Water Stories Osterweiterung | Page 3

EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, momentan scheint zu gelten: Je weiter die EU weg ist, desto attraktiver wirkt sie. In den EU-Gründerstaaten herrscht Europamüdigkeit und Skepsis. Die Ukrainer dagegen schwenkten blaue Europaflaggen, als sie im Winter ihren Aufstand gegen die Staatsmacht begannen. Und auch in anderen EU-Anrainerstaaten wie auf dem Balkan ist die Sehnsucht nach europäischen Institutionen, westlichen Werten und Demokratie nach wie vor groß. Dass Hoffnungen und Enttäuschungen sehr dicht beieinanderliegen, weiß wohl kaum jemand besser als die Bürger der neuen Mitgliedsstaaten im Osten Europas, die seit 2004 der EU beigetreten sind. Um sie geht es in diesem Heft. Vieles, wovon Polen, Balten oder Slowenen damals träumten, hat sich zehn Jahre nach der EU-Erweiterung nicht erfüllt: Noch immer ist der Lebensstandard in vielen Regionen so niedrig, dass massenhaft Ärzte und Fachkräfte abwandern und in Osteuropa fehlen. Noch immer lässt sich in Deutschland oder Großbritannien mit angeblicher „Armutsmigration“ Stimmung machen. Und der Fall Ungarn macht deutlich, wie wenig die EU ausrichten kann, wenn eine Regierung europäische Werte systematisch verletzt. Doch die Reportagen und Porträts in diesem Heft zeigen auch: Gerade jetzt in der Krise lohnt sich der Blick in Europas Osten. Die Generation, die in den vergangenen zehn Jahren die Freizügigkeit genutzt und Europa kennengelernt hat, geht nun in ihrer Heimat gegen korrupte Regierungen und Missstände auf die Straße. Mit Pragmatismus und Optimismus haben viele Osteuropäer die Ärmel hochgekrempelt und die Auswirkungen der Eurokrise bewältigt. Die lettische Strumpffabrikantin, die bulgarische Umweltaktivistin oder der rumänische Pfleger, der Senioren im Ruhrgebiet betreut: Sie alle zeigen, dass der Kontinent im Alltag weiter zusammengewachsen ist, als es das deprimierte Selbstbild Europas derzeit vermuten lässt. Sonja Volkmann-Schluck Redaktionsleitung 3