Sonntagsblatt 4/2020 | Page 24

sich diese Lage verschärft : Wir müssen uns anpassen und die Jugend auf neuen , digitalen Wegen ansprechen , sonst laufen wir Gefahr , dass wir gar nicht gehört werden .
SB : Sie gehören der jüngeren Generation an , der man oft fehlendes oder mangelndes Interesse an der Gemeinschaft unterstellt – deckt sich das mit Ihren Erfahrungen ?
R . U .: Ganz im Gegenteil ! Ich kann in Surgetin über ganz positive Tendenzen berichten . Auch die Deutsche Selbstverwaltung wurde bei den letzten Wahlen neu definiert : Wir haben ein Durchschnittsalter von nur 38 Jahren - unser jüngstes Mitglied ist gerade erst 21 Jahre jung . Damit wollen wir die Jugend auch ansprechen und zeigen , dass das Ungarndeutschtum nicht etwa ein Anliegen der Groß- und Urgroßeltern ist .
SB : Welche Rolle spielt nach Ihren Erfahrungen die deutsche Sprache im Leben der Gemeinschaft ? Gibt es neben der deutlichen Tendenz des Verschwindens des Mundartgebrauchs , so des Stifoldischen , auch positive Entwicklungen ?
R . U .: Das Verschwinden der Mundart ist meines Erachtens leider nicht mehr aufzuhalten . Das müssen wir leider hinnehmen , wenn es noch so weh tut .
So ist die globale Welt nun mal ...
Aber die Globalisierung , die auch hierzu beigetragen hat , hat auch positive Auswirkungen und zwar durch die Bedeutung der hochdeutschen Sprache als verbindendes Element .
Erlauben Sie mir bitte , dazu ein Erlebnis von mir zu teilen , das mein Herz erwärmt hat . Vor sieben oder acht Jahren kamen wir in Surgetin auf die Idee , etwas Besonderes für die ungarndeutsche Jugend zu bieten : ein Musikfest , wie man es in Österreich kennt , mit einer österreichischen Kapelle . Mal etwas Größeres , etwas Besonderes ! Die österreichischen Musiker ( die „ Jungen Paldauer ”), die zwar im östlichen Grenzbereich , in Paldau in der Steiermark , wohnen und trotzdem nicht viel Ahnung von Ungarndeutschen hatten , haben auf ihrer Reise hierher den ganzen Weg lang diskutiert : Was spielen wir da überhaupt ? Wie werden uns die Leute dort verstehen , wir können doch kein Wort Ungarisch . Mit diesen Gedanken traten sie auf die Bühne bei uns . Was nachher kam , hat alle Erwartungen übertroffen . Die Jugend hat mitgesungen , getanzt , kannte alle Lieder , und hat sie ( Anm . der Red .: die Kapelle ) in den Pausen überstürmt . Man hat alles verstanden ! Alle haben Deutsch gesprochen und haben die Musiker so freundlich aufgenommen , wie sie es nie erwartet hätten . Seitdem spielen sie jedes Jahr und immer sehr gerne bei uns und es ist jedes Mal ein Festakt und ein besonderes Ereignis der ungarndeutschen Jugend . Ungarndeutsche Identität , Zusammengehörigkeit , deutsche Sprache als verbindendes Element – das alles ist da hautnah zu erleben – und Musik verbinden .
SB : Wie sehen Sie insgesamt die Zukunft der deutschen Gemeinschaft ?
R . U .: Im Grunde bin ich optimistisch , nicht nur , weil das einfach meine Art ist , sondern weil ich viele positive Beispiele sehe - um mich herum .
Gewisse Dinge werden leider einfach verschwinden , das ist mit dem Aussterben der älteren Generation nicht aufzuhalten . In 30 Jahren wird bestimmt keine Hausfrau mehr – wenn es gar noch sowas wie „ Hausfrau ” geben wird - Schupfnudeln oder Hefeknedl zu Essen kochen . Auch die Mundart wird nur mehr auf Bändern oder Aufnahmen im Internet existieren - so hart es auch klingt …
Wenn wir aber in den Kindergärten und Schulen unsere Kinder
24 bewusst erziehen , wenn wir bei Festen zusammenkommen , wo wir uns wohlfühlen und das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu spüren bekommen , wird unsere Volksgruppe bestimmt noch eine gute Weile aufrechtbleiben . Ich möchte es wenigstens glauben und werde mich bestimmt auch in der Zukunft dafür engagieren .
SB : Frau Ulbert , vielen Dank für das Gespräch ! Das Gespräch führte Richard Guth .
Deutschland kennen lernen mit den Augen eines Ungarndeutschen
Teil 1 : Die ersten Wochen im Mutterland
Von Csenger Ujvári
Schon im Gymnasium interessierte mich , wie es ist , in Deutschland zu leben . Für eine sehr lange Zeit war es nur ein Gedanke , der mir durch den Kopf geisterte , bis jetzt , wo meine Freundin und ich in ein Flugzeug nach Berlin gestiegen sind . Aber die Entscheidung , auszuziehen , kam nicht über Nacht .
2014 konnte ich mit einem Sprachstipendium drei Wochen in Aachen verbringen . Diese drei Wochen waren die ereignisreichste und unvergesslichste Zeit meines Lebens . Ich wurde um viele Freunde und Erfahrungen reicher . Mir hat auch gefallen , wie die Deutschen , die ich dort getroffen habe , mit dem Leben umgehen . Ich war beeindruckt von der Ruhe und der Hilfsbereitschaft , die von ihnen ausging . Nachdem ich wieder nach Hause gekommen war , war ich mir sicher , dass ich definitiv eine gewisse Zeit in Deutschland leben möchte . Zu der Zeit hatte ich noch vor , nach dem Abitur in Deutschland zu studieren . Damals erfuhr ich , dass meine Vorfahren Ungarndeutsche waren . Ich hatte das Gefühl , dass mein Ungarndeutschtum die Erklärung dafür sein könnte , warum ich meinen Platz zu Hause nicht finden konnte . Da meine Eltern mein Auslandsstudium nicht unterstützen können , begann ich über eine Lösung nachzudenken . Der logische Schritt wäre ein duales Studium in Deutschland gewesen . Dann hatte ich die Gelegenheit , mit Leuten aus Industrie und Lehre in Ungarn und Deutschland zu sprechen . Ich war aber unsicher , beim dualen Studium die theoretischen Kenntnisse zu erlangen , die ich brauche , um meine Ziele zu erreichen . So blieb ich als Maschinenbaustudent an der Universität für Technik und Wirtschaftswissenschaften Budapest ( BME ).
Glücklicherweise hatte ich an der TU Budapest die Möglichkeit , in den ersten vier Semestern auf Deutsch zu studieren . Da ich irgendwann doch nach Deutschland gehen wollte , nutzte ich diese Gelegenheit . Hier lernte ich viele verschiedene Leute kennen und wir wurden dank dem Unileben sehr gute Freunde . Nachdem wir unser Bachelor-Studium abgeschlossen hatten , entschieden wir uns dafür , dass wir unser Masterstudium definitiv in Deutschland absolvieren möchten . Wir begannen im Januar mit der Planung dieses Studiums : Wir suchten die sympathischen Universitäten zusammen , schauten uns ihre Anforderungen an und begannen , die für die Bewerbung benötigten Dokumente zu sammeln . Damit lief bis März alles planmäßig . Bis das Corona-Virus erschien . Zum Glück verursachte es nur das Problem , dass unsere Situation sehr ungewiss wurde . Anfangs wussten wir nicht , ob das Semester überhaupt beginnen würde . Wir hatten Angst , ob wir anreisen könnten , selbst wenn wir eine Zulassung bekommen würden .
Schließlich bewarben wir uns an jeweils acht Universitäten um
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