Sonntagsblatt 4/2019 | Page 29

Durch das Mitwirken seiner bei den Barmherzigen Schwestern in Fünfkirchen lebenden Tante kam Franz 1947 in das Fünfkirchner Bischöfliche Lyzeum und Lehrerbildungsanstalt und wirkte nach seinem Abschluss bis 1956 als Elementarschullehrer in einer Dorfschule nahe Budapest. Den Aufstand 1956 erlebte er hautnah in der Hauptstadt, wo er bei einer Demonstration vor dem Parlament auch Plakate mit der Aufschrift gesehen habe, „Új kormányt akarunk, zsidók és svábok nélkül!“ (Wir wollen eine neue Regierung, ohne Juden und Schwaben!). Das habe ihn, nach den erlebten schwaben- feindlichen Nachkriegsereignissen, veranlasst, die günstige Ge- legenheit zu nutzen und sich nach Deutschland abzusetzen. Sei- ne Flucht endete in Dortmund, wo er einen Jugendfreund hatte, den er während dessen Evakuierungsaufenthaltes in Hedjess - zur Zeit der Bombardierung des Ruhrgebietes gegen Kriegs- ende - kennen gelernt hatte. In Dortmund fand Franz persönliche Aufnahme und die Chance für seine weitere berufliche Lauf- bahn. Dazu musste er allerdings nochmal die „Schulbank“ drü- cken, Teile seines ungarischen Studiums wiederholen und die Abschlussprüfungen für das Lehramt in Deutschland bestehen. Danach erhielt er eine Anstellung als Lehrer an einer Haupt- schule in Dortmund, wo er bis zu seiner Pensionierung unterrich- tete. Obwohl Franz immer ein kritischer und kein bequemer Geist war, kein schneller Ja-Sager, muss er in der Schule als Lehrer gut zurechtgekommen sein, denn er hat immer nur Freudiges und Positives von seiner Arbeit erzählt. Im Lehrerkollegium muss er auch gut angenommen worden sein, jedenfalls verbrachte er drei Jahrzehnte lang gemeinsam mit seinem Direktor im bayeri- schen Bad Füssing seinen sommerlichen Kuraufenthalt. Dort traf ich ihn etwa 1986/87 zum ersten Mal persönlich. Kennen gelernt habe ich Franz über die FAZ, die er seit 1960 bis zu seinem Tod abonniert hatte. Mir waren seine Leserbrief-Bei- träge zu Artikeln mit ungarndeutschem Kontext aufgefallen und ich rief ihn einfach an. Von da an trafen wir uns fast jährlich bei seiner Durchreise nach Bad Füssing in Niederbayern oder nach Illmitz am Neusiedler See. Letztlich kam ich auf sein Zureden zur Suevia Pannonica, deren Konvente er regelmäßig besuch- te und mit leidenschaftlich vorgetragenen Wortmeldungen die Diskussionen bereicherte und lebendig hielt. Seine oft beißende Kritik an der ungarischen Nationalitätenpolitik und der Schön- färbungspraxis der ungarischen Geschichtsschreibung kommt in seinem Beitrag „Szatírikus válasz“ (Satirische Antwort) in der ungarischen Broschüre HŰTLENSÉG A „HŰSÉGBEN“ (Untreue in der Treuebewegung: Beiträge zur Dokumentation der Bonn- harder Treuebewegung. Hg. Suevia Pannonica. 100 S. 1995) zum Tragen, deren Übersetzung er auch übernahm. Genauso sorgfältig übersetzte und betreute er die Veröffentlichung von Johann Weidleins Hauptwerk, Schicksalsjahre der Ungarndeut- schen (A magyaroszági németség küzdelme fennmaradásáért. Hg. Suevia Pannonica, 1996) Zu Franz Wesners „Lebensthema“ wurde seine Erkenntnis, dass die ungarische Regierung die sowjetische Reparationsforderung von Arbeitskräften zum Wiederaufbau einseitig und zielgerichtet mit jungen Frauen und Männern ungarndeutscher Herkunft erfüll- te. Die Schonung des „eigenen Blutes“ und die einseitige Preis- gabe der arbeitsfähigen jungen Schwaben werden bis heute von ungarischer Seite nicht thematisiert, als habe diese eklatante ethnische Diskriminierung nicht stattgefunden. Dieser Vorgang verletzte und bewegte ihn bis in seine letzten Tage. Aus diesem Grund fand er auch keinen Frieden mehr mit seiner alten Heimat. Nun ist auch er eingegangen in die donauschwäbische Ewig- keit. Sein von ihm rege kontaktierter „Ungarndeutscher Freun- deskreis“ ist von 15 auf sechs Mitglieder geschrumpft. Wir nehmen Abschied von einem leidenschaftlichen und fundier- ten politischen Mitstreiter, von einem humanistisch gebildeten, sozial engagierten Menschen, der im Stillen ein Liebhaber klas- sischer Musik, barocker Kirchen und guter Weine war. Mir wurde er zum geistigen Freund und geschätzten Weggefährten. Reqie- scat in pace! SoNNTAGSBLATT Auch die Besten müssen gehen. Franz Wesner – das „Lexikon des Ungarndeutschtums” – gestorben Von Georg Krix Es ist immer zu früh, zu früh für die Hinterbliebenen, wenn ein geschätzter Angehöriger der engeren oder weiteren Familie, in diesem Fall der großen Familie des Ungarndeutschtums, für im- mer entschwindet. Franz wird uns besonders fehlen. Hatte jemand von uns mal eine Frage hinsichtlich der Geschichte des deutschen Volkes in Un- garn, Franz wusste die Antwort darauf. Galt es Berichte, Vorträge oder Bücher zu übersetzen – vom Deutschen oder ins Deutsche –, dann war Franz der richtige Mann dafür. Stets freundlich und hilfsbereit. Aber immer kritisch! Die gesunde, aufbauende – oft auch schmerzliche und ätzende – Kritik gehörte bei ihm zum All- tag. Franz Wesner hat auch den „Sozialismus” in Ungarn miterlebt. Er wollte diesem entfliehen, wurde erwischt und verurteilt und ist auch aus der Haft entsprungen. Deshalb verbrachte er 60 Jahre in der Ferne, in Sehnsucht nach der Heimat, in die er jedoch nicht mehr wollte beziehungsweise sich nicht mehr getraut hat zurückzukehren. Oft verbrachte er seinen Urlaub in Illmitz/Öster- reich und blickte am Ufer des Neusiedler-Sees sitzend verbittert und sehnsuchtsvoll in Richtung Heimat, in das Land seiner Ah- nen und seiner Jugend. Ja, hier in Illmitz oder eben in Bad Füssing/Deutschland traf ich mich regelmäßig mit Franz, wo wir dann bei einem Gläschen Wein die traurige Lage des untergehenden Ungarndeutschtums besprachen und freche Zukunftspläne schmiedeten. Ich habe sehr viel von Franz gelernt, er war mir ein guter Lehrer. Schwer zu fassen, dass es diesen guten, treuen Freund nicht mehr gibt. Lieber Franz, Du bleibst mir/uns unvergesslich. Abschied von Franz Von Richard Guth Herr Wesner bzw. Franz, wie ich ihn in den letzten drei Jahren seines Lebens nennen durfte, ist Mitte September von uns ge- gangen. Zwischen der ersten und letzten Begegnung lagen ge- nau zwanzig Jahre (1998 bzw. 2018), die Orte lagen auch nahe beieinander (Dortmund/Unna). Ich kam an diesem Aprilsonntag des Wahljahres 1998 mit dem Regionalexpress aus Düsseldorf, wo ich damals studierte, und war die ganze Zeit am Überlegen, wie ich ihn erkennen werde. Der Zug fuhr am Hauptbahnhof von Dortmund ein, Menschenmassen verließen den NRW-Express – der Bahnsteig leerte sich aber rasch, ein älterer Herr lediglich blieb oben auf der Rampe stehen – Franz Wesner, pensionier- ter Real- und Hauptschullehrer. Für die kommenden über zehn Jahre bleibt Dortmund, besser gesagt „der Kroate in Lanstrop” der Ort unserer regelmäßigen Begegnungen, wo wir beide immer das Gleiche bestellen: Er „Halbe-Halbe”, ich Putenschnitzel mit Essig und Öl. So sind eben Waage-Menschen, sie mögen das Beständige. Und auch, einen Blick in die Vergangenheit zu wer- (Fortsetzung auf Seite 30) 29