Sonntagsblatt 3/2020 | Page 26

ner 50 % der Bevölkerung aus . Trotz Einschränkungen für den Deutschunterricht und die deutschsprachigen Medien sei die deutsche Kultur lebendig . Dies zeigten 30 „ Publikationen ” ( wohl gedruckte Zeitschriften gemeint ) und 20 Radioprogramme in deutscher Sprache . Zwei Orte werden im Beitrag genannt , Entre Rios und Blumenau , wo die deutsche bzw . deutschstämmige Gemeinschaft noch sehr aktiv sei . Entre Rios ? Der Ort kam mir bekannt vor : 1995 Welttreffen der Donauschwaben , wo die deutsche Gemeinschaft aus dieser Gegend auch dabei war . Damals hatten die JBG und allen voran Georg Krix maßgeblich beim Zustandekommen dieses Großereignisses mitgewirkt .
Eine interessante Konversation entwickelte sich zu dem ( oben genannten ) Beitrag der Internationalen Medienhilfe . Auch eine Deutschbrasilianerin meldete sich zu Wort . Einer unserer Landsleute monierte , dass im („ neuen ”) Sonntagsblatt in jüngster Zeit eben solche Beiträge fehlen würden . Das war Ansporn genug für mich , Kontakt mit der deutschbrasilianischen Kommentatorin aufzunehmen .
Erst einmal wollte ich ein wenig mehr über den Ort erfahren , in dem die ältere Dame lebt : Blumenau . Nach ihren Angaben wurde der Ort im Bundesstaat Santa Catarina von Dr . Otto Blumenau , Apotheker von Beruf , gegründet . Mit ihm seien „ Deutsche gekommen und die neuen Bewohner haben eine schöne Stadt aufgebaut .” Zur gleichen Zeit kam auch Johann Friedrich Theodor ( Fritz ) Müller , der sich als Naturforscher einen Namen gemacht hat . Die Region um Blumenau sei heute vor allem industriell geprägt , dabei würden die Textilindustrie und die Informationstechnologie als Zweige hervorstechen .
Meine Interviewpartnerin selbst ist Russlanddeutsche . Ihre Vorfahren kamen aus Wolhynien und der Wolgaregion . Die Familie des Vaters wanderte 1878 aus der Wolgaregion nach Argentinien aus , wo er seine aus Nemmersdorf ( Wolhynien ) stammende Frau kennen gelernt haben soll . Die Interviewpartnerin ist dabei ein Beispiel für den multiethnischen Charakter der Region – sie heiratete einen italienischstämmigen Mann , dessen Familie 1840 nach Brasilien eingewandert war .
Interessanterweise sei ihre Mutter von einer schwäbischen Familie aus Stuttgart erzogen worden , da besonders viele schwäbische Familien in Rio Grande do Sul wohnen würden , die Ende des 19 . Jahrhunderts nach Brasilien gekommen seien . Sie wies im Gespräch auch auf andere Migrationsgründe hin : Der Pflegevater ihrer Mutter kam nach ihrem Wissensstand 1924 nach Südamerika , denn er wollte „ nicht mehr in einem neuen Krieg mitmachen .”
Nach ihren Erfahrungen würden nur noch wenige Deutsch sprechen . Es gäbe aber kleine Städte wie Pomerode oder Timbó ( und Umgebung ), wo sich noch viele auf Deutsch unterhalten würden . Einige Dialekte wären für sie schwer zu verstehen . Es gebe auch Vereine , die deutsche Lieder singen und deutsche Tänze tanzen würden . Einmal im Monat würden die Evangelischen einen deutschen Gottesdienst feiern .
Sie hat insgesamt den Eindruck , dass „ das Deutschtum vergeht ”, was aus ihrer Sicht ein „ natürlicher Weg ” ist . Die Traditionen würden aber bleiben , weil es um touristisch Verwertbares gehe . Dennoch sollte man sich davor hüten zu verallgemeinern . Deutschstämmigkeit äußere sich in Brasilien immer noch in vermeintlich deutschen Tugenden wie Fleiß und Ordnungsliebe .
Soweit ein erster Einblick in den Alltag der Deutschbrasilianer , natürlich aus Sicht einer einzelnen Person ! Weitere Einblicke werden sicher noch folgen .
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Ungarndeutsche in der weiten Welt
Integrationshelferin Maria Macher Von Richard Guth
Ich bin an diesem Juni-Abend mit Maria Macher verabredet - in Nord-Neukölln . Schnell noch ein Besuch im Trendviertel Prenzlauer Berg , der noch vor einigen Jahren ein Bild Grau in Grau abgab , wie vor der Wende fast der gesamte Ostteil der Stadt ! Nach der Wende gewann dieser Kiez schnell an Popularität , viele Familien zogen ins Viertel unweit der Stadtmitte . Heute empfangen herausgeputzte Mietshäuser , bunte Läden und – trotz COVID 19 - eine Menschenmenge , darunter auffallend viele Kinder , den Besucher . Genauso bunt präsentiert sich der West-Stadtteil Neukölln , aber bezüglich der Herkunft der Bewohner wies der Stadtteil mit unterschiedlichen Kiezen 2016 einen Anteil von 43,9 % an Menschen mit Migrationshintergrund auf ; dieser Anteil ist in den letzten vier Jahren sicher noch gestiegen . Neukölln als achter Stadtbezirk ( und Nord-Neukölln im Besonderen ) gilt als Problembezirk ( wobei sich dieser Stadtbezirk aus Vierteln mit ganz unterschiedlichen soziokulturellen Strukturen zusammensetzt ): Überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit , beengte Wohnverhältnisse und unterschiedlicher Bildungsstand der Bewohner sorgen für Herausforderungen , die der legendäre SPD-Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowski in den Medien offen thematisiert hat . Vielversprechend ist die Tatsache , dass sich von 35 Berliner Quartiersmanagementgebieten 11 in Neukölln befinden , darunter 10 im Norden Neuköllns , wo lediglich 4 % der Berliner Bevölkerung leben .
Und hier beginnt eigentlich die Geschichte der Ungarndeutschen Maria Macher , die aus dem kleinen Dorf Saar im Komitat Komorn-Gran stammt . Sie kam 1989 nach Berlin , besser gesagt nach Westberlin , besuchte einen Deutschkurs in Neukölln und studierte Erziehungswissenschaften . Neben dem Studium jobbte sie nach eigenen Angaben unter anderem in Kitas – hier kam es zu den ersten Begegnungen mit den türkischen und arabischen Einwohnern des Stadtteils . Ihr Interesse war so groß , dass sie anfing Türkisch zu lernen , was eine Sprache sei , die ähnlich klinge wie Ungarisch . Sie schaltete sich in die Familienhilfe ein und betreute fortan türkische und kurdische Familien .
Ein nächster Lebensabschnitt begann für sie 2003 mit dem Eintritt in die Diakonie , einer Einrichtung der Evangelischen Kirche . 2004 begann die Qualifizierung der ersten Frauen , das Projekt „ Stadtteilmütter in Neukölln ” war damit geboren . Die ersten Ausbildungsgänge richteten sich an türkische beziehungsweise türkischstämmige Frauen und waren nach Angaben der Projektmanagerin türkischsprachig . Später kamen anderssprachige Menschen dazu , so dass die Qualifizierungen nun in deutscher Sprache erfolgen .
Die Qualifizierung dauert sechs Monate : In dieser Zeit sollen die Frauen in die Lage versetzt werden , im Nachhinein Hausbesuche zu unternehmen , stets von der Diakonie begleitet , in 30 Stunden pro Woche . Pro Tag soll ein Hausbesuch absolviert werden und darüber hinaus bieten die Stadtteilmütter einmal pro Woche Beratung , Elternabende oder Thementische an Kindertageseinrichtungen und Schulen an . Jede Woche finden Teamsitzungen und zu unterschiedlichen Zeiten dreistündige Fortbildungen statt . Darüber hinaus kommen die Frauen einmal pro Woche für zwei Stunden vorbei , um Koffer zu packen , das heißt : Material für ihre Hausbesuche zusammenzusuchen . Die hundert Stadtteilmütter kommen in Zehnerschichten – Corona sorgte aber auch hier für

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