Sonntagsblatt 4/2020 | Page 30

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Petition der deutschen Heimatvertriebenen
An das Europäische Parlament – Petitionsausschuss B-1047 Brüssel , Rue Wiertz 60 An den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages D-11011 Berlin , Platz der Republik 1 An den Petitionsausschuss des Österreichischen Nationalrates A-1017 Wien , Dr . Karl Renner Ring 3
Wien , Sersheim , Wels , am 5 . August 2020 Sehr geehrte Damen und Herren !
Der Verband der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich ( VLÖ ), vertreten durch den Präsidenten Ing . Norbert Kapeller , Wien , sowie die Herren Dipl . -Ing . Oswald Hartmann , Herausgeber des „ Donautal Magazins “ ( DM ) in Sersheim , Bundesrepublik Deutschland , und Josef Springer , Redakteur der Seiten „ India in Vergangenheit und Zukunft “ im DM , Wels , Österreich , nehmen den 70 . Jahrestag der Unterzeichnung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen durch die Vertreter und Sprecher aller deutschen Heimatvertriebenen am 5 . August 1950 in Bad Cannstatt zum Anlass , den oben angeführten Parlamenten die beigefügte Petition zu übermitteln .
Für den demokratischen Fortbestand und die Weiterentwicklung der Europäischen Union ( EU ) ist es unserer Meinung nach unabdingbar , dass eine Ergänzung der allgemeinen Menschenrechte für das Zusammenleben der europäischen Völker endlich beschlossen wird . Eine demokratische Union der europäischen Staaten erlaubt eine breite Palette verschiedener politischer Weltanschauungen und die Auslegung allgemeingültiger Rechtsnormen wie sie zwischen den Völkern anzuwenden sind . Dieser sind aber naturgemäß enge Grenzen gesetzt . In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird von einzelnen Staaten der EU Solidarität gefordert . Aber eine solidarische Staatengemeinschaft kann nur dann entstehen , wenn alle Probleme zwischen einzelnen Völkern oder Volksgruppen im Geiste der Fairness ausgeräumt werden . Bisher hat dazu der Wille gefehlt . Es ist höchste Zeit , dass alle aus dem Zweiten Weltkrieg ungelöst gebliebenen Probleme , die zwischen den einzelnen Völkern noch immer bestehen , endlich beseitigt werden . Die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich haben sich mehrfach zur Mitschuld eines Teiles der Bevölkerung an den Gräueln des II . Weltkrieges bekannt .
Einzelne europäische Staaten , die bereits Mitglied in der EU sind , sowie Staaten , die der Europäischen Union beitreten möchten , sind diesem Beispiel noch nicht gefolgt . Wir möchten mit dieser Petition den Anstoß dazu geben , dass alle verantwortlichen Volksvertreter aus diesen Staaten das Unrecht , das an den rund zwölf Millionen Deutschen begangen wurde , endlich anerkennen und sich im Namen ihrer Völker für dieses Unrecht entschuldigen und sich zum Schadensausgleich bekennen .
Wir anerkennen die Schuld aller deutschen heimatvertriebenen Frauen und Männer , die vor , während und nach dem Zweiten Weltkrieg als Zivilpersonen oder als Teile der deutschen Wehrmacht im Verlaufe dieser Ereignisse Verbrechen begangen haben . Dagegen wurde bisher noch von keiner offiziellen Stelle der oben genannten Staaten eine Erklärung mit ähnlichem Inhalt über ihr eigenes Verhalten während dieser Zeit abgegeben . Nach diesen Erklärungen und im Sinne der allseits anerkannten Rechtsnormen sind alle übrigen Personen daher unschuldig . Dieser Rechtsstandpunkt sollte ab sofort im täglichen Sprachgebrauch auf alle Betroffenen und auch die unbeteiligten Menschen in allen europäischen Staaten angewendet werden , wenigstens in jenen Staaten , die Mitglieder der Europäischen Union sind . Das beinhaltet eine klare Absage an jegliche Form der Kollektivschuld .
Als Folge dieses Standpunktes ist es an der Zeit , dass das Unrecht , welches an den deutschen Hei-matvertriebenen begangen wurde , von allen Nutznießern in allen betroffenen Staaten , insbesondere von den gewählten Vertretern aus diesen Staaten , endlich öffentlich anerkannt wird . Die Kriegsver-brechen , die an den Deutschen verübt wurden , sind auch Teil ihrer Geschichte . Daraus ergibt sich die Forderung , dass in allen Staaten , die bereits Mitglieder der EU oder nur Beitrittskandidaten sind , endlich mit den Leidtragenden von damals und deren Nachkommen ein fairer Ausgleich nach den vorhandenen Möglichkeiten durchzuführen ist . Nach ihrer Gründung vor 27 Jahren hat sich die EU zum größten Friedensprojekt aller Zeiten auf europäischem Boden entwickelt . Wenn aus der ursprünglich geplanten Wirtschaftsunion ( EWG ) nach den Verträgen von Maastricht eine Union der europäischen Staaten entstehen soll , dann müssen auch die Altlasten , die als Kriegsfolgen noch immer ungelöst sind , endlich einer völkerrechtlichen Lösung zugeführt werden . Doch dazu hat bisher der Wille gefehlt .
Mögen die Damen und Herren Volksvertreter im Europäischen Parlament , dem Deutschen Bundestag und die Abgeordneten zum österreichischen Parlament den Wortlaut und den Geist der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5 . August 1950 zur Kenntnis nehmen ! Mögen die Damen und Herren Abgeordneten aus allen Staaten Europas die rechtlichen Grundlagen dazu schaffen , damit altes Unrecht getilgt und unser gemeinsames Haus Europa auf ein neues demokratisches Fundament gestellt werden kann ! Die Vertreter von rund 12 Millionen deutschen Vertriebenen und entrechteten Menschen aus beinahe allen mittel- , ost- und südosteuropäischen Staaten wenden sich darin so knapp nach dem Krieg ohne Rachegedanken dem Aufbau ihrer neuen Heimat und des ganzen Kontinents Europa zu . Dieses Dokument ist eines der ersten Bekenntnisse zur Einheit Europas in Frieden und Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg . Ein Gutteil der heutigen Transferzahlungen an die ehemaligen Heimatländer der deutschen Vertriebenen ist der Leistung und dem Willen der Heimatvertriebenen von damals , die in Deutschland und Österreich sesshaft geworden sind , zu verdanken .
Das Europäische Parlament , der Deutsche Bundestag und der Österreichische Nationalrat mögen als Ergänzung zu den allgemein geltenden Menschenrechten sinngemäß als ersten Schritt folgenden Text dieser Petition der deutschen Heimatvertriebenen beschließen :
a ) Die Mitglieder der Europäischen Union ( EU ) sind angehalten , die aus ihrer Vergangenheit als Folge von Kriegs- und Nachkriegshandlungen noch vorhandenen ungelösten Verstöße gegen die geltenden Menschenrechte anzuerkennen und legislativ zu beheben . Das beinhaltet die Abschaffung der Beneš-Dekrete ( Legitimation zur straffreien Entrechtung , Enteignung , Vertreibung und Ermordung der Deutschen in der Tschechoslowakei ), die in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Tschechoslowakei noch immer zum Rechtsbestand dieser Staaten gehören , des Weiteren die Abschaffung der Bestimmungen des AVNOJ ( Antifaschistischer Rat zur Volksbefreiung Jugoslawiens ) in allen Staaten , die ehemals zu Jugoslawien gehörten , ferner die Außerkraftsetzung all jener Bestimmungen und Gesetze , die den Staaten Polen , Ungarn und Rumänien als Recht-fertigung für die Vertreibung und Enteignung aller Menschen dienten , die sich in diesen Staaten zu ihrer deutschen Volkszugehörigkeit bekannt hatten . Die Initiatoren dieser Petition wissen aus eigener Erfahrung , dass an erster Stelle eine generelle öffentliche Entschuldigung bei allen
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