Sonntagsblatt 4/2015 | Page 14

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also die Rückstellung des früheren Sprachzustandes nicht mehr aus, sie fingen an mit ihrem jahrzehntelangen harten Kampf um die Dethronisation der lateinischen und um die Dominanz der ungarischen Sprache. Um ihre Absichten durchzuführen trafen sie zwischen 1790 und 1844 eine ganze Reihe von Sprachgesetzen, unter denen viele auch das Nationalitätenschulwesen betrafen; so zum Beispiel die, in denen die ungarische Sprache in den Mittelund Hochschulen zu Sonderfach( XVI. Gesetzartikel des Jahres 1790), und später – außer Kroatien – zu ordentlichem Fach( VII. Gesetzartikel des Jahres 1792) gehoben wurde. Auf Betreiben der Stände wurde auch die Ratio Educationis vom Jahre 1777 überarbeitet und 1806 wieder ausgegeben. Die zweite Ratio war in Hin- sicht des Nationalitätenunterrichts ein neuer Fortschritt. Die „ Spra che des Vaterlandes”, also das Ungarische erhob sich zur erklärenden Aushilfesprache. Von 1820 an bekam ein jeder Schü- ler eine Sonderzensur in Ungarisch in jeder Klasse des Gymna- siums. Den beiden Rationen folgten bis Mitte der 1840-er Jahre verschiedene örtliche Anregungen vor allem von Seiten der Refor- mierten und Evangelischen, aber auch des Reichstags; die brachten aber keine wesentliche Änderung in dem Nationalitätenun- terricht. Auch der Gesetzentwurf für Volksunterricht des Reichs- tagskomitees von István Bezerédy, der einen – den Gesetzesvor- schlag von József Eötvös( 1848) antizipierenden – Standpunkt bezüglich des schulischen Sprachgebrauchs vertritt, wurde zu keinem Gesetz.
In eine wirklich andere Lage brachten den Nationalitäten un- terricht erst die an den Reichstagssitzungen der 1830 – 1840-er Jah- re getroffenen Sprachgesetze. Die Sprache der Legislatur, der zentralen Ämter, der Verwaltung, der Judikatur und zuletzt des Unterrichts wurde das Ungarische. Der § 9. vom II. Gesetzartikel des Jahres 1844 erklärt: „... in den Schulen innerhalb der Landesgrenzen soll die Unterrichtssprache das Ungarische sein.” Dieses Gesetz ist sehr widerspruchsvoll. Ginge es nur darum, dass die zu einer nationalen Minderheit gehörenden Leute, die in eine höhere Schule treten, beziehungsweise ein höheres Staatsamt erzielen, die offizielle Sprache des Staates können oder erlernen müssen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, aber die Nationalitäten- sprachen können im Lokalverhältnis unbehindert zur Geltung kommen, hätte die Maßnahme keine beträchtliche Opposition gehabt. Hier ging es aber um anderes und um mehr, nämlich wollte der ungarische Adel, der in Landesverhältnis seine eigene Spra- che( statt dem früheren Latein) – sehr richtig – zur Staatssprache machte, ganz unnötig und unpraktisch auch im Lokalverhältnis keine andere Sprache, außer der ungarischen erkennen, in dem er auf die Verwaltung, Judikatur, Schule und Kirche von reinen Na- tio nalitätengebieten die ungarische Sprache aufzwingen wollte. Das war nicht nur unnötig, sondern nicht einmal möglich. 1846 waren von den 14 533 571 Einwohnern Ungarns nur 5 413 327, also 31,5 %, von den 2 300 000 Einwohnern in Siebenbürgen nur 830 000, also 36 % Ungarn, die übrigen gehörten zu irgendeiner Nationalität.
Die Regelungen des II. Gesetzartikels des Jahres 1844 über die Unterrichtssprache wurden von den Nationalitäten mit erbittertem Widerstand empfangen. L’ udevit Stúr, Lehrer des Protestan- ten-Lyzeums in Preßburg( Pozsony, Bratislava) akzeptierte ohne Vorbehalt die Rechtmäßigkeit der ungarischen Staatssprache, gleichzeitig forderte er aber das Recht auf die Muttersprache und auf die nationale Kultur auch für die Slowaken. Nachdem er bei dem liberalen ungarischen Adel kein Verständnis fand, suchte und fand er in Wien eine Unterstützung. Genauso kämpften die Ru- mänen in Siebenbürgen im Interesse ihrer eigenen bürgerlichen Nationalentwicklung gegen die madjarisierenden und verdeutschenden Absichten. Die Kroaten verteidigten sich den Madjari- sierungsabsichten gegenüber noch unter dem Schutz der lateinischen offiziellen Sprache, doch dabei schäften sie schon ihre Waf- fen, um die kroatische Sprache und die bürgerliche nationale Kultur zum Siege zu verhelfen.
Der liberale ungarische Adel merkte nicht in seinem Siegers- rausch, dass er auf einem Vulkan tanzt und hielt – trotz jeder politischen Vernünftigkeit – an der Durchführung der irrealen Sprach- gesetze fest. Der Gesetzentwurf des letzten Ständereichstags vom 7. Januar 1848 erzwang wieder, dass die ungarische Unterrichts- sprache allgemein wird. Der Änderungsvorschlag von Lajos Kos- suth am 15. Januar unterschied sich von dem nur insofern, dass er die ungarische Sprache nur stufenweise in die Schulen einführen wollte: zuerst in die Mittel- und Hochschulen, dann in die Ele- mentarschulen. Die Nationalitätenabgeordneten waren gegen bei de Gesetzvorschläge, L’ udevit Stúr, der Delegierte des Ko- mitates Sahl unterbreitete einen Gesetzvorschlag über den Schutz der Muttersprache, betonend, dass „... die Muttersprache die beste, und tauglichste zum Unterricht ist, da man in der nicht nur denkt, sondern auch fühlt...” Da die Märzrevolution von 1848 dazwischenkam, wurde in den diskutierten Fragen keine Ent- scheidung getroffen.
Die Sprache des Unterrichts wird in den Märzgesetzen nicht geregelt. Der Gesetzentwurf von József Eötvös über den Elemen- tarunterricht, der im Sommer 1848 diskutiert wurde, kehrt zu dem von Stúr vertretenen Prinzip des Muttersprachenunterrichts zurück. Der Parlamentsausschuss hat aber einen dem widersprechenden Vorschlag unterbreitet und mit großer Stimmenmehrheit durchgebracht. Zum Gesetz wurde er aber auch nicht. Zum Gesetz wurde aber die Gesetzvorlage, die Ministerpräsi- dent Bertalan Szemere am 28. Juli 1849 dem Szegediner Parla- ment eingebracht hat. Die beruhte auf dem zwischen Lajos Kos- suth und dem rumänischen revolutionären Demokraten, Nicolas Balcescu zustande gekommenen Projekt de pacificatione( Ver- söhnungsversuch). Das Gesetz deklariert gleich im 1. Punkt das Ziel „... die freie Entwicklung aller auf dem Gebiet des ungarischen Reiches wohnenden Völker” zu sichern. Während das Un- ga rische die Sprache der Diplomatie, des Staates bleibt, verordnet das Gesetz den Gebrauch der Nationa1itätensprachen in den Gemeinden, an den Sitzungen der Munizipien, in den Elemen- tarschulen, in der Verwaltung der Kirchen, in der Nationalgarde und in den Ansuchen. Es. sichert die Unterstützung für die griechisch-orthodoxe Kirche. Es bevollmächtigt die Regierung die Wünsche der Rumänen und Serben zu erfüllen, ihren Beschwer- den abzuhelfen. Die Regierung ist bereit, im Namen der „ Nation” allen zu vergeben, die innerhalb der vorgeschriebenen Zeit die Waffen ablegen und den Eid auf die ungarische Unabhängigkeit schwören.
Das Nationalitätengesetz von Szemere bedeutet den Höhe- punkt der ungarischen liberalen Nationalitätenpolitik, dem ähnliches Gesetz weder die zeitgenössische ungarische, noch die damalige europolische Nationalitätengeschichte kennt. Leider trat es erst in der zwölften Stunde in Kraft, so konnte es die Ereignisse nicht mehr beeinflussen. Die ungarische Freiheit ist gefallen. Ob aber die Nationalitäten siegten?
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