Sonntagsblatt 6/2014 | Page 22

wie Bauernhäusern . Peinliche Reinlichkeit herrscht überall , in den Räumlichkeiten der Wohnhäuser sowohl wie im Hof . Das Wohnhaus ist behaglich , und mit bürgerlich stolzer Sorgfalt ausgestattet . Das stolze und trotzdem gemütliche Selbstbewusstsein dieses seelisch und leiblich gesunden Menschenschlages offenbart sich auch in ihrem Gehaben . Trotz des unermüdlichen Fleißes , des wirtschaftlichen Vorwärtsstrebens , die sie dauernd zu angestrengter Arbeit anspornt , fehlt es ihnen an natürlicher Lebenslust und Gemütlichkeit nicht . Ja , gleich den sogenannten Schwaben des Of ner Berglandes , ist der natürliche Hang zur „ Kmietlichkeit ” eine ihrer auffallendsten Eigenschaften . Man weiß gut zu leben , gönnt sich an Sonn- und Feiertagen viel Lebensfreude , pflegt mit besonderer Vorliebe Musik und Gesang . Jede Gemeinde hat ihre Musikkapelle , nicht selten auch mehrere , die bei allen Fest und Feierlichkeiten eine große Rolle spielen . Doch diese gesunde Le - bens freude , die sich an Sonntagen in gemütlichem Beisammen - sein von Alt und Jung in den Gaststuben äußert , vermag die ernste und schwere Arbeit , die sechs Tage der Woche hindurch von früh morgens bis spät in den Abend hinein verrichtet wird , nicht im mindesten zu beeinträchtigen . Wandert man durch ihre schmucken , lieblichen Gemeinden , so sieht man überall nur in rastloser Arbeit begriffene Menschen , kommt man an das Dorfende , so tun sich die dort befindlichen Tennen und Scheunen – Stadl genannt – wie mächtige , die doppelte Haushöhe übersteigende Magazine vor unseren Augen auf . Hier liegt der Reichtum dieser Bauern geborgen , hier stehen die gewaltigen Gebäude eines kräftigen , arbeitbeflissenen Volkes vor uns und sprechen eindringlicher als viele Bücher und Vorträge . Freilich strotzt der Boden , auf dem die Heidebauern hausen , nicht von Urkraft und unerschöpflicher Fruchtbarkeit . Ein solcher armer Mutterboden erheischt aber einen Menschenschlag , der einer gewaltigen Arbeitswucht ge - wach sen sein muss . Man sehe sich nur diese Heidebauern , die hienzischen Landwirte mal von unmittelbarer Nähe an . Das sind Männer , wie sie die Erde zur Betreuung braucht . Sie waren , wie das Deutschtum in Ungarn überhaupt , immer ein Stolz des ungarischen Militärs . Auch heute lebt noch der alte soldatische Stolz in den Herzen dieses mutigen Volkes , wofür ihre Veteranenvereine genügend Beweise liefern . Natürliche Klugheit , angeborene Intelligenz , ausgeprägter Wirtschaftsgeist und nicht zuletzt gute Schulbildung machen aus dem westungarischen Deutschen einen Menschenschlag , der sich in seiner volklichen Beschaffenheit auch in Zeiten härtester wirtschaftlicher Not und Widerwärtigkeiten stets wird behaupten können . Wirtschaftlich etwas schwächer bestellt , härter und mühsamer um das tägliche zu kämpfen haben die deutschen Bauern und Bürger in Ödenburg und Umgebung . Auch auffallende Armut und bitteres Ringen ums Dasein sind hier nicht unbekannt . Schwächerer Bodenertrag , geringerer Besitz an Haus und Feld – infolgedessen sichtbare Verproletarisierung der ärmeren Schicht – und auch besondere , hier äußerst scharf zum Vorschein kommende Wirtschaftsverhältnisse bilden die Hauptursache . Immerhin behaupten sich Gemeinden wie Agendorf , Harkau , Wolfs , trotz allem wirtschaftlichen Elend , mit bewunderungswürdiger Zähig - keit . Kulturell steht dieses Deutschtum auf derselben Höhe wie die Heidebauern . Materiell wurden die sogenannten Wirtschafts - bürger Ödenburgs , die „ Ponzichter ” ( aus Bohnenzüchter ), durch die Nachkriegszeiten in noch höherem Maße in Mitleidenschaft gezogen . Diese alte , historisch bedeutungsvolle Stadt erfüllte durch seine deutschen Einwohner , hauptsächlich als Bürgertum , Jahrhunderte hindurch eine bedeutsame Rolle deutscher Kultur - vermittlung . Gleich vielen anderen , von deutschem Bürgertum bewohnten Städten trug Ödenburg sehr viel zur Entwicklung der ungarischen Städtekultur und dadurch der ungarischen bürgerlichen Kultur überhaupt bei . Die ungarischen Könige waren diesen
Städten immer wohlwollend zugetan und beteiligten sie mit Privilegien . Dadurch konnte sich ein materieller Wohlstand innerhalb der Stadtmauern heimisch machen , was wiederum zur Ent - faltung eines regen Geisteslebens führte . Schulen wurden gegründet , es bildeten sich verschiedenen Brüderschaften , aus denen mit der Zeit die Zünfte entstanden sind , die aus Deutschland und Österreich verschiedene deutsche Sitten und Bräuche herüberpflanzten und zur Pflege der Kunst auch sehr viel beitrugen . „ Durch die in den Zünften vorgeschriebene Wanderschaft kamen die fahrenden Gesellen in vielen deutschen Landen herum , von wo sie nicht nur größere gewerbliche Fertigkeit , sondern auch die Liebe zur Bühne und zur Kunst mit sich brachten und zu ihrer Pflege daheim dann beitrugen .” Auch die Studenten zogen auf deutsche Universitäten und wurden so zu Vermittlern deutscher Kultur .
Eine nicht geringere Mission erfüllte auch das deutsche Bürger - tum der Stadt Ofen ( Buda ). Hier entfaltete es gleichfalls Jahr - hunderte hindurch eine in materieller wie geistiger Hinsicht vorbildliche Tätigkeit , deren Spuren heute noch nicht geschwunden sind . Als im 19 . Jahrhundert das Ungartum sich dann gewaltig und imponierend zusammenraffte und mit großem Erfolg sich anschickte , eine ungarisch geartete Kultur zu schaffen , begann zu gleicher Zeit die tonangebende Rolle des städtischen Deutsch - tums zu verblassen . Nach 1860 setzt bald ein rasches Verschwin - den dieser deutschen Bürgerschaft nicht nur in Ofen , sondern auch in vielen anderen Städten wie Raab ( Gyôr ), Temeschwar ( Te - mesvár ), Kaschau ( Kassa ), Fünfkirchen ( Pécs ) usw . ein . Durch den Glanz des ungarischen Adels angezogen , beginnt schier unauf haltsam der Prozess der Assimilation . Den Söhnen der einst so tüchtigen deutschen Handels- und Gewerbefamilien entglitt allmählich der wurzelfeste Boden ihrer Väter und sie gingen vorwiegend im ungarischen Beamtenstand auf .
Nicht so aber der deutschungarische Bauernstand . Dieser hielt fest an allem , was sein Ahnenerbe war . Er klammerte sich mit allen Fasern seines Herzens , wie mit stählernen Ketten – wenn auch unbewusst – an Scholle und Muttersprache . In den Ofner Bergen , im Schildgebirge , im Bakonyer Wald , in der Schwäbischen Türkei , in der Batschka leben noch heute die unverfälschten Nachkommen der einstigen deutschen Ansiedler . Ihre Seele hat nichts von den alten , treu gehegten Heiligtümern aufgegeben ; ihr Leib und Blut nichts vom Ererbten eingebüßt ; Sprache und Bräuche sind nicht verkümmert .
Wer dieses Deutschtum kennen lernen will , muss einen Blick auf seine Vergangenheit werfen , muss das Leben dieses Stammes seit der Einwanderung in die neue Heimat kennen lernen . Zu Beginn des 18 . Jahrhunderts vollzog sich in Ungarn ein historisches Ereignis , das für das Deutschtum in Ungarn von bedeutender Tragweite werden sollte . Nach heldenhaftem Kampf ungarischer und deutscher Soldaten konnte sich das beinah zwei Jahr - hunderte hindurch durch die Türken unterjochte Ungarn endlich von der asiatischen Knechtschaft freimachen . Die Folgeerschei - nungen der langen osmanischen Herrschaft auf ungarischem Lan - desboden verschwanden aber noch lange nicht . Im heldenhaften Ringen hatten sich ungeheure Gebiete ungarischen Volksbodens fast vollständig verblutet . Es entstand im Banat , in der Batschka , im Ofner Bergland , im Schildgebirge , in den Komitaten Tolnau und Baranya ein beispiellos verwüsteter und vernachlässigter Raum ohne Volk . Das nur spärlich zurücksiedelnde Ungartum , vor allem die ungarische Landbevölkerung , vermochte trotz Zusammenstraffung aller Kräfte die entstandene Wildnis nicht zu bevölkern und zu bewältigen . Unübersehbare Flächen einst fruchtbarster Landschaften waren überwuchert von verwilderten Wäldern , von verheerende Säuchen ausströmenden Sümpfen und Wildwässern . Auch die Gefahr neuerlicher Türkenkriege stand
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