Sonntagsblatt 4/2015 | Page 5

Parallel zu diesen und den noch auf zahlreichen anderen Ebe - nen des öffentlichen Lebens sich abspielenden Assimilierungsbe - mühungen inszenierte und förderte der ungarische Staat eine Kampagne gegen das Schwabentum , die an Hass und Abscheu kaum zu überbieten war . Federführend bzw . tonangebend unter den ungarischen Politikern der dreißiger Jahre war der Publizist Bajcsy-Zsilinszky 8 . Er verbreitete , wo er nur konnte , ein erzreaktionäres chauvinistisches Gedankengut von bodenlosem Deut - schen hass . Von ihm schrieb Jakob Bleyer am 10 . August 1930 im Sonntagsblatt : „ Der Deutsche ist in seinen ( sc . Zsilinszkys ) Augen ungefähr der Auswurf der Menschheit ” 9 . Als Bleyer in seiner Parla - mentsrede am 9 . Mai 1933 von der schmerzlichen Tatsache sprach , „ dass man in vielen katholischen Schulen nicht einmal die Religion in der Muttersprache unterrichtet ” – was übrigens auch in Weindorf der Fall war –, rief Bajcsy-Zsilinszky , der von jeder ‘ blöden Visage ’ annahm , sie müsse einem Schwaben gehören 10 , gehässig dazwischen : „ Vielleicht wünschen Sie noch deutsche Regimen - ter ” 11 . Einen Menschen wie Bleyer , so jener Chauvinist , „ müsse man niedertreten , vernichten ” 12 . Da mir die konkurrenzlose Sauberkeit der deutschsprachigen Dörfer im Unterschied zu den Gemeinden aller übrigen Natio - nalitäten in Ungarn inklusive natürlich auch der ungarischen aus eigener Anschauung bekannt war , wollte mir schon als Heran - wachsendem nicht so recht einleuchten , weshalb wir von den Ungarn so häufig die piszkos – schmutzigen und die rongyos – zerlumpten und die büdös svábok – die stinkenden Schwaben genannt wurden . Insbesondere das Attribut buta – dumm gehörte mit zu den gängigsten Beifügungen , mit denen man uns Schwaben schmähte . Selbst unsere Dorfpotentaten , gewiss keine Leuchten in der Verwaltung geschweige denn in der Pädagogik , sprachen über uns und von uns – wie landesüblich – von den dummen Schwaben . In ihren Augen waren wir Menschen zweiter Klasse . Heute leuchtet mir jene sprichwörtliche Geringschätzung ‚ dummer Schwabe ’ von damals in gewisser Hinsicht ein . Der Grund dafür lag schlicht in der mangelnden Sprachkompetenz sowohl im Un-garischen wie im Hochdeutschen . Der Durchschnitt vermochte sich in der ungarischen Sprache nicht perfekt auszudrücken . Und da ihm das Hochdeutsche entweder überhaupt nicht oder nur äußerst dürftig beigebracht wurde , war er der deutschen Schriftsprache ebenfalls nicht mächtig .
Ich besitze noch Schriftstücke von meiner Mutter , die gerne und häufig Briefe schrieb . Es sind erschreckende Dokumente man - geln der Beherrschung der deutschen Hochsprache . In den ersten Jahren nach der Vertreibung gab es manches zum Schmunzeln , dem freilich auch eine gewisse Tragik innewohnte . Da wurde z . B . jemand in ein Kolonialwarengeschäft um Hefe geschickt . Im Dialekt nannten wir die Hefe vom bayerisch – österreichischen Germ (= Bierhefe ) abgeleitet ‘ Geam ’. Die um Hefe geschickte Per son stutzte und überlegte und brachte schließlich ein Gefäß zum Schöpfen und Heben von nicht kompakten Stoffen nach Hause , das wir im Dialekt von Heben abgeleitet ‘ Heivel ’ nannten . Solche Anekdoten neubabylonischer Sprachirrungen und Sprach - wirrungen warfen Licht auf die mangelnden Kenntnisse der deutschen Hochsprache unserer Landsleute .
Als ich 1946 meine Studien in der 7 . Klasse eines Gymnasiums in Unterfranken fortsetzte , schrieb ich die Schulaufsätze zunächst ungarisch . Danach übersetzte ich sie mit Hilfe eines Wörter - buches ins Deutsche , was mir eine Zeit lang gestattet war . Ich hatte Anlaufschwierigkeiten in beinahe sämtlichen Fächern , denn von der deutschen Grammatik und Literatur , von der Geschichte , Kunstgeschichte und von der Geographie Deutschlands besaß ich ebenfalls nur unzureichende Kenntnisse . Im Grunde genommen musste ich jetzt erst einsehen , dass ich tatsächlich ein dummer Schwabe war – dumm freilich nicht wegen mangelnder Begabung , sondern wegen des verweigerten Unterrichtes in meiner Mut - tersprache und der mir vorenthaltenen Kultur unserer nationalen Vorfahren . Erst nach und nach lernte ich deren Reichtümer kennen , die Werke großer Maler und Musiker , Dichter und Denker , die Entdeckungen berühmter Physiker , Chemiker und Mathema - tiker . Jetzt erst wuchs in mir ein neues Identitätsgefühl , das mir sagen ließ : Junge , du gehörst stammesmäßig zu dem ‘ Volk der Dichter und Denker ’. Hinzu kommt , dass das Schicksal oder Got - tes Fügung uns bei der Vertreibung in das Schwäbische , das Land unserer Väter , zurückführte , und wir wieder jenem Volk einverleibt wurden , das mit zu den begabtesten der deutschen Stämme zählt . „ Der Schiller 13 und der Hegel 14 ”, so heißt ein stolzes Wort hierzulande , „ das sind bei uns die Regel , der Schelling 15 und der Hauff 16 , die fallen gar nicht auf ”.
Verweilen wir noch einen Augenblick bei dieser unserer angeblichen Dummheit und deren Ursachen . Der Grund dafür , dass unter den Jungen , die zwischen 1936 bis 1941 in Weindorf die Schul bank drückten , meines Wissens außer mir nur noch zwei , höchstens drei ein Hochschulstudium absolvierten , lag gewiss nicht am Mangel an Begabungen . Viele waren mindestens genau so talentiert wie ich , manche zweifelsohne talentierter . Allein schon dieses außergewöhnlich hohe Reservoir an Begabungen in unserer Gemeinde widerlegt das sich selbst disqualifizierende Gerede vom dummen Schwaben . Es bestätigt vielmehr das eingangs zitierte Urteil der katholischen Bischöfe von dem offenkundigen Begabungs- und Bildungsgefälle zwischen den Schwaben und den Madjaren . Der ungarische Staat hat es infolge der Bor - niertheit seiner damaligen Nationalitätenpolitik nicht verstanden , das durch die Zweisprachigkeit vorgegebene Bildungs- und Kulturpotential zu seinen eigenen Gunsten auszuschöpfen . Er hat es verkannt , welchen Schatz es bedeutet , Menschen in einem Land zu haben , die aufgrund ihrer Herkunft in zwei Kulturen zu Hause sind . Hätte die Aussiedlung 1946 nicht stattgefunden , so hätten wir unsere deutsche Identität längst eingebüßt . Schon Anfang der vier ziger Jahre galt es unter uns Heranwachsenden als schick , statt des schwäbischen Dialektes ungarisch zu sprechen . So gesehen war die Vertreibung nicht nur unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Prosperität , sondern auch der kulturellen Bereiche - rung für uns ein Segen . Gewiss , zuvor mussten wir abermals durch Feuer und Wasser gehen , Demütigungen und Spott aller Art auch in der neuen Heimat auf uns nehmen , weil unter den Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit wir , die aus Ungarn und darunter wieder die aus der Umgebung von Budapest gekommenen , die hilfsbedürftigsten und die bedauernswertesten waren – hilfsbedürftig und bedauernswert nicht in bezug auf den materiellen , sondern in bezug auf den geistigen Notstand , der sich in der Unfähigkeit , Hochdeutsch sprechen und schreiben zu können , manifestierte . Wir mussten 1946 vielfach auch geistig gleichsam von der Stunde Null anfangen . Aber gerade die rasche Überwindung unseres materiellen wie geistigen Notstandes legt ein beredtes Zeugnis vom Fleiß und von der Begabung der Schwaben aus Weindorf und aus den übrigen deutschsprachigen Gemeinden im Umkreis von Budapest ab . Unter unseren Kindern und Kindes - kindern gibt es inzwischen zahlreiche Akademiker . Wir sind eben nicht dumm .
Ich komme zum Schluss . Auf keinen Fall möchte ich mit meinem Referat den Eindruck bei Ihnen erwecken , ich schürte den Hass zwischen uns Donauschwaben und den Ungarn . Nichts liegt mir ferner . Im Gegenteil ! Ich bewundere dieses tapfere , für Frei - heit und Selbststand kämpfende ungarische Volk , das die Ge - schichte inmitten fremder Völker und Rassen in Europa so hart in die Schule nahm . Der Text seiner Nationalhymne , mehr noch
( Fortsetzung auf Seite 6 )
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