Sonntagsblatt 4/2020 | Page 18

Vater und den Vätern gegenüber ”, denn ihr bürgerlicher Name ist Háromszéki . Diesen Namen nahm der Vater an , der nach Budapest zog und sich gezwungen sah , einen madjarischen anzunehmen , um voranzukommen : Anstelle von Pencz trug der Vater ab dem letzten Kriegsjahr den Namen Háromszéki . Frau Háromszéki-Pencz berichtete , dass ihr Vater 1899 in Kerekegyháza bei Ketschkemet geboren wurde - in einer schwäbischen Familie . Sie betrieb eine Kneipe im Ort . Das Dorf , so auch auf Wikipedia nachzulesen , wurde von Deutschen und Madjaren aus den umliegenden Dörfern besiedelt und trug den Spitznamen „ Kukália ”, „ Stummhausen ”. Warum ? So erinnert sich Frau Háromszéki-Pencz an die Legende : Nachdem das Dorf besiedelt worden war , ging die Kommission von Haus zu Haus , um nachzuschauen , wie gut sich die Schwaben eingelebt hatten . Die ungarischen Fragen verstanden die Schwaben nicht , woraufhin die Kommission feststellte : Hier wohnen nur „ kukák ”, also Stumme - daher der Spitzname „ Kukália ”, angelehnt an „ Kerekegyháza ”.
Die Familiengeschichte der Pencz / Háromszékis scheint ohnehin voller Wendepunkte zu sein : Die Großeltern mütterlicherseits ( der nichtdeutsche Teil der Familie ) wanderten 1890 nach Kanada aus , wo 1908 die Mutter meiner Gesprächspartnerin geboren wurde . Nach ihren Erinnerungen bewegte das Heimweh die Familie dazu , 1928 nach Ungarn zurückzukehren . Dieser familiäre Hintergrund - Vater Schwabe , Mutter Kanadierin - hätte bei der Aufnahme an der Hochschule für Geld- und Rechnungswesen ( Pénzügyi és Számviteli Főiskola ) Schwierigkeiten bereitet – dennoch konnte die Tochter dank ihrer guten schulischen Leistungen dort aufgenommen werden . Wie sie denkt , rechnete man damit , dass sie eh die Hochschule abbrechen würde - brach aber nicht ab . Dem Studium folgten Anstellungen in staatlichen Betrieben , wo sie in der Personal- und Finanzabteilung arbeitete . Frau Háromszéki-Pencz wurde nach ihren Erinnerungen wegen ihrer Herkunft als nicht zuverlässig eingestuft , was zur Folge hatte , dass man von ihr erwartete , der Partei beizutreten . Das tat Frau Háromszéki-Pencz aber nicht und schmiedete bereits Ende der 1970er Jahre Pläne das Land zu verlassen .
1983 war es so weit . Ihr Mann starb kurz davor , sie stand mit zwei minderjährigen Kindern da . Sie ging nach eigenen Angaben arbeiten , die Kinder besuchten die Schule . Das „ diszidálás ”, in der DDR hieß es Republikflucht , blieb nicht ohne Folgen , was wohl die Mutter zu spüren bekam , die fortan öfters von der Stasi Besuch bekam . Mit dem „ Westpass ” in der Tasche ( auf den sie drei Jahre lang gewartet und den sie nur mit Sondergenehmigung erhalten hatte ) wagte sie dann den Sprung ins Ungewisse : „ Ich konnte alles verkaufen , ohne dass man misstrauisch wurde : die Wohnung in Steinbruch / Kőbánya und den Trabant Kombi . Ich muss nicht sagen , wie sehr ich zitterte , wenn ich einen Polizisten in meiner Straße erblickte .”
Sie stiegen am 13 . Juni 1983 in den Zug nach Wien , Bekannte halfen dort bei der Ankunft . Mutter und Kinder wurden in einer kleinen Pension untergebracht . Frau Háromszéki-Pencz erhielt die Aufenthaltserlaubnis , wollte aber nach eigenen Angaben wegen der Nähe zu Ungarn nicht bleiben und reichte die Papiere bei der Botschaft von Australien ein . Sie erhielt politisches Asyl und kam mit den Kindern September 1985 in Melbourne an . Die Integration glückte : Sie lernte Englisch , absolvierte eine Schule für Tourismus und arbeitete noch 18 Jahre lang in einem Reisebüro , das ungarische Kunden bediente . Darüber hinaus war sie an Gerichten als Dolmetscherin tätig . Ihr Sohn heiratete eine ungarische Frau , ihre Tochter einen kroatischen Mann - also wieder Mischehen , wie im Falle von Frau Háromszéki-Pencz . Ihr liege sehr viel daran , die ungarische Sprache zu bewahren und an die Enkelgeneration weiterzugeben . Sie betrachtet sich als Ungarin / Madjarin in Australien .
Ihre Familiengeschichte zeugt von sprachlicher Assimilation in einer fremdsprachigen Umgebung , denn der Vater , der Ende des 19 . Jahrhunderts geboren wurde , sprach mit dem Großvater
18 noch Deutsch . In der Familie von Frau Háromszéki-Pencz wurde aber ungarisch gesprochen . Sie selbst spricht die Sprache der väterlichen Ahnen ein wenig , nicht zuletzt sprachen sie ja in Wien diese Sprache . Frau Háromszéki-Pencz sagt : „ Ich brauche ein paar Tage , um mich zu trauen . Der Mann meiner Freundin ist Deutscher , sie leben in Stuttgart . Ich besuche sie öfters und brauche etwa zwei Tage , bis ich mit dem Mann Gespräche führen kann ”. Sie selbst hat vom deutschen Erbe der Vorfahren den Namen bewahrt , auf den sie stolz ist . Ein Schicksal , das sie mit vielen teilt !
Reisenotizen ( 11 ) Elsass / Alsace
Von Richard Guth
Oktober 2020 „ Sauerteisch ”, erhalte ich die prompte Antwort auf die Frage , was „ levain naturel “ bedeutet : also „ Sauerteig “. Die Antwort kommt von einer Dame Ende Fünfzig - vorangegangen waren lange Minuten des Rätselns unter Beteiligung zweier Bäckereifachverkäuferinnen Mitte 20 , eine davon mit afrikanischem Migrationshintergrund , mit unsicheren Englischkenntnissen und meiner Wenigkeit mit rudimentärem Französischwissen . Schauplatz des Gesprächs ist eine Bäckerei in Petit France , dem Touristenmagnet von Straßburg / Strasbourg . Ich wollte lediglich wissen , woraus die von mir in Augenschein genommene Baguette ( die sehr gut schmeckte ) hergestellt wurde , und erhielt einen Einblick in eine sprachliche Entwicklung , die man schlechthin Romanisierung eines über Jahrhunderte hinweg heiß umkämpften Gebietes namens Elsass ( - Lothringen ) nennt . Gerade in der Zeit nach den Weltkriegen verfolgte der französische Staat eine rigorose Sprachpolitik zuungunsten des Deutschen bzw . der germanischen Dialekte . Erst in den 70ern und 80ern fing man an den Wert des Elsässischen und der Mehrsprachigkeit zu erkennen und zweisprachige Schulen zu errichten . Dem versetzten die Reformen der letzten Jahre einen Dämpfer .
Auch die Statistiken sprechen hierbei eine klare Sprache : Während 1946 noch 91 % der Elsässer die alemannischen , süd- bzw . rheinfränkischen Dialekte Elsässisch ( deutsch ) sprachen , - ein germanisches Idiom - sank dieser Anteil bis 1997 auf 63 % und bis 2012 auf 43 %. Besonders gravierend war dieser Rückgang im Kreise der 18-bis 29-Jährigen : Der Anteil sank auf 12 % ( 2012 ). So spricht Untersuchungen zufolge weniger als ein Prozent der Kleinkinder Elsässisch , was mittel- und langfristig das Verschwinden der Dialekte bedeuten wird . Kommt einem irgendwie bekannt vor , nicht wahr ?
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