Sonntagsblatt 4/2020 | Page 20

Erfolge im Schulwesen durch die Schaffung der Schultypen A , B und C , deren Umsetzung aus vielen Gründen erschwert wurde ( siehe Teil 1 ), waren begleitet von vielen Anfeindungen der Nationalisten , die in den Ungarndeutschen Volksverräter und eine latente Gefahr für das Land sahen .
Nach dem Tod des unermüdlichen Kämpfers für das Deutschtum , Jakob Bleyer ( 1933 ), kam es zu einem Stillstand , der erst durch die politische Entwicklung in Deutschland und deren Einwirken auf die Auslandsdeutschen eine neue Form annahm . Mit der Schaffung des Volksbundes der Deutschen ( 1938 ) war das angestrebte Ziel erreicht . Während es Jakob Bleyer und seinen Getreuen darum ging , wie man als Ungar auch Deutscher sein kann , ging es der Nachfolgergeneration darum , wie man als Deutscher in Ungarn leben kann . Das Ziel war also die Erhaltung des Deutschtums auf breiter Basis . Dass man sich dadurch in eine Zwangslage manövrierte , erkannte man leider zu spät .
Der Vater des Autors
Dieser historische Überblick über die Ungarndeutschen vor und im Zweiten Weltkrieg musste sein , um zu verstehen , wie die Deutschen in Isszimmer in diese politischen Ereignisse hineingezogen wurden . Sie hatten eigentlich nur den verständlichen Wunsch , ihr über Jahrhunderte bewahrtes Deutschtum erhalten und pflegen zu können , ohne dem Druck der Magyarisierung ausgesetzt zu sein .
So sind die Deutschen dann mit viel Naivität und hehren Zielen zahlreich der erst im Mai 1941 in Isszimmer gegründeten Ortsgruppe des Volksbundes beigetreten . So sind dann auch mein Großvater als Bürgermeister und brav seine Schwiegersöhne ( u . a . mein Vater ) mit voller Illusion Mitglieder geworden . Mein Vater hat ein Leben lang mit diesem Beitritt gehadert und geschworen ( und es auch gehalten ), nie wieder einer Organisation mit seiner Unterschrift beizutreten .
Die eben geschilderten Vorboten waren die ersten Anzeichen der kommenden politischen und militärischen Umwälzung . Zahlreiche Männer von Isszimmer wurden zur ungarischen Armee einberufen , was ihnen auch viel lieber war als womöglich als Deutscher zur Waffen-SS gezwungen zu werden . Auch mein Vater musste in den Krieg ziehen und meine Mutter sehen , wie sie mit mir als Kleinkind und der Bauernwirtschaft , Bauernhof alleine fertig wurde . Hilfe kam vom Großvater und ihren erst später rekrutierten Brüdern .
Vorläufig war der Krieg ja noch weit weg , so dass man im Dorf kaum etwas verspürte . Bis auf diesen schrecklichen Tag 1942 , als die Nachricht eintraf , dass meines Vaters Bruder , Dr . Heinrich Angeli , bei Kursk bei einer ärztlichen Hilfeleistung tödlich verwundet worden war . An diesen Trauertag kann ich mich selbst - obwohl erst vier Jahre alt - wegen der weinenden Erwachsenen und dem zurückgesandten Offizierssäbel , der ja für ein Kind besonders beeindruckend war , noch gut erinnern . Schon sein Vater , also mein Großvater , hat als Soldat im Ersten Weltkrieg sein
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Leben für Ungarn 1916 verloren und die Mutter mit fünf Kindern ( ältester Sohn 9 Jahre ) und der bäuerlichen Wirtschaft1 allein zurücklassen müssen . Onkel Henry bin ich persönlich besonders verbunden , weil – wie meine Mutter mir berichtete – seine ärztlichen Ratschläge mich als 7-Monatskind (!) und nur von einer Dorfhebamme betreute Hausgeburt wahrscheinlich am Leben erhielten , zusätzlich mit dem nötigen Glück , was man als Sonntagskind und am 2 . Weihnachtsfeiertag eben hat .
So richtig erreichten aber uns die Kriegsereignisse in Isszimmer erst 1944 / 45 . Vorher sahen wir nur durch die Dorfstraße ziehende Militär- und Munitionskolonnen . Später kam es doch vereinzelt zu Einquartierungen von deutschen Soldaten .
Ein schreckliches Ereignis hat sich bis heute in meinen Erinnerungen eingegraben . Eines Tages , es muss im Winter 1944 gewesen sein , riefen mich , ca . fünfjährigen Jungen , deutsche Soldaten in unsere Hofscheune und zeigten mir , sich über meine Stockstarre amüsierend , ungefähr fünf nebeneinander liegende und stocksteifgefrorene deutsche Soldatenleichen . Besonders den einen armen Soldaten sehe ich noch eindrucksvoll vor mir , weil sein direkter Kopfschuss an der Stirn so deutlich zu sehen war . Auch ein anderes Ereignis ist mir in trauriger Erinnerung geblieben . Eines Tages erschien ein LKW mit ungarischen Polizisten und luden sogleich zwei ältere Frauen , zwei Geschwister , auf und verschwanden mit ihnen auf Nimmerwiedersehen . Beide hatten vor rund einem Jahr einen kleinen „ Tante-Emma-Laden “ aufgemacht , worin ich so gern kleine Einkäufe für meine Mutter erledigte , weil sie sich mit mir , dem kleinen Knirps , immer so nett unterhielten – na , und ein Leckerli fiel dabei auch immer ab ! Aus heutiger Sicht gesehen : Selbst das versteckte , kleine Dorf Isszimmer hatte der Holocaust erreicht ( siehe auch Kriegsopferliste von Michael Angeli unter Levi , Nr . 34 und 35 ).
Am Himmel faszinierten uns Kinder die anglo-amerikanischen Bombengeschwader , die weit oben am Himmel als silbrig blinkende Kugeln mit eigenartig tief brummendem Ton immer öfters landein zogen , oftmals begleitet mit meist darunter explodierenden Flugabwehrgranaten . Hie und da stieg ein Jagdflugzeug auf und verwickelte die Begleitjäger des Geschwaders in einen Luftkampf . Für uns Kinder war das natürlich Action Nr . 1 , wenn es nicht so traurige Realität gewesen wäre . Es kam auch zu einem Abschuss eines amerikanischen Bombers , der unweit Isszimmers in den Feldern niederging . Die Piloten verbrannten total zu schwarzen Mumien , während sich Bordpersonal mit dem Fallschirm noch retten konnte .
Nach dem Krieg fuhr überraschend ein amerikanischer Jeep in unser Dorf ein und die gefallenen Piloten wurden exhumiert und in die Heimat überführt . Das war das einzige Mal , dass ich amerikanische Soldaten sah , dafür aber andere bald mehr als erwünscht .
Aufregung und Angst spürte man im Dorf täglich ansteigen , je näher die Front kam . Eines Tages erschien ein SS-Kommando und verkündete , uns mit Lkws in den nächsten Tagen mitnehmen zu wollen : „ Heim ins Reich “, wir wären Deutsche und hätten Schlimmes von den Russen zu erwarten . Daraufhin floh das halbe Dorf in den Wald bzw . auf das abgelegene Gut Lust und versteckte sich ein paar Tage dort , weil niemand seine Heimat verlassen wollte .
Ende 1944 fand sich doch ein Häuflein Isszimmerer zusammen , deren Angst zum Teil aus politischen Gründen größer war als die vor der Ungewissheit im fremden Deutschland . Am 8 . Dezember 1944 zogen sie dann bei klirrender Kälte als Treck mir Pferdeund Planwagen mit circa 35 Erwachsenen und 25 (!) Kindern in Richtung Deutschland . Schlussendlich landeten sie Ende 1944 nach Verladung in Eisenbahnzügen in Oberfranken , zerstreut in der Umgebung von Burgkunstadt und Weismain , wohin wir und andere Isszimmerer nach unserer Vertreibung in die SBZ ( Sow-
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