Adam Müller-Guttenbrunn:
„ Götzendämmerung – Ein Kulturbild aus Ungarn”
Im Spannungsfeld der politischen Krise in Ungarn zu Beginn des 20. Jahrhunderts( Ein Vortrag im Haus der Ungarndeutschen, Budapest, gehalten von Dr. Hans Dama – 3. Teil)
Trauttmanns Erscheinen nach jahrelanger Abwesenheit in der alten Heimat, bedingt durch den Tod seines Bruders, wird in die Trauttmann-Handlung eingebettet. Dieser literarischen Person liegt keine historische Persönlich- keit zugrunde, obwohl diese Deutung verschiedentlich versucht worden war, doch weder Adam Müller-Guttenbrunn noch Edmund Steinacker lassen sich mit Trauttmann nicht ausmachen. Zwar könnte eine Ähnlichkeit Adam Müller-Guttenbrunns mit Trauttmann im Eingangskapitel vermutet werden, denn der Dichter kehrt 1906 auch nach jahrelanger Abwesenheit in seine alte Heimat zurück, und Trauttmanns Enttäuschungen bezüglich der ausufernden „ magyarischen Mode” decken sich mit Adam Müller-Guttenbrunns Entrüstungen über die in der Heimat vorgefundenen Zustände. Doch der weitere Handlungsverlauf weist mit Adam Müller-Guttenbrunns biographischer Entwicklung keine Gemeinsamkeiten mit Trauttmanns Betätigungen in der Ausarbeitung von Damm- und Wasserregulierungsplänen. Eine Rolle als nationaler Wachrüttler und Volkstumsführer, beziehen sich aus volkspolitischer Sicht eher auf Edmund Steinacker. Der Dichter ist für die südungarischen Schwaben der Künder und Deuter ihrer Geschichte geworden.
In der Handlung des Romans werden zwei Aspekte in den Vordergrund gerückt: a) das Nationalitätenproblem und damit im Zusammenhang die soziale Frage und b) der Forstbestand der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie.
Der Dichter verfolgt jedoch auch ein persönliches Anliegen: die Erziehung „ seiner Schwaben” im Sinne des Nationalismus zwecks Fortbestand dieses ins Hintertreffen geratenen Volksstammes. Hinsichtlich der Darstellung und Beurteilung des Nationalitä- ten problems und der damit verbundenen sozialen Frage ist der Einfluss von Josef von Kristóffy unverkennbar. Adam Müller-Guttenbrunn hat durch Edmund Steinacker mit Kristóffy Bekanntschaft gemacht und mit Edmund Steinacker führte der Dichter im Zuge seiner Reisen durch Ungarn intensive Gespräche über diverse Themen.
Josef von Kristóffy war Mitglied des Franz-Ferdinand-Kreises und in diesem als anerkannter Fachmann in Nationalitätenfragen.
Im Roman wird das Nationalitätenproblem im Zusammenhang mit der erforderlichen Umgestaltung Ungarns zu einem modernen europäischen Staat beleuchtet.
Ungarn müsse von anderen politischen Kreisen geleitet werden als bisher, das Bürgertum müsse sich endlich der „ politischen Menschenrechte” erfreuen, denn diesem stünde die bedeutende Rolle zur Umgestaltung für das Wohl des Landes zu, so dass es in der Politik diese wichtige Aufgabe übernehmen könne.
In diese Umwandlung müssen auch die Nationalitäten eingebunden werden und zu vollen politischen Rechten gelangen, denn ihre Teilnahme am wirtschaftlichen, kulturellen und sozial-politischen Ausbau Ungarns ist unerlässlich.
Die Auswanderung von 2 Millionen ungarischer Staatsbürger in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts führte zu einem Aderlass, doch der ungarische Staat war zufrieden, lästige Stören- friede loszuwerden.
Grund und Boden wurden sehr teuer, Feldarbeiten jedoch äußerst billig. Kam es zu Feldarbeiterstreiks, die eine gerechte Entlohnung forderten, griff man staatlicherseits zur Abhilfe, in dem billige Arbeitskräfte aus fernen Regionen auf Staatsgütern zusammengezogen wurden, um diese dann gegebenenfalls an die Großgrundbesitzer auszuleihen.
Derart trist war die Lage der armen Bauern und Feldarbeiter, die dieser Lage nicht entkommen konnten und so zur Auswan- derung gezwungen worden waren.
Doch diese Auswanderer galten als kritische Denker und sollten dem Kampf für die Umgestaltung und Neuordnung der Verhält- nisse erhalten bleiben. Im Zuge der Umgestaltung sollten die Staatsgüter einer Neu- aufteilung unterzogen, die Pacht- und Latifundienwirtschaft neu geordnet werden, denn nach Flusslaufregulierungen stünden genügend landwirtschaftliche Flächen zur Verfügung.
Dadurch könne der Auswanderung ungarischer Staatsbürger nach Übersee Einhalt geboten werden, das nationale Problem und die soziale Frage gelöst werden und damit gleichzeitig eine moderne landwirtschaftliche Struktur in einem modernen Ungarn auf der Basis eines gesellschaftlichen Umbaus entstehen.
Für Adam Müller-Guttenbrunn war die Einheit der Doppel- monarchie von größerer Bedeutung als die nationale und soziale Frage. Auf der Grundlage des staatlichen Ausgleichs von 1867 müsse die Doppelmonarchie bestens funktionieren, denn Ungarn habe laut Adam Müller-Guttenbrunn viel von diesem Ausgleich profitiert. Deshalb müsse die ungarische Regierung Lösungen finden, die zum internen ungarischen Ausgleich d. h. zur freien Entfaltung der ungarischen Minderheiten führen.
Die Einstellung fesselte die meistens Führer der Nationalitäten- gruppen an die Monarchie. Im April 1906 zerstörte die Nachricht von der Einrichtung des kossuthistischen Ministeriums diese Hoffnungen, denn aus den Gegnern der Majestät von gestern gingen die Minister der Gegenwart hervor.
Das bedeutete, dass die Minderheiten genau wie früher der Willkür der Magyaren ausgeliefert waren, was wiederum zur Folge hatte, dass die Nationalitäten Ungarns keiner lösungsfreien Zukunft entgegensehen konnten.
Der Dichter erkannte, dass die Nationalitäten nur über das allgemeine Wahlrecht die Gerechtigkeit erreichen können. Seine Befürchtungen, eine Verzögerung und schließlich eine Abwen- dung der Wahlrechtsreform sind tatsächlich eingetreten.
Wenn Adam Müller-Guttenbrunn im Wahlkampf auch eine deutsche Stimme, die Georg Trauttmanns, zum Ausdruck bringt, so ist es offensichtlich, dass Trauttmanns deutsch-nationale An- sich ten mit denen des Dichters übereinstimmen. Die Forderung Trauttmanns nach einem defensiven National- ismus zwecks Erhaltung und Pflege der deutschen Sprache und Kultur sowie die politische Gleichberechtigung decken sich voll und ganz mit den Anschauungen und den Forderungen des Dich- ters.
Die Tatsache, dass Trauttmann noch im reifen Alter die madjarische Sprache erlernt und seine Heimat liebt bzw. sein Fach- wissen in den Dienst und zum Wohle dieser zu stellen bereits ist, lässt ihn als loyalen Staatsbürger Ungarns erscheinen.
Die Zurückdrängung der Minderheitensprache aufgrund gesetzlicher Verordnungen, die Schmälerung der kulturellen und wirtschaftlichen sowie politischen Leistungen der Schwaben führt dazu, dass in der Öffentlichkeit die Redensarten, die Lieder sowie der Kolonistenstolz lächerlich gemacht wurden. Gegen die Auswüchse madjarischer Politik in der Nationalitä- ten frage und die damit zusammenhängende soziale Problematik zieht der Dichter vehement zu Felde. Adam Müller-Guttenbrunn zeichnet ein verheerendes Bild
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