Sonntagsblatt 3/2022 | Page 34

EIN BUCH ÜBER UNS , ABER AUCH FÜR UNS

EINE REZENSION ZU ZOLTÁN BIHARIS „ MI SVÁBOK “
Von Richard Guth
Der Anblick des enzyklopädieartigen Buches ließ bei mir , dem Buchliebhaber , das Herz höher schlagen . Knapp 600 Seiten und ein stattliches Gewicht von deutlich über einem Kilo – es geht um Zoltán Biharis „ Mi , svábok ”*, das in Kürze auch in deutscher Sprache erscheinen soll ! Und nicht nur das : Band 2 mit weiteren Ortschaften ist im Sommer auf den Markt gekommen .
Es ist wahrlich nicht einfach , über ein Buch zu schreiben , in dem es um uns Deutsche in Ungarn geht . Genauer gesagt wird der Versuch unternommen , den Leser über das historische , sprachliche und kulturelle Erbe , aber genauso über die Gegenwart und ( mögliche ) Zukunft der deutschen Minderheit zu informieren . Der Leser ist dabei Otto Normalverbraucher , am besten einer , der zwar um die Existenz der „ svábok ” weiß - mit einer Prise Stereotypen , aber mehr auch nicht . Dies wäre aber zu kurz gegriffen , denn selbst ich konnte – neben vielem Bekannten - sehr viel dem Buch abgewinnen .
Das Konzept scheint auf den ersten Blick einfach zu sein : Es werden Kontakte zu lokalen Funktionsträgern oder auch nur normalen Bürgern geknüpft ( Ansprechpartnerinnen Nr . 1 waren die deutschen Selbstverwaltungen ) und am Ende entsteht ein Mosaik aus Historischem und Gegenwartsbezogenem , eine Gesamtschau ( die letztendlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben der Ortsansässigen bleibt ) über schulische , kirchliche und zivilgesellschaftliche Aktivitäten . Lobenswert ist dabei das Bemühen , auch Orte mit geringer oder mittlerweile keiner deutschen Bevölkerung vorzustellen – etwa so manche Gemeinden , die seit spätestens 1950 zur Hauptstadt Budapest gehören . Auch interessante Informationen zum Umgang mit dem gebauten Erbe erhält der Leser . So ergeben die vielen Puzzlesteine ein Ganzes und ein durchaus realistisches Bild darüber , was uns Deutsche in Ungarn ausmacht . Im wohlwollenden Sinne , aber dazu gleich mehr !
Dabei wird die Vorstellung ausgewählter Gemeinden hin und wieder von der Präsentation von Persönlichkeiten oder erfolgreichen Unternehmen mit ungarndeutschem Hintergrund unterbrochen , was eine sinnvolle Abwechslung bietet , denn es ist einiges , was der werte Leser verarbeiten muss .
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Die Personen , die hinter der Entstehung dieses Sammelbandes – Sammelband , denn am Werk waren neben Autor Zoltán Bihari Co-Autoren beteiligt – standen , sind der besondere Wert dieser Publikation . Sie geben unserer Volksgruppe ein Gesicht , gerade dank ihrer Vielfalt . Pädagogen , Kulturschaffende , Funktionäre , Unternehmer oder einfache Arbeitnehmer kommen im Buch zu Wort und dabei unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Ansichten . Dabei lernt man nicht nur gegenwärtige Gestalter des Minderheitendaseins kennen , sondern die Autoren nehmen Bezug auf vergangene Größen des ungarndeutschen Kulturlebens wie Anton Farkas oder Josef Wenczl und vor allem auf das , was sie für die Nachwelt hinterlassen haben .
Interessant ist die Frage , welches Bild das Buch über die deutsche Volksgruppe in Ungarn vermittelt . Auf der einen Seite nimmt man wahr , dass es diese Volksgruppe gibt - in ganz unterschiedlichen Formen und unterschiedlicher Intensität und dass es Menschen gibt , die sich für die Gemeinschaft einsetzen und Zeit und Energie investieren , um diese Gemeinschaft zu erhalten . Womöglich reicht es ja auch aus , wenn der eingangs erwähnte Otto Normalverbraucher das Gefühl hat , informiert worden zu sein . Auf der anderen Seite steht gerade für einen kritischen Sonntagsblattler die Frage , wie realistisch dieses gezeichnete Bild ist . Nun ja , fairerweise wird an mehreren Stellen auf den Sprachverlust hingewiesen , aber wohlwollend hinzugefügt , dass beim netten Beisammensein der eine oder andere Mundart-Begriff falle , was durchaus der Fall sein kann . Genauso sachlich berichtet man darüber , dass im Schulwesen die sprachunterrichtende Form vorherrscht .
Welches Gesamtbild beim Otto Normalverbraucher entsteht , ist sicherlich sehr individuell , aber letztendlich geht es beim vorliegenden Werk auch nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung über die Beziehung von Sprachverlust und Identität . ___________________________________________ * Zoltán Bihari ( Hg .): Mi , svábok , Bd 1 . - Budapest 2020