Sonntagsblatt 4/2020 | Page 21

jetisch Besetzte Zone ) sogar Brief- und Besuchskontakt hatten . Über die zurückgebliebenen Dörfler strömte die Front ungefähr zweimal hin und her , einmal waren die Deutschen da und die Russen beschossen das Dorf mit Kanonen und Flugzeuge im Tiefflug oder in der nächsten Woche war es anders herum . Wir wünschten eigentlich nur eins : Hoffentlich ist die Front endlich über uns hinweg , gleich wer nun regiert . Als neugieriger Junge fand man das Ganze teilweise abenteuerlich . Ich weiß noch gut , wie ich zur Hoftür hinausschaute und ein notdürftig bekleideter deutscher Offizier aus dem gegenüberliegenden Haus stürmte und mit der Pistole die Straße hinunterschoss . Es tobte ein richtiger Straßenkampf und Leichen lagen auf der Straße . Meine Mutter zog mich entsetzt in den Hof zurück .
Wir flohen in den Luftschutzkeller , den mein Opa Stefan weise vorausschauend aus seinem freistehenden Keller im Hof errichtet hatte ( siehe Teil 1 , SB 03 / 2020 ), indem er obendrauf noch viel Mist und Stroh zum Schutz vor Bomben und Granaten aufgefahren hatte . Da saß nun die ganze Großfamilie Angeli und wartete die kommenden Ereignisse ab . Bald ging ein wilder Granatbeschuss durch deutsche Soldaten aufs Dorf nieder . Ich höre noch heute die singend-pfeifend heranfliegenden Granaten , sehe uns im Bunker eng aneinander schmiegend , kopfeinziehend horchend und sichtlich immer aufatmend , wenn der Einschlag und die Detonation irgendwo und nicht über uns erfolgte . Aber der nächste Kanonenschuss war schon unterwegs und das Zittern ging von vorne wieder los . Nach ungefähr einer Stunde herrschte draußen unheimliche Stille . Natürlich meldete sich bei mir ausgerechnet jetzt die volle Urinblase . Die Gelegenheit sah günstig aus , um sich draußen zu erleichtern . Ich stieß die Kellertür auf – und erstarrte wie das Kaninchen vor der Schlange : Vor mir standen zwei Rotarmisten mit Kalaschnikows im Aufschlag ! Schnell sprang ich die Kellertreppe wieder runter , die Russen hinter mir her , indem sie ständig „ German , German “ murmelten , kontrollierten dann den Keller durch , amüsierten sich untereinander über unsere mit Kerzenruß u . Ä . auf „ alt “ gemachten Mütter und gingen , so schnell wie sie gekommen waren , wieder von dannen . Überhaupt waren die ersten russischen Soldatentrupps der vordersten Front sehr friedlich . Sie verlangten noch bescheiden nach Brot ( kleb ) oder Milch ( moloko ) und waren damit zufrieden . Aus unserem Bunkerkeller mussten wir aber alsbald raus . Aus seinen vorhandenen Holzbetten und wegen der guten Luftsicherheit machten die Russen im Nu ein Lazarett für ihre Verwundeten . Es war markerschütternd , wenn man an der meist offenen Kellertür vorbeikam und das Stöhnen und Schreien der Schwerverwundeten hören konnte . Wenn sie uns sahen , schrien sie nach „ woda “ ( Wasser ) – ihnen welches aus lauter Erbarmen zu geben , verboten uns aber die teilweise anwesenden Sanitäter ganz energisch . Grausam , wie Menschen für den Größenwahn und die verbohrte Ideologie einiger leiden und sterben mussten ! Unwillkürlich musste ich an meinen Vater an der Front denken , von dem wir natürlich auch keine Nachricht hatten .
Auch machte das traurige Schicksal eines Dorfbewohners die Runde : Der ältere Mann sprach wegen eines Sprachfehlers sehr schnell , holprig und laut , auch in dem Moment , als er einem Russen was erklären wollte , als dieser ihm die Taschenuhr abnahm . Puff mit der Kalaschnikow und schon war er ein toter Mann ! Das alles wegen einer Uhr ! Obwohl die meisten Soldaten schon an beiden Händen mehrere Uhren hatten . Sie hatten einfach eine kindliche Freude an den tickenden Gegenständen .
Noch eine , wenigstens lustige Geschichte aus dieser dramatischen Zeit : Scharf waren die Russen auch auf Fahrräder . Einer von ihnen hatte ein ziemlich neues Fahrrad ergattert , konnte aber damit nicht fahren , sondern flog ständig hin . Zur gleichen Zeit kam ein Mann mit einem tüchtig alten , verrosteten Drahtesel problemlos die Straße hinuntergefahren . Der Russe betrachtete dies verwundert , stoppte den Radler und nahm ihm sein Rad weg . Dies geschah und der Fahrradfahrer verschwand schnellstens und ließ den Iwan ( wie wir sagten ) mit seinem Unvermögen zurück . Mit Humor lässt sich selbst ein Krieg besser ertragen ! Gut erinnern kann ich mich noch daran , als wir kleine Kinder schnell wehklagend hinter unserem katholischen Pfarrer als seine Pseudokinder ( bitte hier keine Witze ) auf Anweisung der Erwachsenen hinterherrennen sollten , damit sie ihn nicht als „ German “ und „ Faschist “ erschießen . Unser Gejammer und Gottes Hilfe führten aber doch zu Erfolg , sie ließen ihn gehen . Überhaupt für Kinder hatten sie ein offenes Herz ; sie nahmen uns auf den Schoß , warfen uns in die Lüfte ( natürlich wieder auffangend ), zeigten Fotos ihrer Kinder und hatten dabei nicht selten Tränen in den Augen . Was macht denn so ein verbrecherischer Krieg nun aus einem guten Menschen !
Wir hatten unter Mist , Stroh und in der Scheune Lebensmittel , Räucherware , Wertsachen , aber auch Weinfässer und Branntwein versteckt . Aber die Rotarmisten zogen mit langen Holzstangen los und durchstachen Stroh und Mist und holten vieles ans Tageslicht . Gefährlich für die Bevölkerung war ja hauptsächlich der Alkoholfund . Sie soffen sich dann einen Rausch an und waren nun noch unberechenbarer und gefährlicher : Mit der Maschinenpistole ballerten sie wild herum , machten sich einen Jux , indem sie die Hühner und Schweine abschossen und nachts sich die Frauen holten . Besonders unberechenbar waren die asiatischen Sowjetsoldaten ( Mongolen oder Tataren ), weil man allein aus ihrer Physiognomie nicht erkennen konnte , wie sie momentan tickten . Zu unserem Glück hausten sie aber auf den Dorffluren und holten sich nur ab und zu eine Kuh oder ein Kalb , um es am Spieß am offenen Lagerfeuer zu braten und dabei „ schaurige “ Lieder zu singen . Schließlich mussten wir noch aus unserer Wohnung im Vorderhaus raus und zusehen , wie wir im Hinterhaus , in der Sommerküche zurechtkamen . Wir waren wenigstens noch in unserem Haus , auch wenn wir jetzt zusehen mussten , wie vorn die Ein-
( Fortsetzung auf Seite 22 )
Nach dieser ersten Soldatenwelle kamen aber die Säuberungstrupps mit ihren Politkommissaren , die uns erst richtig das Fürchten lehrten . In unserem „ deutschen Dorf “ vermuteten sie überall versteckte deutsche Soldaten . So holten sie in ihrem Wahn aus einem Gemeinschaftskeller fünf junge Männer und erschossen sie vor ihren jammernden Familien . Ein anderer junger Mann wurde erschossen , weil er seinen knochen-tbc-kranken Arm in Gips hatte ; er war für sie ein verwundeter deutscher Soldat . Bei einem 16-Jährigen fanden sie in der Jackentasche ein Leventeabzeichen , schon war ihm vor den Augen seiner Familie aus nächster Nähe ins Herz und Genick geschossen . Der jüngere Bruder des Unglücklichen , Michael Angeli , jetzt wohnhaft in Ludwigshafen , hat eine Liste von über 80 Kriegsopfern von Isszimmer erstellt .
SoNNTAGSBLATT
Das Wappen von Isszimmer
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