Sonntagsblatt 4/2018 | Page 11

Unsere Aufgabe: die Komfortzone ver- lassen Von Patrik Schwarcz-Kiefer Wenn man regelmäßig an ungarndeutschen Veranstaltungen teilnimmt, kennt man das Phänomen „és akkor mostantól ma- gyarul, hogy mindenki értse” (und ab jetzt auf Ungarisch, damit es alle verstehen). In vielen Fällen sagt man dies nur, weil der/ die Betroffene die Verantwortung für das Nicht-Benutzen der deutschen Sprache der Zuhörerschaft zuschieben will. Natür- lich gibt‘s solche im Land (leider eine kleine Minderheit), die alles ohne weiteres auf Deutsch kommunizieren könn(t)en und wirklich das bessere Verständnis zum Ziel haben. Aber in den meisten Fällen ist es so, dass der Sprecher nicht in der Lage ist den Inhalt auf Deutsch zu übermitteln. Und nicht unbedingt wegen mangelnder Sprachkenntnisse, vielmehr wegen des ge- sellschaftlichen Drucks: „Wenn ich was falsch sage, wird meine zentrale Rolle (in der Veranstaltung z. B.) in Frage gestellt.“ Weiter wird es damit begründet, dass es auf Ungarisch „einfach einfacher“ ist. Egal ob man deutscher/„schwäbischer“ oder unga- rischer Muttersprache ist, man muss ehrlich sein: Es ist wirklich einfacher auf Ungarisch. Deswegen gibt‘s solche Situationen, wo man diese Begründung akzeptieren muss (Arbeitsgespräche z.B.). Natürlich muss jemand mit gutem Beispiel vorangehen, und diese Aufgabe nahm in der Vergangenheit und nimmt in der Gegenwart unter anderem die JBG an. Was unsere Landsleute machen sollten, ist, dass sie ihre Komfortzone verlassen. Eine Begrüßung in zwei Sätzen sollte kein Teufelszeug sein, die Eröffnung einer Veranstaltung auch nicht. Hier geht‘s um den be- quemeren Weg. Man mag in seiner Komfortzone bleiben, und diese Komfortzone ist in diesem Fall die ungarische Sprache. Die Verfechter der deutschen Sprache sollen dabei die anderen überzeugen: Es lohnt sich diese Komfortzone zu verlassen. Und dies ist unser höchstes Ziel. Unsere Vorfahren haben einen gro- ßen Fehler begangen, als sie die deutsche Sprache nicht weiter- gegeben haben. Bei ihnen ging es aber um ihre Existenz, um ihr Leben! Und später leider um ihre Bequemlichkeit. Solche Gefahren bestehen aber heute nicht mehr. Die „große“ Entscheidung ist, ob man den bequemen Weg der ungarischen Sprache oder den mühseligeren der deutschen Sprache wählt. Das einzige Risiko ist, dass man etwas grammatikalisch falsch sagt und jemand kommt, der diesen Fehler korrigiert, oder der Fehler wird zum Thema der örtlichen „Tratschparty“. In einem unserer nächsten Artikel wird es um diese destruktive Gruppe der großen Deutschkorrektoren, der so genannten „Grammar- nazis“*, gehen. _____________________________________________ *Das Wort „Nazi“ wird auf Englisch zunehmend im Alltag benutzt für jem- anden, der besessen von Regeln ist und dabei fanatisch und aggressiv auftritt. Das bekannteste Beispiel ist grammar nazi und spelling nazi für Sprachpedanten. Reisenotizen extra Deutschpilsen – wo sind die Sachsen geblieben? Von Richard Guth Die vor drei Jahren wiedereröffnete Waldbahn nähert sich be- häblich-langsam dem Sackgassendorf nahe der slowakischen Grenze. Der Weg führt über steile Hänge und tiefe Täler, die Na- tur zeigt - dank der Herbstsonne - ihr schönstes Gesicht. Die ersten Häuser werden sichtbar, der Zug erreicht die Endstation. Die Straße säumen alte Bauerhäuser, die vom Reichtum der Vergangenheit zeugen – manche bewohnt, manche unbewohnt, aber gut in Schuss, die gehören wahrscheinlich Hauptstädtern, SoNNTAGSBLATT die sich in der Abgeschiedenheit des Pilsner Gebirges ein Fe- riendomizil zugelegt haben. Ein zweisprachiges Schild, deutsch Schmalspurbahn, ist zu sehen, wahrscheinlich mit touristischem Hintergrund. Auf dem Hauptplatz erinnern Weltkriegsdenkmäler an die Opfer der großen Weltbrennen, auf ihnen überwiegend deutsche Namen. Gegenüber erinnert ein anderes Schild drei- sprachig, ungarisch-deutsch-slowakisch, dass hier ein Bauern- markt abgehalten wird. An der anderen Ecke des Dorfplatzes steht die „Községháza”, das Rathaus. Es geht weiter Richtung evangelischer Kirche - eine von drei Kirchen im Ort, trotz der zen- tralen Lage auch nicht die älteste (das ist die romanische Ste- fanskirche) und nicht die bekannteste (das ist die Bergmanns- kirche) -, vorbei an Gästehäusern, die oft den Zusatz „Ház”, also Haus tragen. Hinter dem „Schneider-Ház” erhebt sich die evangelische Kirche, die gerade renoviert wird. Ich betrete das bescheidene, aber dennoch einladende Gotteshaus und schaue mich um. Die Glasfenster aus der Zwischenkriegszeit als Gaben der Gemeindemitglieder sind ungarischsprachig, eine Inschrift unterhalb der Orgel, aus dem Jahre 1901, hingegen deutsch- sprachig. Sonst fehlt es an deutschsprachigen Informationstafeln und -zetteln in der Kirche. Das verleitet mich zu der Frage: Wo sind die (evangelischen) Sachsen geblieben? Presshäuser in Deutschpilsen Richtig, Sachsen, stellt Deutschpilsen/Nagybörzsöny das ein- zige (Zipser/Hauländer) sächsische Dorf von (Trianon-) Ungarn dar. Der Ort wurde in einer Zeit besiedelt, als sich die Sieben- bürger und Zipser Sachsen im Königreich niederließen. Wahrlich waren sie keine „Sachsen”, stammten die meisten aus Tirol, der Steiermark und einige doch aus der Erzgebirgsregion – auf die- se Herkunft weist der Pilsener südbairisch-südmittelbairisch-ost- mitteldeutsche Mischdialekt, mit Verbindungen zum Mittelhoch- deutschen, hin. Man spricht in einer Ortsmonografie, die um die Jahrtausendwende in der Reihe „Száz magyar falu könyveshá- za” erschienen ist, davon, dass Deutschpilsen „ein letzter Rest der südlichen Siedlungsgruppe des heutigen mittelslowakischen Haulands” sei, denn das Deutschtum der nahegelegen Loren- zen/Vámosmikola und Martinau/Szokolya, das über die gleichen Wurzeln verfügt, hat sich bis zum 19. Jahrhundert völlig madja- risiert.” Die Kontakte zu den nördlich gelegenen Zipser Städten blieben bis Trianon rege, dienten diese als Hauptabsatzmarkt für den Deutschpilsener Wein. Aber auch in konfessioneller Hinsicht gab es eine Verbindungslinie: Luthers Lehren wurden auch von den Pilsener Deutschen übernommen. Der Ort, der den Rang eines Marktfleckens hatte und dessen Steueraufkommen lange sogar das von größeren Städten in Ungarn übertraf, blieb auch in der Zeit der Dreiteilung des Landes deutsch besiedelt, was Aufzeichnungen evangelischer Geistlicher und die deutschspra- chige Korrespondenz der Dorfrichter mit der ungarischen Kam- mer belegen. Nach der Vertreibung der Osmanen kamen neben deutschen auch madjarische und slowakische Familien neu in den Ort, was dessen wirtschaftlichen Attraktivität zeigt. Diese Fa- milien assimilierten sich – so Forschungsergebnisse - sprachlich (Fortsetzung auf Seite 12) GEFÄLLT IHNEN DAS SoNNTAGSBLATT s ? IHRE SPENDE IST DIE JA-ANTWORT! 11