Sonntagsblatt 3/2020 | Page 8

gerühmtes vorbildliches Nationalitätengesetz , das vor kurzem zugunsten einer gewissen Stärkung der Sprachrechte modifiziert wurde ( auch darüber haben wir berichtet ), handfeste Möglichkeiten für die Stärkung der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit bietet . Da man als seriöser Journalist die Antwort nicht in den Mund des Interviewten legen sollte , habe ich es dabei belassen .
Die Sache hat mich im Nachhinein aber ganz schön beschäftigt . Insbesondere nachdem ich ein Buch mit rumäniendeutschen Zeitzeugeninterviews in die Hand nahm – die Damen und Herren , allesamt jenseits der 70 - berichten darin über ihr Leben und den Alltag ihrer deutschen Gemeinschaften querbeet in Rumänien . Es wird überall ein Bild gezeichnet , das man als kleine deutsche Welt bezeichnen kann . Selbst in den dunkelsten Jahren der Ceauşescu-Diktatur hörte man nach Erinnerungen der Zeitzeugen in den Städten des Banats , Partiums und Siebenbürgens auf den Straßen und Plätzen , in den Geschäften und öffentlichen Gebäuden deutsches ( und ungarisches ) Wort . Noch früher ( aber bereits zu rumänischen Zeiten ) soll das auch in den Amtsstuben üblich gewesen sein . Authentisch halt , eine Selbstverständlichkeit für jeden , der in diesem multiethnischen Raum ansässig war , ob in Bistritz oder Oberwischau , Hermannstadt oder Fogarasch , Temeswar oder Hatzfeld !
So ungefähr war das auch bei uns , den in Trianon Verbliebenen , jedenfalls nach Erinnerungen meines vor einem Jahr verstorbenen Freundes Franz Wesner , der in der multiethnischen Tolnau aufgewachsen ist , wo die „ Lait “ in der Regel mehrsprachig waren . Diese Zeiten sind aber längst vorbei , trotz der mustergültigen Minderheitenpolitik Ungarns , das so gerne die Nachbarländer kritisiert , die ja ihre madjarischen Minderheiten unterdrücken sollen . Vor allem sprachlich !
Es gibt die Realität und es gibt die Vision : die Vision von einer kleinen deutschen Welt in Ungarn , in der man auf Plätzen und Straßen , in Geschäften und öffentlichen Gebäuden deutsches Wort hört und in der man in den Amtsstuben in der verlorenen , aber wiedergewonnenen Muttersprache seine Amtsgeschäfte erledigt , in der Amtsträger wie selbstverständlich Zweisprachigkeit in der Öffentlichkeit praktizieren und so die heilige „ bőgatyás ” Traditionspflege mit Inhalt und vor allem deutscher Sprache füllen und nicht als Zaungäste dem Untergang der Volksgruppe zusehen .
Nicht selten kam es vor , dass zur Zeit der aggressiven Magyarisierung in den 1890er Jahren auch evangelische Kantorlehrer am Sprachverlust von donauschwäbischen Gemeinden beteiligt waren . Mit Heinrich Bernhard war das gerade der Fall . Bernhard ( in Form eines in Kötcse weit und breit gebrauchten ungarischen Idiom „ Benyhárt ”) erschien um 1862 in Kötcse . Ohne richtige pädagogische Ausbildung ! Mit keinem seine berufliche Kompetenz attestierenden Diplom in der Tasche ! Was haben diese beruflichen Mangelhaftigkeiten betreffend seiner Laufbahn als Lehrer und vor allem als Mensch nach sich ziehen können ? – taucht die Frage auf . Vor allem ein unangenehmes Minderwertigkeitsgefühl ernährte sich aus diesem recht benachteiligenden Zustand – würden wir sagen . Wahrscheinlich ist es so . Aber dieses quälende Gefühl konnte im Laufe der 80er , 90er Jahre in einen nicht ganz wohl fundierten , mehr instinktiven als ideologisch untermauerten ungarischen Nationalismus übergehen . Die eigene Schwäche wurde durch einen übertriebenen Anpassungsdrang zur Staatstreue kompensiert . Man kann sagen : eine gesetzmäßige Reaktion im Sinne der Freud ’ schen Psychoanalyse .
Georg Richter zitiert Tertullian in seiner Fallstudie „ Die Magyarisierung ethnischer Minderheiten als Staatsziel ”: „ Dass alle aufhören zu hassen , sobald ihre Unwissenheit aufhört .“ Im Falle von Bernhard ging es überhaupt nicht um eine Unwissenheit . Wie viele im deutschsprachigen Schul- und Konfessionswesen entspross er einer donauschwäbischen Familie von Szárazd . Die Mutter , Erzsébet Fáy , kam aus dem Magyarentum , sagt die Chronik , gegen die man zahlreiche Vorwände finden kann . Ungarischer Familienname , aber alle auf dem Stammbaum sind blutreine Deutsche ! Wie er die Idee aufgegriffen hat , Lehrer zu werden , davon wissen wir nichts . Die Unwissenheit in Freud ’ - scher Auffassung kann man also bei Bernhard nicht in Betracht ziehen . Er war aus dem gleichen Boden ausgewachsen wie manche Kötcseer Familien deutscher Herkunft : die gleiche Abstammung , die gleiche Konfession . Aber der soziale Stand von Bernhard unterschied sich von denen , die in Kötcse seit ihrer Geburt ansässig waren , also den „ Einheimischen ”. Bernhard , ein „ nadrágos ember ”, ein Mann , der Hosen trägt , gegenüber anderen , sozial niedriger Geschichteten , die „ Gatjahose ” anhatten ! Dem Wort von Bernhard zu gehorchen war auf diese Weise eine staatsbürgerliche Pflicht . Nicht nur die Schulkinder standen so unter dem Bann des Kantorlehrers , sondern auch die mit Existenzsorgen kämpfenden Eltern .
Diese verbrieften Rechte stehen uns seit spätestens 1993 zu , man müsste sie nur nutzen . Also raus aus der Komfortzone , dem Gewohnten , das zur falschen Selbstverständlichkeit wurde ! Unter dem Motto : Wo ein Wille , da auch ein Weg !
Zeitgeschehen-Geschichte
Der Kötcseer evangelische Kantorlehrer Heinrich Bernhard ( Benyhárt ) und die Magyarisierung

Von Prof . Dr . Zoltán Tefner s

Kötcse
Mit der Elite der Gemeinde eine gute Beziehung zu pflegen war also eine Existenzfrage : Prozesse bei den Kaposvárer oder den „ Tabber ” Gerichtsstühlen in Erbfragen , Steuerzahlungsgenehmigungen und weiteren zahlreichen Angelegenheiten , die das materielle Dasein der Familie streng bestimmten . Tabb – damals Jahrzehnte lang die Kreisstadt - war sowieso ein Schreckgespenst für jeden , der aus irgendwelchem Grund mit dem „ Gesetz ” auf Kriegsfuß stand . Es war also nicht ratsam , mit diesen Kräften in Konflikt zu geraten .
Das Gesetz von József Eötvös , der berühmte Artikel XXXVIII / 1868 verordnete , dass der Schulunterricht in einer Gemeinde in der von der Allgemeinheit gebrauchten Sprache erfolgen müsse . Dort , wo die Bewohner auch nichtungarischer Sprache waren , wurde der Gemeindevorstand dazu verpflichtet , einen fremdsprachigen Lehrer , in Kötcse einen deutschsprechenden Kantorlehrer ( Dorflehrer und evangelischer Kantor in einer Person ) anzustellen . Später , obwohl dieses Gesetz schön und nützlich
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