Sonntagsblatt 4/2019 | Page 17

das, bei dem unsere Minderheit über die desolateste Repräsen- tation verfügt. Von nennenswerten Kanälen mit einer relevant nennbaren Abonnentenzahl kann man nur einen hervorheben, den des Landesrats der ungarndeutschen Chöre, Kapellen und Tanzgruppen, der als einziger Kanal über 1000 Abonnenten hat. Alle anderen sonst doch präsente Portale haben mickrige Abo-Zahlen, zum Beispiel hat Zentrum 27, die GJU 13. Woran genau das liegt, ist eine Frage, die wahrscheinlich komplexer ist als meine Bemerkungen, was heißen soll, dass viel getan wer- den müsste, um die Präsenz unserer Minderheit auf YouTube zu steigern. Zu bedenken ist, dass es bis auf wenige Ausnahmen eigentlich das Verdienst verschiedener Tanzgruppen ist, die mit ihren Auf- nahmen von Auftritten die einzige Präsenz unserer Minderheit auf diesem Portal sind. Zu vermissen sind schnelle Wochenzu- sammenfassungen von Zentrum, ein paar Programmberichte der GJU oder offizielle Statements der LdU; doch ohne eigentliche Inhalte lassen sich auch keine echten Probleme ausmachen, was bedeutet, dass welcher Inhalt beliebt wäre so nicht voraus- zusagen ist. Bei diesen eklatanten Mängeln möchte ich vermerken, dass mit dem vorhersehbaren Aussterben der klassischen Fernsehkultur die alteingesessenen Medien, zum Beispiel Unser Bildschirm, trotz ihrer Online-Mediathek an Bedeutung verlieren werden, be- sonders in Bezug auf die jüngere Generation. Es wäre sinnvoll unsere audiovisuelle Medienpräsenz in die eigene Hand zu neh- men und dafür bietet YouTube die beste Plattform. Auch ist es bedenklich, dass keine angemessene Fassung unserer Hymne mit passendem Video auf YouTube zu finden ist, sondern ledig- lich Aufnahmen von Live-Auftritten und alte Tonspuren. Konklusion Bis auf ein paar Lichtblicke ist die ungarndeutsche Medienprä- senz auf sozialen Netzwerken mehr als dürftig und sogar katas- trophal, wenn wir Facebook ausklammern. Es gibt noch viel Luft nach oben, aber es ist auch ersichtlich, dass es an Talent nicht mangelt, vielmehr ist es wichtig viele politisch/soziale Themen in den öffentlichen Diskurs der Minderheit zu tragen, um das Inte- resse an unserem Schicksal als Minderheit zu vergrößern und nebenbei den dramatischen Mangel an modernen Alltagsthemen zu beheben. Das in diesem Artikel angeschnittene Thema be- nötigt noch weitaus mehr Nachforschung und einen öffentlichen Diskurs, denn ohne mediale Repräsentation gibt es auch keine moderne Minderheit. Als positive Überraschung während meiner Recherche kam mir entgegen, dass man inzwischen ungarn- deutsche Bands auf Spotify finden kann, was gut zeigt, dass es an ambitionierten Online-Pionieren nicht mangelt. Márton-napi lámpás felvonulás Wenn man zu deutschen Festen ungarisch lädt Von Richard Guth Traditionen zu pflegen ist eine schöne Sache. Gerade in unserer schnelllebigen Welt, wo Sachen auftauchen und auch blitzschnell wieder verschwinden, wenn der stets ungesättigte Musterkonsu- ment sie mit einer leichten und unüberlegten Handbewegung auf dem Smartphone nach oben oder auf die Seite schiebt. Traditio- nen vermögen es stark fragmentierte Gemeinschaften in einer atomisierten Gesellschaft zusammenzuhalten oder auch Men- schen mit gleichem Hintergrund und gleichen Interessen zusam- menzuführen. SoNNTAGSBLATT Für mich stellt sich aber stets die Frage nach der Authentizität. Diese berührt nicht nur die Frage nach einer vorhandenen Tra- ditionslinie, sondern auch das Wie und im Falle unserer Volks- gruppe die Frage, in welcher (Umgangs-) Sprache diese gepflegt wird. Der Martinstag und der Umzug mit Lampions ist mittlerweile zum festen Bestandteil des Jahresprogramms von deutschen Nationalitätenkindergärten und -selbstverwaltungen (unter dem Motto, wir kümmern uns um den Nachwuchs) geworden, ein Phänomen, das sich im Nachwendeungarn, aus dem deutschen Sprachgebiet kommend, fest eingebürgert hat. Eigentlich ist nichts dagegen einzuwenden, denn es könnte dazu beitragen, dass unser Gefühl der Verbundenheit mit unserem Mutterland gestärkt wird. Eigentlich ist nichts dagegen einzuwenden, denn Traditionspflege war stets Veränderungen unterworfen, Traditio- nen veränderten sich, entstanden oder verschwanden wieder. Woran ich ansetzen will, dafür steht die Einladung einer deut- schen Nationalitätenselbstverwaltung zum „Márton-napi lámpás felvonulás”. Ich gestehe, dass ich intensiv nach der deutschen Version der Einladung gesucht habe, jedoch vergebens. Es gab nur eine ungarische Version, lediglich ein deutsches Wort („Mar- tinstag”) oben links in der Ecke verirrte sich auf die Einladung. Darin lädt die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung „Önt és kedves Családját„, also „Sie und Ihre liebe Familie” zum „Már- ton-napi lámpás felvonulás”, also zum Martinsumzug mit Later- nen ein. Es werden Treffpunkt und Route des Umzugs bekannt- gegeben und im Anschluss zu einem „forró tea” (heißen Tee) und einem „libazsíros kenyér” (Gänseschmalzbrot) eingeladen, alles akkurat einsprachig ungarisch, obwohl - wie meine Über- setzung zeigt - auch die deutsche Sprache über ein passendes Vokabular verfügt. Gerade hier böte sich die Gelegenheit – gäbe es eine deutsche Version der Einladung – die alten Straßenna- men ins Bewusstsein zurückzuholen, indem man diese angibt, in Klammern dahinter mit den ungarischen. Diese Chance wird nicht nur hier vertan. Sicher wurden während der Veranstaltung einstudierte Texte und Lieder in deutscher Sprache vorgetra- gen, aber ganz sicher verliefen die Gespräche dazwischen auf Ungarisch und man fing die Veranstaltung mit einer „Köszöntjük az egybegyűlteket!” (Wir begrüßen die hier Versammelten) an und beendete diese mit einer „Köszönjük, hogy eljöttek!” (Danke, dass Sie gekommen sind). Dass diese Einladung kein einmaliger Ausrutscher ist, zeigen weitere Einladungen, Bekanntmachun- gen der genannten DNSVW aus der Vergangengenheit, allesamt einsprachig ungarisch. Ewigoptimisten würden mir jetzt vorhalten, diese einsprachig ungarische Einladung einer deutschen Nationalitätenselbstver- waltung wäre zwar kein Einzelfall, dennoch gäbe es positive Bei- spiele. Die gibt es in der Tat – so werde ich von der Deutschen Selbstverwaltung Stuhlweißenburg stets zweisprachig zur deut- schen Messe in die Kapuzinerkirche eingeladen. Aber die Be- tonung liegt leider Gottes auf „Ausnahmen”. Ausnahmen, denn die Regel sind ungarischsprachige Einladun- gen, die durchaus ein Bild über die Sprachsituation der deutschen Minderheit in Ungarn abgeben. Wozu auf Deutsch, jeder versteht doch Ungarisch und viele würden eh nicht mehr die deutsche Sprache beherrschen?!, hört man allzu oft. Aber sind die Damen und Herren Minderheitenvertreter nicht dafür angetreten, um den Sprachverlust aufzuhalten und ihn vielleicht sogar umzukehren?! Haben sie, haben wir nicht die Verantwortung, der ungarndeut- schen Öffentlichkeit als gutes Beispiel zu dienen?! Sind wir nicht zu bequem geworden oder wenn ich unseren Autoren Georg Sawa zitieren würde, haben wir uns nicht zu billig verkauft?! Denn Traditionen aus einem fremden Kulturkreis zu pflegen, ohne die Ursprungssprache, geht ohne Probleme. Halloween oder Valentinstag sind gute Beispiele dafür. Aber was macht uns, unsere eigene ungarländisch deutsche Identität eigentlich aus, wenn auch noch die Sprache der Ahnen aus dem Alltag gänzlich verschwindet? 17