Sonntagsblatt 3/2020 | Page 9

war , wurde es nicht eingehalten . Alles war schön , nur mit einem kleinen Schönheitsfehler . Das Gesetz wurde , wo man es konnte , boykottiert . Genug war es , einen in das Magyarentum verliebten Deutschen zu finden und das Werk der Magyarisierung schritt reibungslos voran .
Bernhard war nicht in das Magyarentum verliebt , obwohl seine Mutter – mindestens ihrem Namen nach – eine Magyarin war , sondern die politische Ideenwelt des ungarischen Nationalismus hatte ihm den Verstand geraubt . Der Druck in dieser Hinsicht war groß : In den 1890er Jahren entfaltete sich die unverschämteste Magyarisierungspolitik . Kaum zwanzig Jahre nach dem 1868er Volksunterrichtsgesetz meldete sich ein Mann mit einem deutschen Namen , Béla Grünwald , der Eötvös verpönte , warum er mit seinem Gesetz unter dem Ruf eines „ schädlichen Liberalismus ” die nicht magyarischen Stämme des Karpatenbeckens bevorzugte , damit er dem Magyarentum Schäden verursache .
Bernhard – und Tausenden von Ideengenossen – gefiel aber dieser Gedanke , dazu noch mit einem legendären Mythos des ungarischen Mittelalters in Verbindung mit den „ Szittya-Helden ”, die das Land eingenommen hatten . Das deutsche Element passte nicht in dieses Paradigma . Grünwald meint , die staatsschaffende Nation umfasse die in Staatsgrenzen eingepresste ganze Bevölkerung , ohne in Betracht zu ziehen , welcher Muttersprache oder Herkunft das Individuum ist . In der Staatsbildung müsse man darauf achten – verlautete er –, dass da der Genius einer gewissen „ Volkstumsindividualität ” zum Vorschein kommt . Der andere Ideologe , Gusztáv Beksics , ging weiter , und zwar auf dem Wege des Praktischen : Die Zentralisierung des Staatswesens habe eine immanente Kraft , durch die in der Gesellschaft eine „ innere Kraft ” entsteht . Diese Schmelztiegeltheorie führte zur Erkenntnis : Die Schule soll zu „ einem bedingungslosen Privileg ” der Zentralisierung werden . Die Lehrer und die Priester müssten streng unter Kontrolle gehalten werden , der Wahl von diesen hätte die jeweilige örtliche Verwaltungskörperschaft zuzustimmen . Bernhard geriet so in eine doppelte Zwickmühle : einerseits in die der wohl fundierten individuellen Identifizierung mit dem ungarischen Mythos , andererseits in die der erbarmungslosen Staatsgewalt .
Das deutsche Volkstum hatte gegen Ende der 1870er noch eine prägnante deutsche Sprachcharakteristik - genauer gesagt eine Zweisprachigkeit - zu Hause und auf dem Stoppelfeld auf Deutsch , im Rathaus auf Ungarisch . Aber die isolierte Lage ganz im Norden am Balaton , weit von den Zentren der deutschen Sprachgemeinschaft der Tolnau und Branau hat ihre Wirkung getan . Der einzige Rettungsanker hätte die Schule sein können , aber in die hatte sich im Bilde von Bernhard die Staatsgewalt eingenistet . Der Ring wurde vollständig geschlossen . Aber trotzdem war die Lage günstig für die deutschen Dorfbewohner , sie hatten einen Kantorlehrer bekommen , der möglichst liebenswürdig war (?) oder mindestens nachgiebig im deutschen Sprachgebrauch . Ein schlagender Beweis dafür : Bernhard wurde im Wettkampf von viel besser geschulten Rivalen bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1906 mehrmals neugewählt ( damals wurden die Kantorlehrer von der Kirchengemeinde gewählt ). Auch die Lage bis Grünwald und Beksics war gar nicht so schlecht . In der Schule wurde zu Ende der 1880er vormittags ungarisch und nachmittags deutsch unterrichtet .
Aber wie ? Viele Kinder mussten zu Hause in der Bauernwirtschaft ( Anm . d . R .: auf dem Bauernhof ) arbeiten und zwar überwiegend in den Nachmittagsstunden . Das Schulschwänzen war in der damaligen Zeit noch mehr als eine Erlassungssünde . Der Barometer der massiven Sprachkenntnisse fing an zu sinken . Den Gnadenstoß gab zuletzt die Bildungspolitik des Staates . Einmal entschloss sich Bernhard , mit dem Deutschunterricht aufzuhören . Wir wissen nicht , in welchem Jahr . Im Jahre 1896 , zu Ehren des Milleniums , wurde auch der deutschsprachige Gottesdienst endgültig eingestellt , mit der Begründung : „ Die Gemeindemitglieder verstehen den deutschen Textus sowieso nicht mehr .” N . b .: Die Älteren sprachen in einzelnen Straßen sogar in den 1920er Jahren immer noch schwobisch .
Die Eltern gingen zu Bernhard und erhoben Protest bei ihm . Eine
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schlaue Antwort von Bernhard war : „ Es wird wieder auf Deutsch unterrichtet , wenn ihr mir Korettenwein , Getreideabgabe und Paarbelohnung je Kinder doppelt gebt . ( Korettenwein : „ korettabor ”, dem Kantorlehrer gebührende Gehaltsregelung ; Paarbelohnung : „ párbér ”, Abgabe in Geld ). Der Zauberkreis hat sich erneut geschlossen . Die schlaue , spitzfindige Antwort kann gar nicht reiner Zufall gewesen sein . Bernhard kannte den allgemein bekannten Geiz der Kötcseer Schwaben und er irrte sich in dieser seiner Vermutung nicht . Die Eltern nahmen das Ausbleiben des Deutschunterrichts – wenn auch nicht ohne weiteres , also mit Murmeln – zur Kenntnis .
Politisch gehörte Bernhard eher der Ungarischen 48er und Unabhängigkeitspartei an als der Kossuth-Partei , einer radikalen Gruppe , die das dualistische System der Donaumonarchie entschlossen ablehnte . Leiter : Gábor Ugron , ein starrköpfiger siebenbürgischer Adeliger ! Das Amt der örtlichen Parteiorganisation leitete Bernhard , ihm standen auch die Formalitäten nicht fern . Nach einer Regierungsverordnung , um das 1000-jährige Jubiläum des ungarischen Staates würdig zu feiern , mussten alle Gemeinden in Ungarn eine riesengroße rot-weiß-grüne Fahne anfertigen lassen . Und Bernhard zögerte nicht , er ließ eine machen – mit der Aufschrift : „ Szabadság , egyenlőség , testvériség ” [ Freiheit , Gleichheit , Brüderlichkeit ] - entnommen dem Ideenkreis der großen Französischen Revolution . Die Fahne bewahrte er sein langes Leben hindurch in seinem Kantorlehrerwohnhaus auf . Später haben die Flagge vertrauliche Leute übernommen , bis zum heutigen Tag . Heute ruht das Originalexemplar im Tresor des Kötcseer Gemeinderates . Ein Bürger von Kötcse , Paul Hozleiter , ließ nämlich vor einigen Jahren eine Kopie machen , weil die originale Fahne mit gewissen Flecken verschlissen war . Die neue wird an Feiertagen manchmal gehisst .
1906 wurde Bernhard pensioniert . Am letzten Tage des Schuljahres schickte er die kleinen Klassen nach Hause , dann nahm er von den größeren Klassen Abschied . Als er damit fertig war , beugte er sich schluchzend auf den Tisch . Am 11 . Januar 1912 starb er in Kötcse . Die Gemeinde hat ihm ein Ehrengrab zugeteilt . Das Amt des Dorfschulzen bekleidete in diesem Jahr mein Ururgroßvater Heinrich Ubrik ( Überreich ).
Die Deutschen von Helfgott ( Az istensegítsi németek )
Von Dr . László Antal
Im besetzten Polen zeigt ein Kreisbauernführer einer umgesiedelten Familie , dass dieser Hof ab diesem Tag ihr gehört
TEIL I .
Info : Mein Vater wurde in Helfgott ( Țibeni / Istensegíts ) geboren . Nach seinem Tode begann ich mich mit seinem Leben sowie mit der Geschichte der Ungarn in der Bukowina zu befassen .
( Fortsetzung auf Seite 10 )
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