage von Wegen werden Romane erzählt. Billy Wagner, Berliner Wirt und Sommelier Moderner Ablasshandel Der Genuss bleibt doch bei Ihnen auf der Strecke, oder? Sie denken doch einfach, ihnen schmeckt das, was Sie essen, und wahrscheinlich tut es das auch. Aber da Sie gar nicht wissen, was für einen Fraß Sie tagtäglich essen, essen müssen, ist es auch nicht so schlimm. Bitte ändern Sie nichts, sonst müssen Sie ein Fass aufmachen, dass Sie nie wieder zubekommen. Sie wundern sich auch gar nicht, dass Sie immer die gleiche langweilige Scheiße in sich hineinschieben! Ein lautes Nein schallt aus der letzten Reihe im Raum. Wir kaufen doch nur im der Dinge, die wir uns kaufen können, explodiert, konkurrieren diese Objekte um die nicht vermehrbare Aufmerksamkeit. Wer ein Buch zu schnell liest, Musik zu flüchtig hört oder einen guten Wein „auf ex“ herunterkippt, kann diese Dinge nicht genießen, sondern setzt sich Stress und Reizüberflutung aus. Sinnliche, physische und kognitive Aufnahmekapazität sind menschliche Ressourcen, die nicht überbeansprucht werden dürfen. Die genussstiftende Wirkung einer Sache setzt voraus, dass ihre Verwendung eine Qualität aufweist, die außerhalb ihrer selbst liegt, nämlich vom Betrachter oder Nutzer selbst aufzubringen ist. Damit wird jede genussstiftende Verwendung zu einer virtuosen, aber zeitintensiven Handlung, die sich nur auf eine begrenzte Menge an Gütern erstrecken kann. Der Schlüssel zum Genuss liegt in kluger Reduktion und Entschleunigung. Romane freilich, die ohne unsere eigenen Träume unvollständig wären. Was Menschen bewegt, hat der Dichter Rudolf Borchardt gesagt, wird Musik, Literatur, Malerei, früher oder später aber auch Garten. Deshalb noch einmal: Was uns bewegt, erfahren wir im Garten, indem wir uns bewegen und uns immer weiter in ihn hineinlocken lassen – neugierig, vor allem jedoch genießend. Was nun aber das Genießen betrifft, verbanden die königlichen Auftraggeber der Potsdamer Parks stets das Schöne mit dem Nützlichen. Gestaltete Landschaft und Nutzgärtnerei gehörten für sie zusammen. Um Obst auf seine Tafel zu bekommen, ließ etwa Friedrich der Große auf den Terrassen des Schlosses Sanssouci Wein oder Feigen ziehen, vor den Neuen Kammern Kirschbäume pflanzen. Seine Nachfolger hielten es genauso. Denn sie wussten, dass schon im Paradies lebt, wer einen Garten hat. Bioladen ein. Tomaten und Südfrüchte im Winter und Äpfel im Sommer, Biowein und Biobier. Ah, so ist das, dann ist ja alles gut. Die kaufen im Bioladen. Ablasshandel nennt man das, wenn der Prenzlauer Berg und Kreuzköllner Bildungsbürger dort seinen täglichen Bedarf einkauft. Auf dem Markt kannst du nicht jedes Mal einkaufen gehen. Da ist es dann wirklich zu teuer. „Schatz, hol schon mal den Mercedes, dass wir die Einkäufe verstauen können.“ Wo bleibt nun der Genuss? Der steckt zwischen dem Mercedes und dem neuen Apple Smartphone fest. Genuss ist Zeit. Zeit zu haben, sich sein Essen aussuchen zu können. Die Wahl zu haben. Jeder hat die Wahl. Nur zu häufig nehmen wir das, was man uns vorsetzt. Hinterfragen nichts und schon sind wir wieder mit etwas anderem beschäftigt.