Sonntagsblatt 5/2015 | Page 5

ein Jahr und inzwischen hat der „Übergangs-Direktor” seine zwei Jahre abgedient. Wie auch immer die Sache ausgeht, die Gerechtigkeit wurde schändlich ausgespielt und die Ungarndeut - schen haben das Nachsehen. Merkwürdig diese musterhafte ungarische Nationalitäten - politik. O Vor 60 Jahren Am 1. Oktober 1955 wurde der „Kulturverband der Deutschen Werktätigen in Ungarn” gegründet. Der Parteibeschluss vom 21. Mai 1956 stellte dem Verband als wichtigstes Ziel die Pflege der deutschen Nationalitätenkultur, die gesteigerte politische und gesellschaftliche Aktivierung der deut- schen Werktätigen im Dienste der Verwirklichung der wahren Nationalitätenpolitik der Partei und im Interesse der Wiedergut - machung der begangenen schweren Fehler. Angesichts der neuen Aufgaben änderte der Verband seinen Namen in „Demokra - tischer Verband der deutschen Werktätigen in Ungarn” um. Seit 1969 trug er den Namen „Demokratischer Verband der Deut schen in Ungarn”, und seit 1978 heißt er „Demokratischer Verband der Ungarndeutschen”. Zur Zeit der Wende nannte sich der Verband „Verband der Deutschen in Ungarn”, eigentlich abgekürzt nur noch „Deutscher Verband”. Interessant ist, dass zu jener (Verbands)Zeit stets, d.h. aus- schließlich NUR über Muttersprachunterricht in den Schulen und muttersprachliche Bildung der Nationalitätenbevölkerung gespro- chen und geschrieben wurde. Seit wir Deutsche Selbstverwal - tungen haben, wird die Muttersprache (in der Praxis) nicht mehr als Aufgabe und Ziel gehalten – jetzt gibt es deutschen Sprach - unterricht als Nationalitätensprache, der – leider – einem (schlech ten) Fremdsprachenunterricht gleichgestellt ist. Mutter - sprachliche Bildung (z.B. in Kulturgruppen, Vereine) – wenn es solche überhaupt gibt - verläuft in ungarischer Sprache. Man sagt, das sei auch verständlich, ist doch für die jüngeren Generationen das Ungarische die Muttersprache. Merkwürdig! Vor 20 Jahren wurde der Verband aufgelöst. Schade! – und auch merkwürdig! O Wie ist das zu verstehen? „Von diesem Werk soll man keine wissenschaftliche Objekti - vität erwarten, aber wegen seiner interessanten Betrachtungen lohnt es sich, es zu lesen.” Dieser Satz ist in einem „Buchtipp” der LdU-Bibliothek, im Internet bei ZENT - RUM.hu zu lesen. Gemeint ist das Buch von Johann Weidlein: Deutsche Leistun - gen im Karpatenraum und der madja - rische Nationalismus. Man (in diesem Fall die LdU) emp- fiehlt ein Buch, das man jedoch als nicht objektiv einstuft. Warum soll man es dann lesen??? Auf diese Frage gibt es keine einleuchten- de Antwort. (…wegen seiner interessanten Betrachtungen? Hm!) Deshalb lohnt es sich wohl, den vollen EMPFEHLUNGSTEXT durchzugehen, welcher lautet: „Es gibt historische Darstellungen, die die Vergangenheit in einer Weise betrachten, die fern von der allgemein anerkannten ist. Die Aussagen von Johann Weidleins Werken werden von vie- len bestritten, sind jedoch genau wegen der einzigartigen An - sichten des Autors wert zu lesen. Johann Weidlein ist 1905 in der Tolnauer Gemeinde Murgau/ Murga geboren. Er besuchte das Gymnasium in Jink/Gyönk, stu- dierte in Budapest Germanistik und Hungaristik und promovierte über die Mundart seines Heimatdorfes. Vor der Vertreibung war er vor allem im ungarndeutschen Bildungswesen tätig, danach ver- öffentlichte er zahlreiche Publikationen über die ungarndeutsche Geschichte. Béla Bellér bezeichnete ihn als ein „streitbarer Histo - riograph der Ungarndeutschen und deutscher Hungaro loge”. Aus diesem Werk wird es auch klar, dass Weidlein keine orthodoxe Meinung über Ungarns Geschichte hatte. Laut Weidlein ist der deutsche Einfluss auf Ungarn eindeutig positiv, gegenüber den nationalen Bestrebungen Ungarns ist er kritisch. János Szapolyais (bei ihm: Záp olya) Herrschaft stellt er zum Beispiel als chaotisch dar, während unter Ferdinand „eine festgefügte Ordnung” hätte herrschen sollen. Noch markanter ist seine Meinung, dass Ungarns „glücklichstes Jahrhundert” das 18. gewesen sei. Der Revolution und dem Freiheitskampf von 1848/49 widmete er nur einige Worte. Von diesem Werk soll man keine wissenschaftliche Objektivität erwarten, aber wegen seiner interessanten Betrachtungen lohnt es sich, es zu lesen. Wir empfehlen denjenigen, die bereits ein Vor - wissen über die ungarische Geschichte haben.” Ja, liebe Leute, wie soll man das verstehen? Ich kann mir vor- stellen, dass der Verfasser/die Verfasserin des Textes eigentlich mit Weidlein einverstanden ist (deshalb die Empfehlung), aber um der „politischen Korrektheit”, dem Zeitgeist, der Einstellung des Brotgebers entgegenzukommen, macht man eine erniedrigende Bemerkung (nicht objektiv, also wertlos). Das ist nun mal Politik, auch Diplomatie genannt. Verdum - mung der Menschen. Über die Person Johann Weidlein können Sie in diesem Blatt auf Seiten 2 ausführlich lesen. Doch ergänzend soll noch gesagt werden: Selbstverständlich war das Problem der Ausweisung der Deutschen aus Ungarn nicht das Einzige, was Weidlein zur Spra - che brachte. Er behandelte neben der Geschichte der Ungarn - deutschen in Dokumenten 1930-1950 die Madjarisierung der Deutschen in Ungarn und in Deutschland (1955), die Vertreibung der Deutschenvertreiber (1956), den Prozess gegen Franz Basch (1956), die Schwäbische Türkei (1953 und 1980), den Aufstand in Ungarn (1957), die Schicksalsjahre der Ungarndeutschen (1957), die Leistungen der Deutschen im Karpatenraum (1960, 1963 und 1967), den madjarischen Rassennationalismus und den madjari- schen Antisemitismus in zwei Dokumentensammlungen (1961 und 1962) und die Parallelität des jüdischen und deutschen Schicksals in Ungarn. Über Revolution und Freiheitskampf der Madjaren schrieb er in verschiedenen Werken. Er befasste sich außerdem mit dem Vorwurf von deutscher Schuld in Ungarn (1966) und mit den Aktivitäten des Volksbundes (1967); er wies auch auf die ungarische Revisionspolitik und deren Verquickung mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hin und gab nach 1979 fünf Bände von gesammelten Aufsätzen zu den verschiedensten Themen heraus, die alle in Verbindung mit dem Leben der Deutschen in Ungarn stehen. Die Aufnahme von Weidleins Analysen war bei vielen recht kühl. Es war nach dem Krieg politisch nicht opportun, Deutsche zu entlasten und negativen Urteilen gegenüber auch positive Aspek - te herauszustreichen. Zudem hatte sich in Ungarn schon kurz nach Bleyers Tod eine Gruppe um einen Zipser Sachsen namens Gustav Gratz etabliert, die der Madjarisierungspolitik der ungari- (Fortsetzung auf Seite 6) 5