Eine aktuelle Umfrage soll der Frage auf den Grund gehen – für ein Buchprojekt.
Welche sexuellen Fantasien
haben die Deutschen?
von GERHARD HAASE-HINDENBERG
»Sex ist die intimste Form von Kommunikation, die uns Menschen
zur Verfügung steht«, erklärte der Berliner Sexualpsychologe
Christoph J. Ahlers im vergangenen Mai in einem ZEIT-Interview.
Aber wie bei jeder Kommunikation besteht auch bei der sexuellen
Interaktion die Gefahr des Missverstehens. Unterschiedliche
Charaktere treten hervor: dominante Ideologen und introvertierte
Skeptiker, wohlüberlegte Analysten und dumpfe Dampfplauderer.
Spätestens jetzt aber wird deutlich, dass das Bild der Kommunikation
für den Bereich der Sexualität bestenfalls als Metapher taugt, denn
niemand befindet sich während der sexuellen Betätigung auf dem
Gipfel rationaler Vernunft. Eher schon im Tal affektiver Impulsivität.
Oder einfacher ausgedrückt: Eine Erektion oder eine feuchte
Vagina sind nicht das Ergebnis verstandesmäßiger Überlegungen.
»Torquato Tasso« in den Mund legte: »Erlaubt ist, was gefällt!« Das
beinhaltet selbstredend, dass der Sex allen beteiligten Partnern zu
gefallen hat. So bleibt selbstverständlich die Vergewaltigung
strafbar, selbst wenn sie dem Vergewaltiger gefällt. Ebenso bleiben sexuelle Handlungen mit jenen verboten,
die gar nicht in der Lage sind, die physische und
psychische Dimension einer solchen zu beurteilen – allen voran natürlich Kinder.
Was ist schon normal?
Gedanken sind bekanntlich frei und
so vollzogen sich zu allen Zeiten die
Fantasien der Menschen unabhängig
von juristischen Vorgaben. In den Köpfen der Menschen passieren Dinge, die
auch 40 Jahre nach der Liberalisierung
der Sexualgesetzgebung in großen Teilen
der Öffentlichkeit noch immer tabu sind.
Hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen,
ist das Ziel einer breit angelegten Umfrage,
die ich derzeit im Auftrag des RowohltVerlages durchführe. Anonym kann jeder
online über seine ganz individuellen
Wünsche und Vorlieben berichten und
bereits jetzt wird deutlich, dass sich in
den deutschen Köpfen zwischen EssenKettwig und der Schweinfurter Gartenstadt eine kaum erahnte Vielfalt
abspielt. Im kommenden Herbst soll
das Ergebnis dieser Umfrage zwischen Buchdeckeln erscheinen.
Im Jahr 1961 hatte sich der Bundesgerichtshof zum letzten Mal in
der deutschen Justizgeschichte dazu hinreißen lassen, das Sexualverhalten des deutschen Staatsvolkes juristisch zu reglementieren:
»Die moralische Ordnung fordert, dass körperliche Beziehungen
zwischen den Geschlechtern grundsätzlich sich nur in monogamen
Ehen vollziehen, da Zweck und Ergebnis dieser Beziehung das Kind
ist.« Noch befand sich dieses Land in jener dunklen Ära, in der
Homosexualität von mündigen Menschen verfolgt wurde und sich
jeder der »Unzucht« strafbar machte, der unverheirateten Paaren im
selben Bett ein Nachtlager bot. Doch schon in der zweiten Hälfte der
1960er Jahre war der Verfassungsjurist Horst Fischer damit beauftragt worden, für einen Bundestagsausschuss zur Strafrechtsform des
§ 181 StGB eine Materialsammlung zusammenzutragen und diese zu
kommentieren. Sicher kannte Fischer die »unzüchtigen« Darstellungen auf antiken griechischen Vasen oder vergleichbare Motive auf
den Fresken von Pompeji, was ihn zu der Aussage animierte: »Man
mag sexuelle Gemeinschaftspraktiken vom moralischen Standpunkt
aus verwerfen, rechtlich jedoch hat ein Staat, der sich demokratisch
nennen will, im Schlafzimmer erwachsener Menschen, die ein Intimleben nach eigener Anschauung führen wollen, nicht das Geringste
zu suchen.« Aber erst nachdem sich Anfang der 1970er Jahre durch
die neue sozialliberale Bundesregierung ein Paradigmenwechsel
auch auf diesem Politikfeld vollzog, konnte eine Liberalisierung der
Gesetzgebung umgesetzt werden. Erwachsenen Staatsbürgern war es
fortan erlaubt, nach freiem Willen den Sex einvernehmlich miteinander zu vollziehen. Nach Ansicht von Historikern und Sexualpsychologen kann es angesichts einer sich in ständigem Wandel begriffenen gesellschaftlichen Moral gar keine gültigen Definition von
»normalem Sex« geben. Vielmehr gilt das Wort, das Goethe seinem
12 ZUK U N F T S B L I C K m i3n 2 0 10 3 - 2 0 1 4
0 -i
4
Die sexuelle Fantasie der
Deutschen
Wenn Sie Lust haben, sich an dieser Umfrage zu beteiligen, besuchen Sie mein Online-Formular
auf www.sex-fantasien-online.de
– natürlich anonym. Ich freue
mich auf Sie! n