+3 Magazin April 2020 | Page 12

+3 12 WELCHE CHANCEN BIETET E-HEALTH? WIR FRAGEN: ... und was ist Ihre Meinung? www.plus-drei.de [email protected] Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg von E-Health ist ein sicherer Umgang mit dem Internet: Nur 36 Prozent der über 70-Jährigen geben an, darüber zu verfügen. Quelle: Bertelsmann Stiftung © iStock./fizkes Hans-Jürgen Bickmann, Vorsitzender Ärztlicher Beirat Telematik NRW Die Revolution rollt E-Health wird erst zusammen mit Künstlicher Intelligenz eine echte Al- ternative zur klassischen Medizin. Die algorithmengestützte Verarbeitung me- dizinischer Informationen leitet einen Disruptionsprozess in der Medizin ein. Diagnostik und Therapieentschei- dung fußen auf einer Patientenunter- suchung, die im klassischen Setting orts- und zeitgleich erfolgt. Alles läuft im Kopf des Arztes zusammen, der mit Wissen und Gewissen zu entschei- den hat. Das Gegenszenario: Digita- lisierte Vitaldaten werden von einem KI-System auf der Basis medizini- scher Leitlinien und des momentan weltweit verfügbaren Schul- und Er- fahrungswissens verarbeitet. In kurzer Zeit entdeckt das System Bagateller- krankungen mit derselben Leichtig- keit wie äußerst seltene. Oder es ent- deckt eine Nosologie, die wir bisher nicht kannten. Es bedeutet den Ab- schied vom ärztlichen Individuum. In der Forschung bedarf es der intui- tiven Intelligenz Einzelner, die durch die richtige Fragestellung und Hypo- thesenbildung Entwicklungsprozesse auslösen, von denen Generationen profitieren. Das Gegenszenario: Al- gorithmengestützte Recherchen in Vital-, Umwelt- und Sozialdaten füh- ren zeit- und regionsbezogene medi- zinische Entitäten zusammen, etwa in der Epidemiologie, und erfassen Zusammenhänge, für die es bislang generationenlangen Lernens bedurfte. Die Qualität medizinischer Forschung bestimmen künftig Algorithmen, für deren Entwicklung wir immer neue geniale Köpfe brauchen. Jan Purr, Landarzt Ein langer Anfang Wenn das Ziel ist, Patienten trotz der Mangelressource Arzt gleichbleibend gut oder sogar noch besser als heute zu versorgen, kommt man an Digita- lisierung und Delegation nicht vorbei. Und wenn es „nur“ die Delegation von Hinhören und Rückmelden ist. Als Landarzt wünsche ich mir einen mög- lichst kompatiblen und komfortablen Informationstransfer, die Zusammen- führung von Befunden in einer zentra- len Patientenakte und die Vernetzung aller mit möglichst jedem. Aber wo bleibt der gemeinsame Standard auch bei Datentransfer und Datenschutz? Und wo die Interkonnektivität all der vielen guten Ansätze bis hin zu den persönlichen Health-Apps? Die Insel- lösungen dominieren. Und Edge auf dem Land ist als Mobilfunkstandard einfach zu langsam. Die Information unserer fahrenden Arzthelferinnen und -helfer landet zwar per VPN in unserer Patientenkartei, weiterhin bie- tet aber der direkte Griff zum Handy den schnelleren Informationsfluss. Di- gitalisierung mit menschlicher Kom- ponente will ich es empathisch positiv nennen. Unsere Patienten profitieren trotzdem gerade jetzt von der digita- len Medizin, wo Corona unseren Pra- xisalltag massiv einschränkt. Aber der Informationsfluss, der digitale als auch der persönliche analoge vor Ort, reißt nicht ab und gibt uns Rückmeldung. Mittels Videosprechstunde und zen- traler Datenerfassung versorgen wir unsere Patienten vielleicht ein wenig besser. Und der wichtige Sektor Pfle- ge? Nun, wir haben ja immer noch un- serer Telefone.