Zukunftsblick Kompakt | Page 12

Eine aktuelle Umfrage soll der Frage auf den Grund gehen – für ein Buchprojekt. Welche sexuellen Fantasien haben die Deutschen? von GERHARD HAASE-HINDENBERG »Sex ist die intimste Form von Kommunikation, die uns Menschen zur Verfügung steht«, erklärte der Berliner Sexualpsychologe Christoph J. Ahlers im vergangenen Mai in einem ZEIT-Interview. Aber wie bei jeder Kommunikation besteht auch bei der sexuellen Interaktion die Gefahr des Missverstehens. Unterschiedliche Charaktere treten hervor: dominante Ideologen und introvertierte Skeptiker, wohlüberlegte Analysten und dumpfe Dampfplauderer. Spätestens jetzt aber wird deutlich, dass das Bild der Kommunikation für den Bereich der Sexualität bestenfalls als Metapher taugt, denn niemand befindet sich während der sexuellen Betätigung auf dem Gipfel rationaler Vernunft. Eher schon im Tal affektiver Impulsivität. Oder einfacher ausgedrückt: Eine Erektion oder eine feuchte Vagina sind nicht das Ergebnis verstandesmäßiger Überlegungen. »Torquato Tasso« in den Mund legte: »Erlaubt ist, was gefällt!« Das beinhaltet selbstredend, dass der Sex allen beteiligten Partnern zu gefallen hat. So bleibt selbstverständlich die Vergewaltigung strafbar, selbst wenn sie dem Vergewaltiger gefällt. Ebenso bleiben sexuelle Handlungen mit jenen verboten, die gar nicht in der Lage sind, die physische und psychische Dimension einer solchen zu beurteilen – allen voran natürlich Kinder. Was ist schon normal? Gedanken sind bekanntlich frei und so vollzogen sich zu allen Zeiten die Fantasien der Menschen unabhängig von juristischen Vorgaben. In den Köpfen der Menschen passieren Dinge, die auch 40 Jahre nach der Liberalisierung der Sexualgesetzgebung in großen Teilen der Öffentlichkeit noch immer tabu sind. Hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, ist das Ziel einer breit angelegten Umfrage, die ich derzeit im Auftrag des RowohltVerlages durchführe. Anonym kann jeder online über seine ganz individuellen Wünsche und Vorlieben berichten und bereits jetzt wird deutlich, dass sich in den deutschen Köpfen zwischen EssenKettwig und der Schweinfurter Gartenstadt eine kaum erahnte Vielfalt abspielt. Im kommenden Herbst soll das Ergebnis dieser Umfrage zwischen Buchdeckeln erscheinen. Im Jahr 1961 hatte sich der Bundesgerichtshof zum letzten Mal in der deutschen Justizgeschichte dazu hinreißen lassen, das Sexualverhalten des deutschen Staatsvolkes juristisch zu reglementieren: »Die moralische Ordnung fordert, dass körperliche Beziehungen zwischen den Geschlechtern grundsätzlich sich nur in monogamen Ehen vollziehen, da Zweck und Ergebnis dieser Beziehung das Kind ist.« Noch befand sich dieses Land in jener dunklen Ära, in der Homosexualität von mündigen Menschen verfolgt wurde und sich jeder der »Unzucht« strafbar machte, der unverheirateten Paaren im selben Bett ein Nachtlager bot. Doch schon in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre war der Verfassungsjurist Horst Fischer damit beauftragt worden, für einen Bundestagsausschuss zur Strafrechtsform des § 181 StGB eine Materialsammlung zusammenzutragen und diese zu kommentieren. Sicher kannte Fischer die »unzüchtigen« Darstellungen auf antiken griechischen Vasen oder vergleichbare Motive auf den Fresken von Pompeji, was ihn zu der Aussage animierte: »Man mag sexuelle Gemeinschaftspraktiken vom moralischen Standpunkt aus verwerfen, rechtlich jedoch hat ein Staat, der sich demokratisch nennen will, im Schlafzimmer erwachsener Menschen, die ein Intimleben nach eigener Anschauung führen wollen, nicht das Geringste zu suchen.« Aber erst nachdem sich Anfang der 1970er Jahre durch die neue sozialliberale Bundesregierung ein Paradigmenwechsel auch auf diesem Politikfeld vollzog, konnte eine Liberalisierung der Gesetzgebung umgesetzt werden. Erwachsenen Staatsbürgern war es fortan erlaubt, nach freiem Willen den Sex einvernehmlich miteinander zu vollziehen. Nach Ansicht von Historikern und Sexualpsychologen kann es angesichts einer sich in ständigem Wandel begriffenen gesellschaftlichen Moral gar keine gültigen Definition von »normalem Sex« geben. Vielmehr gilt das Wort, das Goethe seinem 12 ZUK U N F T S B L I C K m i3n 2 0 10 3 - 2 0 1 4 0 -i 4 Die sexuelle Fantasie der Deutschen Wenn Sie Lust haben, sich an dieser Umfrage zu beteiligen, besuchen Sie mein Online-Formular auf www.sex-fantasien-online.de – natürlich anonym. Ich freue mich auf Sie! n