Sonntagsblatt 4/2020 | Page 3

Vereine ( aber auch Selbstverwaltungen ) ächzen unter Mitgliederschwund
Weniger Bewohner bedeutet aber , dass Aufgaben auf weniger Schultern verteilt werden . Dies zeigt sich auch in Doppelfunktionen , so dass zum Beispiel ein Bürgermeister gleichzeitig auch deutscher Selbstverwaltungsvorsitzender ist – ein Umstand , den man aber nicht per se missbilligen darf . Weniger Einwohner bedeuten aber auch für das örtliche Vereinswesen gravierende Folgen . Die ungarndeutschen Kulturgruppen sind weit und breit bekannt , auch wir haben mehrfach über neue Initiativen und Altbewährtes berichtet , auch wenn wir vom Sonntagsblatt durchaus ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Art von Identitätspflege haben , vor allem wenn sie ungarischsprachig geprägt ist . Neben den erfreulichen Entwicklungen beklagt man sich vielerorts über Nachwuchsprobleme , was wiederum auf die bereits skizzierten demografischen Entwicklungen zurückzuführen ist . Das ist aber gleichzeitig ein generelles , wenn nicht weltweites Problem und ist auch mitunter auf die Verbreitung alternativer und individueller Freizeitgestaltung sowie das Nachlassen von Bindungen in der Gesellschaft zurückzuführen ; „ Wochenendschwaben ” und Heimaturlauber werden diese Lücke nicht schließen können . Aktive berichten in den Gemeinden auch von der Schwierigkeit , die dort ansässigen Menschen generell zur Mitarbeit und zum Bekenntnis zu ihren deutschen Wurzeln zu bewegen - dazu später mehr .
Eine Renaissance in den Städten ?
Daraus könnte folgen , dass die alten-neuen Siedlungsgebiete der Ungarndeutschen für einen Aufschwung sorgen könnten . Die Zeichen deuten eher nicht darauf hin . Auch wenn es aktive Gemeinschaften gibt ( die Anerkennung verdienen , genauso wie die in den Dörfern ), geht es bei diesen Gemeinschaften um Zugezogene , die eine Gemeinschaft vielfach ohne historisch gewachsene Strukturen bilden ( oder auch nicht bilden ). Wenn man in die Fremde kommt , bemüht man sich erst einmal nicht darum sich abzugrenzen , sondern sich zu integrieren - nicht anders im Falle von Ungarndeutschen in einem madjarisch geprägten Umfeld . So können Bemühungen immer nur eine begrenzte Wirkung entfalten , die man aber auch nicht unterschätzen sollte . Dass aus den Städten eine neue Renaissancebewegung der Ungarndeutschen ausgehen wird , ist daher eher unwahrscheinlich .
Was grundlegend falsch läuft
Zu einer solchen Renaissancebewegung benötigte man etwas , was es - jedenfalls flächendeckend und in seiner Vollkommenheit - 70 Jahre nach Wiedererlangung unserer kollektiven Rechte , dreißig Jahre nach der politischen Wende und 25 Jahre nach der Schaffung des Selbstverwaltungssystems immer noch nicht gibt : die kulturelle Autonomie . Viele werden jetzt sagen : „ Moment mal : Wir wählen unsere Selbstverwaltungsvertreter , wir haben unsere eigenen Schulen ( sprich in der Trägerschaft von DNSVW ) und sogar einen eigenen Abgeordneten . “ Alles richtig , aber wenn man den Kern untersucht , dann muss man in Bezug auf das Schulwesen festhalten : Was wir als „ deutsche Schulen ” bezeichnen , sind Schulen , in denen fast ausnahmslos deutscher Fremdsprachenunterricht ( DaF ) erteilt wird ( als Fach Deutsche Nationalitätensprache , DaF um ungarndeutsche Inhalte erweitert , aber mit Didaktik und Methodik eines Fremdsprachenunterrichts ) und zwar in fünf Wochenstunden plus einer Volkskundestunde . Das Mindeste wäre jedoch eine zweisprachige Form , in der die Hälfte der Pflichtstundenzahl ( und wirklich die Hälfte ) in deutscher Sprache unterrichtet wird . Immer noch nicht geschafft , jedenfalls im Gros der deutschen Nationalitätengrundschulen ! Das Mindeste , aber etwas , was einen Madjaren außerhalb der Landesgrenzen auch nicht wirklich glücklich machen würde , hat er doch außer drei Rumänischstunden alles in der Muttersprache . Und da ist gleich der Hund begraben ( oder einer der Hunde ): Muttersprache - eine Sprache , die bei 99,9 % der Kinder
SoNNTAGSBLATT ungarndeutscher Herkunft / Nationalität heute Ungarisch heißt . Das ist auch nicht zuletzt darauf zurückzuführen , dass unsere ungarndeutschen Kinder vielfach in Mischehen aufwachsen . Slowakeimadjarische Beispiele zeigen dazu , wie schwer es ist , trotz vorhandener Schulen mit ungarischer Unterrichtssprache („ magyar alapiskola ”, wie es dort heißt ) die ungarische Sprache in Mischehen an die nächste Generation weiterzugeben . Dann können wir uns leicht vorstellen , dass das in Ungarn mit der deutschen Sprache umso schwieriger ist . Um einen Funken Hoffnung zu haben , dass sich dies ändern lässt , bräuchte man Schulen mit deutscher Unterrichtssprache , in denen auch in den Pausen , in der zwischenmenschlichen Kommunikation das Deutsche vorherrscht . Aber davon sind wir noch weit entfernt ; stattdessen führen wir Diskussionen , warum es schädlich sei , wenn Kinder im Alter von sechs Jahren mit zweisprachigem Unterricht konfrontiert werden . Man sollte eher besorgt sein , dass das bestehende Deutschangebot von Englisch als erste Fremdsprache verdrängt wird , wobei ich am Beispiel meines Sohnes immer nur sagen kann : Kinder in diesem Alter kommen mit mehreren Sprachen gleichzeitig zurecht - im Fall meines Sohnes also mit Ungarisch und Deutsch als seinen zwei „ Zu-Hause-Sprachen “ sowie Englisch dank Youtube . Die Übernahme von Schulen , bislang zahlreich geschehen , darf den Beginn eines Prozesses markieren , an dessen Ende die Zwei- oder gar Einsprachigkeit stehen soll . Dass das gerade in kleineren Orten mit nur einer Schule u . a . aufgrund der heterogenen Schülerschaft und des Lehrermangels schwierig ist , soll dabei nicht geleugnet werden . ( Der Lehrermangel betrifft ja das ganze Land und die Wirkung des neu aufgelegten Stipendienprogramms ist mangels struktureller Reformen fraglich .)
Die Volkszählung und die Angst vor den Zahlen
Vieles dreht sich heute um Zahlen : Wie viele haben sich als Deutsche registriert ? Erreichen wir die magische Zahl von 100 ? Was geschieht mit den Ergebnissen der Volkszählung 2021 ? Für Wirbel sorgten vor anderthalb , knapp zwei Jahren die Bestimmungen der Volkszählung , die nächstes Jahr durchgeführt werden soll . Die damalige LdU-Vorsitzende Olivia Schubert protestierte gegen die namentliche Erfassung der Daten . Das Gesetz verfügt zwar darüber , dass die richtigen Namen sofort pseudonymisiert werden sollen und lediglich bis zum Abschluss der Volkszählung aufbewahrt und dem Statistischen Landesamt ( KSH ) auch in anonymisierter Form – im Gegensatz zu anderen Daten – nicht zur Verfügung gestellt werden dürfen , dennoch ist die Angst bei vielen da , dass die Namensangabe dazu führen könnte , dass sich deutlich weniger zur deutschen Nationalität bekennen könnten als bei der letzten Erfassung im Jahre 2011 . Zahlen entscheiden nämlich letztendlich über die Höhe der finanziellen Unterstützung – denn Selbstverwaltungen sind Empfänger staatlicher Unterstützung . Daneben hat sich unter der Ägide des Fondsverwalters Gábor Bethlen ein Punktesystem etabliert , das Projekte anhand der Ergebnisse der betroffenen DNSVW in der Vergangenheit unterstützt .
Worauf es ankommt
Zahlen ( spiele ) vermögen es , über die tatsächliche Lage hinwegzutäuschen . Entscheidend ist für uns , dass wir das , was hinter den Zahlen steckt , mit Inhalt füllen . Wer sich zur deutschen Gemeinschaft bekennt ( und sich registriert ), auch wenn er nur einen ungarndeutschen Freund oder einen entfernten schwäbischen Verwandten hat , ist herzlich eingeladen es zu tun . Dies gilt genauso für Menschen , die in Mischehen aufwachsen bzw . aufgewachsen sind und so unter Umständen eine doppelte oder mehrfache Bindung haben und dies auch so empfinden . Mindeststandards müsste es dennoch geben - so die Einsatzbereitschaft für die Gemeinschaft , die Kenntnis der deutschen Sprache und die Bereitschaft , diese als Vorbild aktiv einzusetzen ( was vielfach
( Fortsetzung auf Seite 4 )
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