ZFG Durchhalten trotz Corona-Krise | Page 4

Was machen Abstand, Isolation und unsichere Lockerungen mit uns – und wir mit ihnen? von Peter Wendl, Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG), Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt ir alle erleben eine Zeit außerge- wöhnlich intensiver Nähe einerseits (manchmal auch zu viel davon) und von (über-)großer Entfernung andererseits. Für die einen ist es eine Zeit wohltuender Freiheiten, für andere ist die Gegenwart besetzt mit Sorgen, Sehnsucht oder auch wachsender Einsamkeit. Die einen atmen auf und erleben eine Befreiung von Hamsterrädern des Funktionierens; manche sprechen gar von wohltuender „Entschleunigung“. Andere scheint das Höchstmaß an gleichzeitigen Anforde- rungen zunehmend zu überfordern und zu erschöpfen – insbesondere, da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die eigene seelische Gesundheit durch zeitlich noch nicht Absehbares extrem erschwert wird. Im schlimmsten Fall kann die beklemmende Enge für einige sogar häusliche Gewalt und Missbrauch befördern. Darum ist es unersetzlich, besonders aufmerksam für die Not und notwendige Unterstützung zu sein. W Um es vorwegzunehmen: Selbstver- ständlich bietet diese außergewöhnliche Zeit – trotz aller Einschränkungen – spe- zielle Chancen zur Selbstverwirklichung, zur persönlichen Weiterentwicklung so- wie zu neuem Austausch miteinander. Wie wir diese Zeit mit Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen bis hin zur Isolation aber letztlich persönlich erle- ben und für uns bewerten, ist stark von 4 unseren individuellen Bedingungen ab- hängig. Meine Lebenssituation – und die der Menschen, die mir wichtig sind – entscheidet stark, wie belastend ich CHDFDFDMVĔQSHFD/G@RDDLOjMCD .CDQ aber, ob ich sie als Bereicherung sehen kann, mit vielleicht gar wohltuenden Un- terbrechungen, mit anderer Taktung und größerer Selbstbestimmung. Entscheidend sind also zunächst meine Rahmenbedingungen: Bin ich oder sind die Menschen, die ich schätze, gesundheitlich gefährdet oder einsam? Kann ich mich selbst versorgen – und für meine Lieben da sein? Welche ƄQDQ]LHOOHQXQGVR]LDOHQ%HODVWXQJHQ machen mir jetzt Sorgen? Weiter entscheidend sind die Wohnver- hältnisse. Mit welchem Freiraum kann oder in welcher Enge muss ich leben und arbeiten – und besonders wich- tig: mit wem? Lebe ich alleine oder mit anderen eng zusammen – und welche Qualität hat die Situation? Sind die Menschen in meiner Nähe entlastend oder gar zusätzlich belastend? Habe ich zudem Kinder oder Angehörige zu UDQRNQFDMNCDQYTOkDFDM6DKBGDUDQ- änderten Verantwortungen bringt diese Zeit für mich? Und eine zentrale Frage für viele lautet derzeit: Wie kann ich alle Entbehrungen und Belastungen mög- DURCHHALTEN TROTZ CORONA-KRISE lichst so handhaben, dass sie mich nicht dauerhaft überlasten? Alleinstehende – Alleinerziehende – Paare – Familien – Großeltern – Fernbeziehung Singles oder Fernbeziehungspartner, die jetzt alleine oder entfernt voneinander leben müssen, können möglicherweise eine gewisse Freiheit erleben (aufgrund FDQHMFDQDQ5DQOkHBGSTMFDMNCDQCTQBG- aus auch eine zunehmende Einsamkeit und Sehnsucht – bis hin zur schmerzli- chen Erfahrung, die Partnerin/den Part- ner, Familie, Kinder und Menschen aus dem Freundeskreis nicht treffen und vor allem auch nicht in den Arm nehmen zu können. Eine wachsende Sehnsucht nach Normalität, die Einsamkeit sowie das Fehlen von körperlicher Berüh- rung beginnt für uns alle zunehmend zu schmerzen, je länger die Verände- rungen dauern. Diese Erfahrung wird für alleinstehende Menschen sowie für RNKBGDHM/kDFD TMC2DMHNQDMGDHLDM jetzt noch mehr als sonst deutlich; zumal wenn Besuchsbegrenzungen die Gege- benheiten zusätzlich verschärfen – und oft nicht verstanden werden können. Alleinerziehende (in den allermeisten Fällen: die Mütter) und getrennt Erzie- hende sind nun einer noch größeren Beanspruchung ausgesetzt als sonst.