Alte und neue Grenzen <
Die Visaregelung ist weniger eine technische oder
strukturelle Frage, sondern eine politische: Belarus etwa
hat im Gegensatz zur Ukraine kein Visa-Erleichterungsabkommen und keinen Visa-Aktionsplan mit der EU abgeschlossen. Dennoch ist die Visa-Ablehnungsrate mit 0,5
Prozent geringer als in der Ukraine, wo sie 2012 bei zwei
Prozent lag. Zudem kommt die vermeintlich homogene
Schengen-Regelung in der Praxis längst nicht so einheitlich daher, wie es in der Theorie den Anschein hat: Allein
gegenüber ukrainischen Antragstellern schwanken Ablehnungsraten der einzelnen EU-Staaten manchmal zwischen
1,5 bis 14,7 Prozent.
Iryna Sushko weiß: „Die eklatanten Unterschiede in
der Visavergabepraxis der einzelnen EU-Länder verdeutlichen, welch große Rolle die politischen Vorgaben spielen,
nach denen sich die einzelnen Botschaften richten.“ Neben
Deutschland, Polen und Finnland drängen innerhalb der
EU vor allem jene Länder auf Visaerleichterungen für die
osteuropäischen Nachbarstaaten, die vom Tourismus abhängen: Spanien, Griechenland und Italien. Diese Staaten
gelten bei der Visaerteilung auch eher als großzügig.
Bei der EU-Visapolitik wirkt vor allem die Innenpolitik der einzelnen Länder als Bremse. Dänemark führte
auf Forderung der rechtspopulistischen Dansk Folkeparti
2011 kurzzeitig wieder Grenzkontrollen ein. Der britische
Premier Cameron drohte aus Angst vor „Armutseinwanderung“ aus Bulgarien oder Rumänien im Herbst 2013
damit, selbst EU-Ausländern keinen Zugang zum Sozialsystem zu gewähren: Schlechte Zeiten für „No-Visa“-Lobbyisten. Mit der Angst vor Einwanderung lässt sich zu gut
Politik machen.
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Tamina Kutscher, geboren 1977, arbeitet als Redakteurin
und Projektleiterin bei n-ost.
No-Visa-Aktivistin Iryna Sushko aus der Ukraine
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