Sonntagsblatt 3/2020 | Page 25

SB : Ich bin durch einen zweisprachigen Facebook-Post auf Sie aufmerksam geworden - welche Rolle spielt für Sie die deutsche Sprache bzw . die Zweisprachigkeit ?
JK : Die meisten Mitglieder der Johann ‘ s Kapelle verfügen über ungarndeutsche Wurzeln . Das Ungarndeutschtum haben wir von zu Hause mitgebracht und die Pflege der donauschwäbischen Tradition hat unsere Kindheit schon früh geprägt . Einige Großeltern und Eltern von uns haben in dem örtlichen ungarndeutschen Gesangverein mitgesungen oder in der Tanzgruppe getanzt .
Die Generation unserer Großeltern hat zu Hause sowie in dem Dorf noch „ schwäbisch “ geplaudert . Diese Grundlagen haben auf unsere Einstellung zu der deutschen Sprache gewirkt und dementsprechend spielt die Zweisprachigkeit eine bestimmende Rolle in unserem Leben . Eben deshalb finden wir es wichtig , die Nachrichten auf unserer Facebook-Seite ( https :// www . facebook . com / JohannsKapelle ) auch zweisprachig zu posten . Übrigens halte ich die Zweisprachigkeit für ein Geschenk von dem Schicksal .
SB : Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten drei Jahrzehnten bezüglich der Stellung , Bedeutung und des Gebrauchs der deutschen Sprache bei den Ungarndeutschen gesammelt ?
JK : Die Gründungszeit der Johann ‘ s Kapelle fiel mit den ersten freien deutschen Minderheitenwahlen in Ungarn zusammen . Wir konnten hautnah erleben , wie schnell sich nach langen Jahrzehnten die Ungarndeutschen wieder gefangen haben . Reihenweise wurden sowohl deutsche Minderheitenselbstverwaltungen in Ungarn als auch neue ungarndeutsche Kulturgruppen gegründet . In vielen Dörfern durften die Kinder in den Grundschulen wieder Deutsch lernen , d . h . ab den 1990er Jahren gab es einen Aufschwung beim Lernen der deutschen Sprache .
Es muss aber auch erwähnt sein , dass nach der Vertreibung der Ungarndeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg leider eine große Lücke bei der Überlieferung der deutschen Sprache im Komitat Wesprim und vielleicht auch landesweit in Ungarn blieb . Wegen des Sprachverbots konnten die hiergebliebenen Ungarndeutschen ihre Sprache nur teilweise bewahren . Wir haben vor ca . 30 Jahren auch feststellen können , dass der Gebrauch der deutschen Sprache in vielen Orten sogar bereits bei zwei Generationen fehlt . Die Generation unserer Großeltern hat damals ihre deutschen Dialekte noch problemlos beherrscht , aber bei ihren Kindern ist die Sprache verloren gegangen . In den letzten drei Jahrzehnten ist die deutsche Sprache bei den Ungarndeutschen meines Erachtens wieder wichtig geworden , aber die verschiedenen Dialekte , die wir vorher über 300 Jahre lang bewahrt haben , haben wir leider verloren .
SB : Wenn wir zum eigenen Selbstbild zurückkehren : Wie würden Sie sich definieren ? Schwaben , Ungarndeutsche , Ungarn / Madjaren ?
JK : Identität und Zugehörigkeitsgefühl sind derzeit sehr aktuelle Themen , die bei vielen Minderheiten und ethnischen Gruppen weltweit wieder eine große Bedeutung haben . Auch wir dürfen natürlich nicht vergessen , woher unsere Vorfahren ursprünglich gekommen sind . Aber wir leben in Ungarn , wir verfügen über die ungarische Staatsangehörigkeit , wir beherrschen die ungarische Sprache , daher sind wir einerseits Ungarn . Anderseits haben wir daneben deutsche Wurzeln , Gewohnheiten und Denkweise . Eben deshalb würde ich uns selbst als Ungarndeutsche definieren .
SB : Wie bewerten Sie die gegenwärtige Lage der Ungarndeutschen , insbesondere auch in Ihrem eigenen Umfeld in Waschludt und Umgebung ?
SoNNTAGSBLATT
JK : Die Anzahl der Ungarndeutschen in Waschludt und in den umliegenden Dörfern ist der Vertreibung zufolge nach dem Zweiten Weltkrieg stark zurückgegangen . Trotzdem befand sich Waschludt immer in einer außergewöhnlichen Situation , da die hier existierenden ungarndeutschen Kulturgruppen während der Zeit vor der politischen Wende durch das Regime geduldet worden waren . Glücklicherweise hat Waschludt auch derzeit eine führende Rolle auf dem Gebiet der ungarndeutschen Kulturerhaltung im Komitat Wesprim .
Die Kinder lernen schon im Kindergarten Deutsch , des Weiteren dürfen wir unsere Kultur frei pflegen , unsere Sitten an die nächste Generation weitergeben sowie unsere ungarndeutsche Selbstverwaltung wählen .
Aber nicht nur in unserer kleinen Umwelt können wir mit unserer Rechtslage zufrieden sein , wir sind auch landesweit gut aufgestellt . Wir dürfen einen ungarndeutschen Abgeordneten ins ungarische Parlament delegieren und Ungarn hat als erstes und bislang einziges Vertreiberland in Mittel- und Osteuropa einen nationalen Gedenktag zur Erinnerung an die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzlich verankert . All diese Faktoren beweisen , dass derzeit die Ungarndeutschen sowohl gesellschaftlich als auch politisch eine hochgeschätzte Minderheit in Ungarn sind .
SB : Zum Schluss eine etwas provokative Frage , die ich schon vielen Kapellenmitgliedern gestellt habe : Hat das Ungarndeutschtum eine Zukunft ?
JK : Mehr als 300 Jahre leben die Ungarndeutschen hier in diesem Land und diese Minderheit hat während dieser Zeit bereits zahlreiche und „ wilde “ historische Ereignisse überlebt . Trotz der vielen Drangsale blieb diese Minderheit stark und konnte ihre Sprache und Identität sowie ihren Stolz bewahren .
Heute sind die Ungarndeutschen in der Gesellschaft in Ungarn gut positioniert und es ist „ schick “ ungarndeutsch zu sein .
Wir stellen mit großer Freude fest , dass in den letzten Jahren an unseren Auftritten immer mehr Jugendliche teilnehmen und die Nachfrage vom Publikum nach niveauvoller Livemusik hoch ist . Jedes Jahr treten wir bei voll ausgebuchten Veranstaltungen wie Schwabenbällen auf , sowohl in Waschludt und landesweit als auch im Ausland – wie z . B . auf dem Bundesschwabenball der LDU in Gerlingen ( 2019 ).
Ich glaube , es beweist auch , dass es ein großes Interesse für die ( ungarn ) deutsche Kultur gibt und das Ungarndeutschtum auf jeden Fall eine Zukunft hat . Aber alle , die sich als Ungarndeutsche fühlen , müssen in der Zukunft weiter daran arbeiten , dass diese Anerkennung so bleibt .
Deutsche zwischen Integration und Bewahrung der Eigenart
Brasiliendeutsche / Deutschbrasilianer im Fokus
Von Richard Guth
Dieser Artikel ist eigentlich dem Zufall geschuldet - einem Beitrag der Internationalen Medienhilfe , den ein Landsmann auf Facebook geteilt hat . Dem Bericht nach leben 5 Millionen Deutschstämmige in Brasilien , unter ihnen 1,5 Millionen Muttersprachler . In vielen südlichen Bundesstaaten machten Deutschbrasilia-
( Fortsetzung auf Seite 26 )
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